„Wir brauchen einen Elon Musk der Fernverkehrslogistik“

Lesezeit: ca. 4 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: DLR, AdobeStock – peshkova

Logistik soll alles gleichzeitig sein: zuverlässig, umweltfreundlich, flexibel, kostengünstig – und am besten auch noch unsichtbar. Durch Individualisierung und Digitalisierung wird der Druck auf die Branche sogar noch stärker. Wie kann sie darauf reagieren? Prof. Dr. Gernot Liedtke vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sagt: Sie muss mehr Unternehmergeist zeigen und eigene Visionen umsetzen.

Professor Liedtke, wie wird sich die Logistik Ihrer Meinung nach in den kommenden zehn Jahren entwickeln?

Sie muss noch deutlich mehr leisten als heute. Logistik soll zwischen Versendern und Empfängern, zwischen Händlern und Endkunden vermitteln. Sie steht also genau wie der Personenverkehr als Bindeglied in unserem Wirtschaftssystem. Das bedeutet: Alle Megatrends in Wirtschaft und Gesellschaft haben auch Einfluss auf die Logistik – unter anderem der Drang der Menschen, in Ballungsräume zu ziehen, der Trend zur Individualisierung oder zu Nachhaltigkeit. In bestimmten Regionen kommt es zur Verdichtung, nicht nur in Großstädten, sondern auch in den polyzentrischen Räumen West- und Süddeutschlands, beispielsweise im Ruhrgebiet oder die Metropolregion Stuttgart. Verkehr ist ein Klimaproblem, aber natürlich auch ein Problem der dichten Räume. Dann kommt noch die Digitalisierung dazu: Wenn das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem die Digitalisierung durchlaufen hat, wird es sich komplett gewandelt haben. Die Vision, die man aus all diesen Einflüssen und Ansprüchen formulieren kann, ist ein „on-demand, time-space instant and eco-friendly freight transport“ – vielleicht fast ein Ding der Unmöglichkeit. Insofern halte ich viele Visionen, und auch die, die von der Politik formuliert werden, für unrealistisch – zumindest mittels der heute verfügbaren Technologien.
Welche Entwicklungen sehen Sie auf der letzten Meile?
Die Last-Mile-Logistik hat sich im Rahmen der bisherigen Bedingungen durchaus optimiert. Das gilt für den traditionellen Paketbereich genauso wie etwa für die Abholung von verschmutzter Wäsche aus Hotels. Auch was die Fahrerkosten angeht: Durch Outsourcing der Transportdienstleistungen wurden sie im maximal möglichen Ausmaß reduziert. Es gibt Teilmärkte, die wachsen – das sind die Belieferungen, die zeitpräzise sind oder die beispielsweise Convenience Food zum Kunden bringen. In einigen Bereichen der City-Logistik wirkt momentan eine besonders starke Dynamik, nicht nur in der politischen Diskussion, sondern auch in der Umsetzung. Ein Beispiel dafür sind Mikro-Konsolidierungszentren, die etwa in großen Bürogebäuden Platz finden. Solche innovativen und nachhaltigen Ansätze bilden einen Baukasten, mit dem man in der städtischen Logistik der Vision des „on-demand, time-space instant and eco-friendly freight transport“ näherkommen könnte. Eine kleine Warnung meinerseits: Die Ansprüche daran sind immens. Und noch eine Warnung: Die Einführung dieser neuen Transportmittel in die bestehenden Logistiksysteme, so wie sie sich im Moment mit Linienverkehr und Depotstrukturen am Stadtrand etabliert haben, wird nicht überall gelingen. Man wird Supermärkte am Stadtrand kaum per Lastenrad beliefern können. Es muss deshalb systemische Veränderungen geben – die Bausteine dafür stehen aber zur Verfügung.

»WENN EINE ENERGIEWENDE IN DER LOGISTIK STATTFINDEN SOLL, DANN WIRD ES NICHT BEI DEN HEUTIGEN FAHRZEUGKONZEPTEN BLEIBEN KÖNNEN.«

Professor Gernot Liedtke, Abteilungsleiter Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Viele glauben, dass plattformbasierte Geschäftsmodelle wie die von Amazon oder Uber die Logistik massiv bedrängen. Wie schätzen Sie das ein?
Diese Firmen machen im Kern das, was die Logistik bisher gemacht hat, indem sie zwischen Verlader und Empfänger vermitteln. Logistik organisiert aber auch Lagerhaltung und Transportketten. Es ist daher meiner Meinung nach noch nicht ausgemacht, ob solche Geschäftsmodelle die Logistik in Deutschland disruptiv verändern und dass das bisherige Geschäftsmodell verschwindet. Denn reine Vermittlungsplattformen können eines nicht: Sie können nicht optimieren – weder Touren noch räumliche Lagernetzwerke. Auch können Cloud-Lösungen zur Optimierung von Einzelproblemen noch lange keine komplexen Logistikketten behandeln. Logistiker dagegen sind in der Lage, komplexe Optimierungen für ihre Probleme einzusetzen und langfristige Kontrakte abzuschließen. Trotzdem zeichnet sich eine Entwicklung ab, dass Unternehmen aus der IT Branche mit neuen plattformbasierten Geschäftsmodellen in die Logistikmärkte Einzug halten. Dahinter stecken durchaus auch kapitalstarke Player aus dem Silicon Valley.
Welche Antriebe halten Sie neben der Elektromobilität für zukunftsfähig?
Ein Großteil des CO2 im Straßengüterverkehr wird auf der „langen Meile“ verbrannt. Die Konzepte, die dagegenwirken könnten und im Moment diskutiert werden, sind Oberleitungs-Lkw, LNG und Wasserstoff. Nun muss man sich das im Vergleich zur Dynamik im städtischen Güterverkehr anschauen, wo andere Städte weltweit und europaweit Meilensteine setzen und Innovation auch durch Kleinunternehmer stattfindet. Wenn man die Entwicklungen auf der Last Mile vergleicht mit dem Tempo, in dem beispielsweise LNG in Deutschland in die Flotten Einzug hält, dann muss man wirklich entsetzt sein: heute schon mögliche CO2-Einsparpotenziale – die bei LNG sehr gut möglich sind – werden einfach nicht genutzt. Und bei den Oberleitungs-Lkw kommt erst mal der Ruf nach dem Staat, der vorfinanzieren soll. Da vermisse ich Unternehmertum und Commitments der Industrie.
Was muss Ihrer Meinung nach stattdessen passieren?
Es gibt ein Zeitfenster für eine Energiewende im Verkehr, getrieben durch die CO2-Problematik, straßenbezogene Fahrverbote und auch die Dynamik, die auf politischer und Verwaltungsebene dadurch angesprungen ist. Wenn eine Energiewende in der Logistik stattfinden soll, dann wird es nicht bei den heutigen Fahrzeugkonzepten bleiben können – und auch nicht bei der Art und Weise, wie Güter heute bewegt werden. Wir brauchen noch deutlich mehr Innovationen, und dabei reichen zehn Prozent Energieoptimierung durch neue Player im Bereich Lkw nicht aus. Wir brauchen radikalere Werkzeuge beziehungsweise Entwicklungen. In Wachstumsmärkten wie dem Verkehr auf der letzten Meile gibt es viel Innovationskraft, auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit.
Muss der Staat dabei unterstützen?
Prinzipiell besteht gar kein Anlass dafür, dass der Staat neue Technologie- und Organisationsmodelle implementiert. In so einem dynamischen Umfeld muss man nur dafür sorgen, dass Innovationen getestet werden können und dass diejenigen Innovationen, die wirklich privatwirtschaftliche oder sogar gesellschaftliche Vorteile generieren, auch bevorzugt werden gegenüber den Lösungen, die diese Vorteile nicht bieten. Ein Beispiel: Der Mercedes Sprinter ist ein Riesenkasten Blech, der ständig bremst und anfährt, mit Diesel angetrieben wird und dabei Bremsenergie verschleudert. Solange er aber immer noch das billigste Mittel für jegliche kleinteilige Stadtbelieferung ist, braucht man sich nicht zu wundern, dass sich alternative, kleinere Fahrzeugkonzepte nicht durchsetzen. Die Rahmenbedingungen, die solche Innovationen in die richtige Richtung lenken können, die müssen geschaffen werden. Daher plädiere ich auch für die City-Maut, die – eingebettet in ein Gesamtsystem – sicher hilfreich wäre.
Den Rest regelt der Markt?
Ich denke ja, denn darüber hinaus müsste man gar nicht so viel tun: In Wachstumsphasen bringt der Markt Innovationen hervor. Nur in gesättigten Märkten wie bei der Bahn herrscht Flaute, zum Teil auch in der Lkw-Logistik. Da muss man noch mal ein bisschen stärkere Hebel anlegen und Visionen formulieren. Und das können durchaus auch Unternehmer tun: Wir brauchen einen Elon Musk der Fernverkehrslogistik! Der muss auch keine Tunnelröhren bauen, sondern könnte sich zum Beispiel überlegen, wie man so etwas einfach auf Stahl realisieren kann – früher nannte man das die Schiene. Die Visionen müssen angestoßen, entwickelt und finanziert werden, notfalls muss auch der Staat als Inventor und Investitionsfinanzierung einsteigen, um diese Lücke zu schließen. Den Rest regelt der Markt.
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8 Kommentare

  1. Als ehemaliger Lkw-Fahrer, davon 5 Jahre im Wechselbrücken – Nahverkehr vom Kombibahnhof Wuppertal aus, kann ich über diese Vorschläge nur lachen. Hat sich mal jemand mit der baulichen Anlage von Be- und Entladestellen beschäftigt? Was kostet es, wenn ein Autohändler seine Belieferung mittels Autotransporter auf der Straße organisiert?
    Ich war vor 25 Jahren dafür zuständig, der WestLB in Düsseldorf 20 Paletten EDV-Papier zu liefern. Das ging so: Zum Portier in der Talstraße von Düsseldorf fahren, und die Frachtpapiere abgeben.Dann zwischen Talstaße und Friedrichstraße in kleinen Gängen herumkurven, bis die Rampe von davor geparkten Pkw freigestellt wurden. Dann den Anhänger rechtsherum rückwärts für die drei Paletten rangieren. Dann den Anhänger wegziehen und irgendwo verbotswidrig parken und dann die anderen 17 Paletten anliefern. Das kenne ich auch von der Knappschaftsversicherung in Bochum, diversen Maschinenbau-Firmen, die wohl noch auf die Be- und Entladung durch Reichsbahn-Eisenbahnwaggons orientiert sind … und so weiter.
    Statt uns mit neuen Antriebskonzepten zu beschäftigen, sollten wir uns zuerst mit rationellen Be- und Entladekonzepten beschäftigen. So, wie die SNCF vor 50 Jahren das tarifliche Unterscheiden von leicht zugänglichen und weniger zugänglichen Güterbahnhöfen sich auseinandergesetzt hat. Das nannte sich „Bahnhofponderierung“. Wir brauchen hierzulande die „Ladestellen-Beurteilung“. Wer die nicht beherrscht, außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums, zahlt schlicht die zehnfache Grundsteuer.

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    • Hi Folkher! Auch hier vielen Dank für deinen umfassenden Input! Da kannst du als Praktiker sicher einen erfahrenen Blick mit einbringen, der – wie du richtig schreibst – in diesem Artikel nicht beachtet wird. Wir haben es bereits an anderer Stelle geschrieben: Die Logistik muss sich in vielen Bereichen besser aufstellen, eine bessere Infrastruktur liefern bzw. zur Verfügung haben. Was wären deine wichtigsten Bewertungskriterien bei einer „Ladestellen-Pondierung“? LG, das motionist.com-Redaktionsteam

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  2. Bei diesen ganzen Diskussionen werden leider immer wieder Fakten übersehen. Über 92 % aller LKW-Verkehre werden unter 350-400 km abgewickelt. Das ist aber auch für die Bahn die kritische Grenze, ab der sich das System Bahn in der jetzigen Form überhaupt lohnt. D. h. 92 % der Güterverkehre sind auch aus Sicht der Bahn gar nicht verlagerungsfähig, weil die Zeitkomponente dies verbietet. Kurz das System Bahn ist dafür zu langsam und unflexibel. Die restlichen 8 % sind von der Güterart her auch nicht alle kompatibel.

    LNG / CNG ist letztendlich auch ein fossiler Brennstoff und kann damit nicht die Lösung sein. Im Übrigen bitte ich zu beachten, dass sich speziell im Güterverkehr Experimente mit unfertigen oder nicht erprobten Antriebsarten verbieten. In einer so extrem arbeitsteiligen und vernetzten Wirtschaft müssen Güterbewegungen reibungslos funktionieren. Das ist kein Spaß und auch kein Feld für Versuch und Irrtum. Im Güterverkehr sind extrem viele kleine Marktteilnehmer mit 3-5 Fahrzeugen tätig, die weder Geld noch die Möglichkeiten haben etwas zu testen oder „auszuprobieren“. Wenn es schief geht, sind die sofort insolvent. Und bitte auch beachten, dass alle in diesem Bereich in Europa einem extrem starken Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Wettbewerber haben aber überhaupt keine Veranlassung etwas an der bewährten Technik zu ändern. Alleine in Deutschland wird das Thema derzeit so hoch gehängt. Die modernen Dieselmotoren sind extrem ausgereift und erprobt. Besser als die in PKW. Werkstattstandzeiten sind optimiert und minimiert. Die Emissionen seit 1990 schon um 90 % gesunken und sie sinken weiter.

    LKW werden im Fernverkehr im Schnitt etwa 4 Jahre eingesetzt. Im Nahverkehr und bei Spezialverkehren durchaus auch 10 oder mehr. Es dauert also mitunter, bis neue Fahrzeuggenerationen in den Markt kommen. Im Übrigen ist es heute kein Problem, die Fahrzeuge bei Ausfällen im Betrieb zu tauschen. Je spezifischer die Einsatzgebiete aufgrund der Antriebstechnologie werden, umso weniger sind sie universell einsetzbar. Ein weiterer Wettbewerbsnachteil.

    Zum Thema elektrischer Antrieb nur folgendes. Es gibt durchaus Nischen, in denen das sinnvoll ist. Aber oft scheitern Firmen heute schon daran, mehr als 4-5 Fahrzeuge über Nacht zu laden. Die Energieversorger müssen dazu die Infrastruktur mit enormen Kosten komplett neu planen und umbauen. Man stelle sich ein Industriegebiet vor, indem nachts 200 oder 300 LKW geladen werden müssen. Abgesehen davon, dass viele bisher – zur besseren Auslastung – fast Tag und Nacht im Doppelbetrieb laufen. Von Prof. Hans-Werner Sinn vom ifo- Institut gibt es im Internet einen Vortrag mit dem Titel „Energiewende ins Nichts“ von 2013 und ein Update von 2017 etc. Wer sich das einmal anschaut, wird seine positive Meinung zum Elektroantrieb mit Sicherheit völlig ändern.

    Ich glaube hingegen, dass enorm viel Potenzial in der Vernetzung von Systemverkehren und bei der Optimierung von Rundlauftransporten möglich ist. Dazu habe ich schon vor 15 Jahren einiges geschrieben. Aber selbst KI-Experten unserer Universität sahen sich bisher außerstande dies umzusetzen. Und nur mit KI wäre es möglich.

    Es gäbe noch sehr viel zu sagen, aber ich höre jetzt lieber mal auf.

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  3. Vielen Dank, Herr Liedtke, für diesen Weckruf, das Rad nicht neu zu erfinden sondern durch Anreize die bestehenden Innovationen umsetzen zu helfen.
    Da kann und wird die Schiene einen Beitrag leisten können. Neben dem bekannten intermodalen Verkehr (wobei die letzte Meile dann auch ohne Diesel transportiert werden sollte), könnte eine Renaissance des Wagenladungsverkehrs eben auch Mengen, die kleiner sind als Ganzzüge, weitestgehend elektrisch und unter Nutzung bereits bestehender Infrastruktur befördern. Das dies auch europaweit funktionieren kann, zeigt die Xrail Allianz von sieben Güterbahnen. So müssten wir nicht warten, die ohnehin schon vollen Autobahnen mit Oberleitungen auszustatten.
    Links: http://www.xrail.eu
    http://www.xrail.eu/documents/13422/0/Xrail_Trailer_DE_ohne-UT_10mbits.mp4

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    • Hallo Hartmut! Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Es müssen sicher alle Bereiche der Logistik an einem Strang ziehen, um zukunftsfähig zu bleiben. Wir sind gespannt – das wird sicherlich noch öfter Thema auf unserer Plattform werden. LG, die motionist.ocm-Redaktionsteam

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  4. Good article.
    The transport should go all. Electric in the next 10 years. There should be standard spec batteries that can be swapped at a charging station.

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  5. I agree LNG will be the alternative fuel for containing Co2 emissions . It can be a cost ecnomic solution for developing markets like india or asia

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