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Text: Juliane Gringer
Fotos: DLR, AdobeStock – peshkova
Logistik soll alles gleichzeitig sein: zuverlässig, umweltfreundlich, flexibel, kostengünstig – und am besten auch noch unsichtbar. Durch Individualisierung und Digitalisierung wird der Druck auf die Branche sogar noch stärker. Wie kann sie darauf reagieren? Prof. Dr. Gernot Liedtke vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sagt: Sie muss mehr Unternehmergeist zeigen und eigene Visionen umsetzen.
Professor Liedtke, wie wird sich die Logistik Ihrer Meinung nach in den kommenden zehn Jahren entwickeln?

»WENN EINE ENERGIEWENDE IN DER LOGISTIK STATTFINDEN SOLL, DANN WIRD ES NICHT BEI DEN HEUTIGEN FAHRZEUGKONZEPTEN BLEIBEN KÖNNEN.«
Professor Gernot Liedtke, Abteilungsleiter Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Als ehemaliger Lkw-Fahrer, davon 5 Jahre im Wechselbrücken – Nahverkehr vom Kombibahnhof Wuppertal aus, kann ich über diese Vorschläge nur lachen. Hat sich mal jemand mit der baulichen Anlage von Be- und Entladestellen beschäftigt? Was kostet es, wenn ein Autohändler seine Belieferung mittels Autotransporter auf der Straße organisiert?
Ich war vor 25 Jahren dafür zuständig, der WestLB in Düsseldorf 20 Paletten EDV-Papier zu liefern. Das ging so: Zum Portier in der Talstraße von Düsseldorf fahren, und die Frachtpapiere abgeben.Dann zwischen Talstaße und Friedrichstraße in kleinen Gängen herumkurven, bis die Rampe von davor geparkten Pkw freigestellt wurden. Dann den Anhänger rechtsherum rückwärts für die drei Paletten rangieren. Dann den Anhänger wegziehen und irgendwo verbotswidrig parken und dann die anderen 17 Paletten anliefern. Das kenne ich auch von der Knappschaftsversicherung in Bochum, diversen Maschinenbau-Firmen, die wohl noch auf die Be- und Entladung durch Reichsbahn-Eisenbahnwaggons orientiert sind … und so weiter.
Statt uns mit neuen Antriebskonzepten zu beschäftigen, sollten wir uns zuerst mit rationellen Be- und Entladekonzepten beschäftigen. So, wie die SNCF vor 50 Jahren das tarifliche Unterscheiden von leicht zugänglichen und weniger zugänglichen Güterbahnhöfen sich auseinandergesetzt hat. Das nannte sich „Bahnhofponderierung“. Wir brauchen hierzulande die „Ladestellen-Beurteilung“. Wer die nicht beherrscht, außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums, zahlt schlicht die zehnfache Grundsteuer.
Hi Folkher! Auch hier vielen Dank für deinen umfassenden Input! Da kannst du als Praktiker sicher einen erfahrenen Blick mit einbringen, der – wie du richtig schreibst – in diesem Artikel nicht beachtet wird. Wir haben es bereits an anderer Stelle geschrieben: Die Logistik muss sich in vielen Bereichen besser aufstellen, eine bessere Infrastruktur liefern bzw. zur Verfügung haben. Was wären deine wichtigsten Bewertungskriterien bei einer „Ladestellen-Pondierung“? LG, das motionist.com-Redaktionsteam
Bei diesen ganzen Diskussionen werden leider immer wieder Fakten übersehen. Über 92 % aller LKW-Verkehre werden unter 350-400 km abgewickelt. Das ist aber auch für die Bahn die kritische Grenze, ab der sich das System Bahn in der jetzigen Form überhaupt lohnt. D. h. 92 % der Güterverkehre sind auch aus Sicht der Bahn gar nicht verlagerungsfähig, weil die Zeitkomponente dies verbietet. Kurz das System Bahn ist dafür zu langsam und unflexibel. Die restlichen 8 % sind von der Güterart her auch nicht alle kompatibel.
LNG / CNG ist letztendlich auch ein fossiler Brennstoff und kann damit nicht die Lösung sein. Im Übrigen bitte ich zu beachten, dass sich speziell im Güterverkehr Experimente mit unfertigen oder nicht erprobten Antriebsarten verbieten. In einer so extrem arbeitsteiligen und vernetzten Wirtschaft müssen Güterbewegungen reibungslos funktionieren. Das ist kein Spaß und auch kein Feld für Versuch und Irrtum. Im Güterverkehr sind extrem viele kleine Marktteilnehmer mit 3-5 Fahrzeugen tätig, die weder Geld noch die Möglichkeiten haben etwas zu testen oder „auszuprobieren“. Wenn es schief geht, sind die sofort insolvent. Und bitte auch beachten, dass alle in diesem Bereich in Europa einem extrem starken Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Wettbewerber haben aber überhaupt keine Veranlassung etwas an der bewährten Technik zu ändern. Alleine in Deutschland wird das Thema derzeit so hoch gehängt. Die modernen Dieselmotoren sind extrem ausgereift und erprobt. Besser als die in PKW. Werkstattstandzeiten sind optimiert und minimiert. Die Emissionen seit 1990 schon um 90 % gesunken und sie sinken weiter.
LKW werden im Fernverkehr im Schnitt etwa 4 Jahre eingesetzt. Im Nahverkehr und bei Spezialverkehren durchaus auch 10 oder mehr. Es dauert also mitunter, bis neue Fahrzeuggenerationen in den Markt kommen. Im Übrigen ist es heute kein Problem, die Fahrzeuge bei Ausfällen im Betrieb zu tauschen. Je spezifischer die Einsatzgebiete aufgrund der Antriebstechnologie werden, umso weniger sind sie universell einsetzbar. Ein weiterer Wettbewerbsnachteil.
Zum Thema elektrischer Antrieb nur folgendes. Es gibt durchaus Nischen, in denen das sinnvoll ist. Aber oft scheitern Firmen heute schon daran, mehr als 4-5 Fahrzeuge über Nacht zu laden. Die Energieversorger müssen dazu die Infrastruktur mit enormen Kosten komplett neu planen und umbauen. Man stelle sich ein Industriegebiet vor, indem nachts 200 oder 300 LKW geladen werden müssen. Abgesehen davon, dass viele bisher – zur besseren Auslastung – fast Tag und Nacht im Doppelbetrieb laufen. Von Prof. Hans-Werner Sinn vom ifo- Institut gibt es im Internet einen Vortrag mit dem Titel „Energiewende ins Nichts“ von 2013 und ein Update von 2017 etc. Wer sich das einmal anschaut, wird seine positive Meinung zum Elektroantrieb mit Sicherheit völlig ändern.
Ich glaube hingegen, dass enorm viel Potenzial in der Vernetzung von Systemverkehren und bei der Optimierung von Rundlauftransporten möglich ist. Dazu habe ich schon vor 15 Jahren einiges geschrieben. Aber selbst KI-Experten unserer Universität sahen sich bisher außerstande dies umzusetzen. Und nur mit KI wäre es möglich.
Es gäbe noch sehr viel zu sagen, aber ich höre jetzt lieber mal auf.
Hallo Fritz! Vielen Dank für deinen sehr ausführlichen Kommentar! Wir haben das in der Redaktion sehr interessiert gelesen. Der reibungslose Ablauf des Güterverkehrs sollte tatsächlich immer im Vordergrund stehen, denn darauf basiert natürlich unser tägliches Leben. Dass man alternative Antriebe jedoch in irgendeiner Form testen muss, um auf Dauer etwas zu bewegen, lässt sich vermutlich kaum vermeiden. Aber du hast Recht, für kleinere Unternehmen ist das schwierig. Zum Glück gibt es in der Branche bereits zahlreiche größere Speditionen, die verschiedenste Technologien bei sich einsetzen, um Erfahrungen zu machen. Auch Hochschulen sind dabei, schau zum Beispiel mal hier (Beispiel e-Mobilität): https://motionist.com/spannung-bis-zum-letzten-kilometer-tourenoptimierung-fuer-e-nutzfahrzeuge/. Auch zum Thema KI gibt es bei uns schon einige interessante Beiträge, schau doch mal hier https://motionist.com/kuenstliche-intelligenz-in-der-citylogistik/ oder hier https://motionist.com/ersetzt-kuenstliche-intelligenz-den-disponenten/
Danke für deinen Input! LG, dein motionist.com-Redaktionsteam
Vielen Dank, Herr Liedtke, für diesen Weckruf, das Rad nicht neu zu erfinden sondern durch Anreize die bestehenden Innovationen umsetzen zu helfen.
Da kann und wird die Schiene einen Beitrag leisten können. Neben dem bekannten intermodalen Verkehr (wobei die letzte Meile dann auch ohne Diesel transportiert werden sollte), könnte eine Renaissance des Wagenladungsverkehrs eben auch Mengen, die kleiner sind als Ganzzüge, weitestgehend elektrisch und unter Nutzung bereits bestehender Infrastruktur befördern. Das dies auch europaweit funktionieren kann, zeigt die Xrail Allianz von sieben Güterbahnen. So müssten wir nicht warten, die ohnehin schon vollen Autobahnen mit Oberleitungen auszustatten.
Links: http://www.xrail.eu
http://www.xrail.eu/documents/13422/0/Xrail_Trailer_DE_ohne-UT_10mbits.mp4
Hallo Hartmut! Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Es müssen sicher alle Bereiche der Logistik an einem Strang ziehen, um zukunftsfähig zu bleiben. Wir sind gespannt – das wird sicherlich noch öfter Thema auf unserer Plattform werden. LG, die motionist.ocm-Redaktionsteam
Good article.
The transport should go all. Electric in the next 10 years. There should be standard spec batteries that can be swapped at a charging station.
I agree LNG will be the alternative fuel for containing Co2 emissions . It can be a cost ecnomic solution for developing markets like india or asia