City-Logistik: Auf dem Weg zu null Emissionen

Lesezeit: ca. 5 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Agora Verkehrswende, Urban Catalyst, AdobeStock – alphaspirit, Pixabay

Um die City-Logistik nachhaltiger und bewohnerfreundlicher zu machen, testen viele europäische Städte eigene Wege. So setzt Göteborg zum Beispiel auf Konsolidierungen im innerstädtischen Güterverkehr, Zürich hinterfragt, welche Entwicklungen im Einzelhandel die Stadt in Zukunft prägen werden, und Utrecht strebt ein komplett emissionsfreies Zentrum an.

Die Niederlande haben ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2030 wollen sie den Ausstoß von Treibhausgasen um 49 Prozent verringern. Im Juni 2019 hat die Regierung deshalb ein Klimapaket geschnürt, das unter anderem eine gezielte Klimaabgabe für die Industrie, die Abschaltung aller Kohlekraftwerke bis 2030 und einen Mindestpreis für CO2 bei der Stromerzeugung vorsieht. Neu zugelassene Busse, Lieferwagen, leichte Nutzfahrzeuge und Lkw dürfen ab 2025 in bis zu 40 Städten in den Niederlanden in den so genannten Zero-Emission-Zonen sogar nur noch emissionsfrei fahren. Das ist ambitioniert, die Initiatoren setzen aber darauf, dass die Industrie dann mehr entsprechende Fahrzeuge anbietet und will einen Anreiz setzen, nicht mit grossen Lkw in die Innenstädte zu fahren.

Bereits seit 2006 dürfen die Städte in den Niederlanden über die Einführung von Umweltzonen und ihre genauen Beschränkungen selbst entscheiden. Metropolen wie Utrecht, Rotterdam oder Amsterdam haben die Zonen eingeführt, um damit Stickstoffoxide und Feinstaub zu bekämpfen. Die unterschiedlichen Regelungen waren für die Autofahrer jedoch teilweise unübersichtlich. Daher strebt die Regierung nun eine stärkere Koordination an.

Fokus auf Elektromobilität

Durch die Nähe zum Meer sind die Niederlande besonders stark vom Klimawandel bedroht. Daher setzen viele Städte auf individuelle, grüne Maßnahmenpakete. In Utrecht beispielsweise, mit rund 350.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt des Landes, nutzen Postboten und Paketlieferanten E-Bikes und elektrische Transporter. Restaurants in der Innenstadt werden mit Elektrobooten beliefert. Auf speziellen Parkplätzen mit Stromanschluss parken Kühltransporter, aus denen Mitarbeiter der Gastronomie Waren direkt mit Lastenrädern abholen. Und die Stadt betreibt das größte Fahrradparkhaus der Welt: Dort finden 12.500 Zweiräder Platz, für die ersten 24 Stunden ist die Nutzung sogar kostenlos.
Utrechts idyllische Grachten werden auch für den Lieferverkehr in der Stadt genutzt: Leise und emissionsfrei fahren Elektroboote Restaurants an, um sie mit Waren zu beliefern.
„Unser Fokus in den Niederlanden liegt auf Elektromobilität“, sagt Pex Langenberg, Botschaftsrat für Infrastruktur und Wasserwirtschaft der Niederlande in Berlin. Der Staat unterstützt den Kauf von neuen, elektrisch angetriebenen Lieferwagen und Lkw, indem er 40 Prozent der Kostendifferenz zu herkömmlichen Modellen übernimmt. „In puncto Ladesäulen sind wir in den Niederlanden sehr stark aufgestellt“, so Langenberg. Utrecht hat bereits knapp 500 Säulen aufgestellt, 2020 soll sich die Anzahl verdoppeln. „Beim Thema Wasserstoff müssen wir noch aufholen – wir haben gerade mal fünf Tankstellen bisher, viel weniger als in Deutschland. Aber wir behalten auch innovative Biokraftstoffe im Blick.“

Perspektivenwechsel in Schweden

„Warum betrachten wir Fracht und städtische Logistik in erster Linie als Verkehrsproblem?“, fragt Malin Andersson, Abteilungsleiterin für Entwicklung und internationale Angelegenheiten bei der Göteborger Stadtverkehrsverwaltung. „Ich denke, wir müssen diese Perspektive ändern – und wir müssen das gemeinsam tun.“ Sie ist überzeugt: Eine reibungslose und nachhaltige städtische Güterverteilung ist die Grundlage für ein gutes und pulsierendes Stadtleben und damit für eine attraktive Stadt.

Göteborg, die zweitgrößte Stadt Schwedens, ist ein wichtiger Verkehrsnotenpunkt im Norden und setzt gerade das größte Stadtentwicklungsprojekt Skandinaviens um: „RiverCity“ soll an den Ufern des Flusses Göta älv entstehen, der mitten durch Göteborg fließt. Fünf Millionen Quadratmeter Bauland werden direkt am Wasser erschlossen, auf denen man ein integratives, grünes und dynamisches Leben und Arbeiten für die Menschen der Stadt möglich machen will – mit einem besseren Zugang zu erneuerbaren Energien, leistungsfähigem öffentlichen Verkehr und vernetzten Wegen für Fußgänger und Radfahrer. „Wir müssen hier ganz konkret Lösungen entwickeln, um langfristig eine größere und dichtere Stadt mit einer noch nachhaltigeren Mobilität zu verbinden und dabei kurzfristig ein effizientes Verkehrssystem für Menschen und Güter zu sichern“, so Andersson. „Und das vor dem Hintergrund, dass durch RiverCity derzeit jede Menge Baustellen nötig sind.“

City-Maut reduzierte Verkehrsaufkommen

Bereits 2013 hat Göteborg eine City-Maut eingeführt, die den Druck auf das öffentliche Verkehrssystem verringern und große Infrastrukturprojekte kofinanzieren soll. Nach dem Start reduzierte sich das Verkehrsaufkommen schnell um zehn Prozent. „Die Stadt und die Region sind in den vergangenen sechs Jahren gewachsen, aber dank der Maut haben die Staus und das Volumen des Autoverkehrs nicht zugenommen. Das ist positiv für Pendler und Transportunternehmen“, erklärt Malin Andersson. Zudem hat die Stadt ein Konsolidierungskonzept für die smarte Zustellung von Waren in der Innenstadt umgesetzt, das die Lieferungen für 500 Geschäfte und Unternehmen bündelt. Rund 800 Sendungen täglich werden mit kleinen, komplett elektrisch betriebenen Fahrzeugen zugestellt werden. Das reduziert den Verkehr in Einkaufszentren drastisch und macht einst überfüllte Straßen für Fußgänger und Radfahrer frei.
In Göteborg hat sich nach dem Start der City-Maut das Verkehrsaufkommen schnell um zehn Prozent reduziert.
„Dieses System hat die Attraktivität des öffentlichen Raums in Göteborg deutlich verbessert“, ist Andersson überzeugt. „Die verstopften, unsicheren und unattraktiven Straßen im Zentrum haben sich zu einem angenehmen, wettbewerbsfähigen und auch sicheren Ort gewandelt.“ Das sei ein Prozess, den die öffentliche Hand nicht allein realisieren könne, sondern nur in der Zusammenarbeit mit Partnern. Andersson glaubt, dass die Zukunft der Belieferung in der Stadt elektrisch sein wird – und damit leise. „Mit autonomen Fahrzeugen kann man in der Nacht zustellen, gesteuert durch Geofencing-Systeme. Den Lieferverkehr am Tag erledigen dann kleine E-Fahrzeuge und Lastenräder.“

Autofreies Wohnen in der Schweiz

Der Sihlbogen in Zürich ist die größte autoarme Siedlung der Schweiz. Wer dort wohnen will, muss sich verpflichten, ohne eigenes Auto zu leben. Die „Vereinbarung Parkplatzverzicht“ ist streng – aber sie ermöglicht und sichert eine hohe Lebensqualität. Die Metropole engagiert sich recht intensiv für ihre Bürger. Um zu erörtern, welche Entwicklungen im Handel in Zukunft wirken werden und wie sie Zürich verändern könnten, hat die Stadt das Berliner Planungsbüro Urban Catalyst beauftragt, den Einfluss solcher Trends auf den Einzelhandel zu untersuchen. Die Studie namens „Handel im Wandel“ konzentrierte sich auf drei Entwicklungen: Digitalisierung, Wertewandel im Handel und Kundenorientierung. „Wir haben analysiert, welchen Einfluss diese Trends auf die Stadtquartiere haben“, erklärt Dr. Cordelia Polinna, geschäftsführende Gesellschafterin von Urban Catalyst. „Der öffentliche Raum ist heute eine Bühne des Handels. Wenn man ihn als Stadt unterstützen will, hat man nicht so viele Möglichkeiten – man kann ja Einzelhändler nicht direkt fördern. Aber man kann Straßen und Plätze attraktiv gestalten und ihnen damit eine hohe Aufenthaltsqualität geben, sodass der Handel dort weiterhin gedeihen kann.“

Von Pop-up-Stores bis zu großen Logistik- und Mobilitätshubs: Die Bandbreite an Entwicklungsmöglichkeiten für den Handel in der Stadt ist groß.

Von „Back to the Roots“ bis „Brutal digital“

Die Berliner Experten haben mehrere Szenarien dazu entwickelt, wohin diese Trends den Einzelhandel führen können und was das jeweils für die Stadt, ihre Bewohner und den Lieferverkehr bedeuten könnte. Das reicht von dem „Back to the roots“-Modell, das sehr an Nachhaltigkeit orientiert ist, über „Digital Paradise“, in dem der Einzelhandel hauptsächlich online abgewickelt wird, bis zu „Brutal digital“, bei dem sich die gesamte Struktur der Innenstadt auflöst – zugunsten einer komplett digitalen Welt. In letzterem Szenario würden beispielsweise Logistik- und Mobilitätshubs als Verteilerzentren enorm an Bedeutung gewinnen und auch viel Fläche und Raum einfordern. Der Stadtraum wäre dagegen geprägt von Leerstand im Einzelhandel. „All dies ist völlig überspitzt, und das war auch der Sinn der Übung“, so Polinna. „Es war ein Gedankenspiel, das Impulse geben soll.“ Das Amt für Stadtentwicklung Zürich wollte vor allem wissen, was die öffentliche Hand tun kann, um mit diesen Entwicklungen umzugehen, auf sie zu reagieren und die Stadt für die Herausforderungen zu stärken. Sie haben das Thema mit der gesamten Stadtregion weiter untersucht und wollen die Handlungsempfehlungen, die daraus abgeleitet wurden, nun umsetzen: Dazu gehört unter anderem die Einrichtung von Abholstationen in städtischen Immobilien als neue Logistiklösung an der Schnittstelle zwischen Onlinehandel und Lieferverkehr.

Die Experten, die in diesem Artikel zitiert werden, haben auf der Veranstaltung „Ausgeliefert?! Die Zukunft des städtischen Güterverkehrs“ der Agora Verkehrswende gesprochen. Die Agora Verkehrswende ist ein Think Tank, der den Umbau zu einem klimafreundlichen und nachhaltigen Verkehrssystem fördern will. Sie ist eine Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.

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3 Kommentare

  1. Ich finde es sehr gut, dass die Niederlande sehr ambitioniert an den Klimaschutz gehen. Das ist ja auch notwendig. Mein Auto soll auch weichen. Ich werde mir ein Elektrofahrrad kaufen und einen Anhänger dazu. In Kleve benötigt man nicht unbedingt ein Auto.

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  2. Vielen Dank für Ihren Input! Vielleicht gefallen Ihnen auch unsere weiteren Artikel aus der Rubrik „Smart City“! LG, das motionist.com Team

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  3. Hilfreich. Beiträge verschiedener Kommunen, deren Akteure, Entscheider und Stakeholder. Wir müssen urban(er), MIKroMobil(er) und Bürger*innen-konformer unsere städtischen Räume neu denken bzw. bedenken.

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