Hier wird die Logistik der Zukunft gemacht

Lesezeit: ca. 8 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Stefan Bungert, Digital Hub Logistics Hamburg, NautilusLog

PODCAST

Im Podcast berichtet Johannes Berg, Geschäftsführer des Digital Hub Logistics, von der Arbeit im Hub, dessen Erfolgen und Zielen.

Der Digital Hub Logistics Hamburg vernetzt seit zwei Jahren etablierte Unternehmen mit Start-ups sowie Akteuren aus Forschung und Bildung. Ein ehemaliges Lager in der Speicherstadt ist der Think Tank, in dem neue Ideen und Geschäftsmodelle für die Logistik der Zukunft entstehen.

Die Hamburger Speicherstadt ist mit ihren Backsteinbauten, Fleeten und Brücken ist UNESCO-Weltkulturerbe – und seit rund 140 Jahren ein Symbol für den internationalen Handel: Quartiersfirmen lagerten dort Kaffee, Tee, Kakao und andere Waren aus aller Welt. Am Sankt Annenufer 2 trifft der historische Duft des Viertels auf die Logistik von morgen: Im Digital Hub Logistics Hamburg entwickeln Start-ups und etablierte Unternehmen gemeinsam frische Ideen für die Transportwelt. Der 900 Quadratmeter große Coworking Space bietet die Chance, sich in lockerer Atmosphäre kennenzulernen, gemeinsam Projekte voranzutreiben und dazu Schreibtisch an Schreibtisch zu arbeiten. „Hier werden Ideen ausgetauscht und konkrete Schritte koordiniert“, beschreibt Johannes Berg, Geschäftsführer des Hubs, was auf den historischen Böden passiert. Ausgestattet ist der Speicher ganz modern: Neben einem verglasten Meeting-Raum stehen schallgedämmte Kabinen aus Holz, in denen man ungestört telefonieren kann.

Statt Anzug trägt Berg ein dunkelblaues Sweatshirt, auf dem über den nautischen Koordinaten der Hamburger Speicherstadt ein Schiffsknoten aufgezeichnet ist: Die Enden dieses Seils verwandeln sich zu einem Glasfaserkabel – Historie und Bodenhaftung treffen auf digitale Zukunft. Laut Berg ist Vernetzung einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren auf dem Weg in diese Zukunft. „Die erfolgreichen Player in der Logistik sind oft vollkommen von dem überzeugt, was sie tun, weil sie damit jahrzehntelang erfolgreich waren“, berichtet Berg. „Aber aufgrund der immer schnelleren Innovationszyklen und auch der disruptiven Kraft von digitalen Lösungen werden sie in den kommenden zehn Jahren nicht mehr ganz allein und mit ihren jetzigen Prozessen und Geschäftsmodellen genauso erfolgreich sein wie bisher. Deshalb ist es wichtig, zu sagen: Wir machen es jetzt mal anders! Zum Beispiel, indem man sich mit einem Start-up verbindet oder auch mit einem anderen Unternehmen – solange das kartellrechtlich möglich ist, vielleicht sogar mit einem Konkurrenten – und gemeinsam Neues entwickelt.“

»Unternehmen werden in den kommenden zehn Jahren nicht mehr ganz allein und mit ihren jetzigen Prozessen und Geschäftsmodellen so erfolgreich sein wie bisher.«

Johannes Berg, Geschäftsführer Digital Hub Logistics Hamburg

Zwölf Hubs in Deutschland

Der Hub ist Teil der nationalen Digital-Hub-Initiative, die an zwölf Kompetenzstandorten in Deutschland gezielt Unternehmen mit neuen Innovationspartnern aus Wissenschaft und Gründerszene vernetzt. Dortmund und Hamburg konzentrieren sich auf den Themenbereich Logistik. Mit Erfolg: In Hamburg wirken schon über 60 Newcomer-Firmen und knapp 30 Partner an dem Hub mit. Wer teilhaben will, der muss laut Berg „in irgendeiner Weise entlang der logistischen Wertschöpfungskette“ aktiv sein oder schon eine passende Idee mitbringen. Für den Arbeitsplatz bezahlt man eine monatliche Miete. In der Regel schicken die Unternehmen und Start-ups dann einzelne Mitarbeiter oder ganze Teams, die auf Zeit dort arbeiten. Zudem können Veranstaltungen dorthin verlegt werden, zum Beispiel Innovationsworkshops, Besprechungen oder Projekttreffen.

Ein Schreibtisch für den Wirtschaftssenator

Auch Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann hat im Hub einen eigenen Schreibtisch – den er auch tatsächlich ab und zu nutzt. „Man kann ihn dann einfach so ansprechen, das ist ein ganz entspannter Austausch“, berichtet Otto Klemke von NautilusLog. Der Kontakt zu Behörden und der Politik ist für ihn und sein junges Unternehmen besonders wichtig, denn er will „ein dickes Brett bohren“. Otto Klemke hat NautilusLog gemeinsam mit seinem Vater und einem Studienfreund gegründet. Die drei haben eine App entwickelt, die als digitales Logbuch für die Schifffahrt fungiert und nicht nur Reeder, sondern unter anderem auch Gutachter adressiert: Die Software trackt Schiffe und generiert automatisch Ereignisse und Aufgaben, erinnert zum Beispiel die Besatzung rechtzeitig vor Erreichen einer Emission Control Area daran, den Treibstoff zu wechseln, und dokumentiert alle relevanten Daten und Aktionen im digitalen Logbuch. „Wir machen mit unserem Unternehmen etwas, wofür es zuvor noch gar keine Regulation gab, und haben zum Beispiel über die DIN eine neue Norm geschrieben“, erklärt Klemke.

Das Netzwerk des Hubs ermöglichte Kontakte zu offiziellen Stellen, aber auch Einladungen zu Konferenzen sowie die Chance, Delegationen zu begleiten und Standorte in Asien und Amerika kennenzulernen. Klemke gefällt vor allem, dass alles immer hochprofessionell abläuft, aber gleichzeitig mit einer erfrischenden Lässigkeit, die die Kreativität aller Coworker im Hub fördert: „Es gibt hier keine Förmlichkeit, Hierarchien werden quasi aufgelöst – das ist sehr angenehm. Hier treffen die alte und die neue Logistikwelt aufeinander und inspirieren sich gegenseitig.“

»Hier treffen die alte und die neue Logistikwelt aufeinander und inspirieren sich gegenseitig.«

Otto Klemke, Geschäftsführer NautilusLog

Ein spannender Ort

Auch innerhalb des Hubs selbst hat sich NautilusLog bereits vernetzt und kooperiert mit Lufthansa Industry Solutions (LHIND). Die IT-Beratungsgesellschaft, 100-prozentige Tochter der Lufthansa, arbeitet intern im Konzern, führt aber auch extern Projekte in Branchen wie Automotive und Logistik durch. LHIND ist einer der Unternehmenspartner des Hubs, die dessen Arbeit unterstützen. „Für uns ist der Hub ein spannender Ort, weil es eines unserer Ziele ist, Start-ups zu scouten, um uns mit ihnen zu vernetzen. Und wir wollen einfach sehen und begleiten, was in dieser Szene passiert“, erklärt Dr. Moritz Schellenberger, Leiter Innovation Management. „Wir hätten in andere Coworking Spaces gehen können, aber gerade dieser hat uns gefallen, weil wir uns speziell für den Bereich Logistics und Mobility interessieren.“

In der Zwischenzeit haben sein Team und er nicht nur viele gute Kontakte knüpfen können. Auch der Ort selbst zieht sie immer wieder an: „Wir halten mittlerweile auch viele interne Veranstaltungen wie Design-Thinking-Workshops im Hub ab, weil die Atmosphäre ganz besonders ist.“ Wenn man für einen offiziellen Termin bei einem großen Unternehmen eingeladen sei, sei das immer „nicht sonderlich entspannt. Das wird im Hub komplett aufgebrochen. Und es ist schließlich wissenschaftlich erwiesen, dass die Umgebung, in der man arbeitet, einen direkten Effekt darauf hat, wie kreativ man ist“, so Schellenberger.

Die Freiheit, flexibel zu sein

Dass ein ungewöhnlicher Ort das Denken anregt, glaubt auch Otto Klemke. „Der Hub gibt einem Freiheit: Man hat hier relativ viele Möglichkeiten zu arbeiten, er ist eine Art Plattform. Neben den Schreibtischen gibt es Container, die man verschieben kann – damit geht man einfach dahin, wo man gerade sein will, und setzt sich zum Beispiel mal ein paar Tage als Team zusammen. Wenn ich mal Ruhe brauche, nehme ich meine Kopfhörer und schaue von einem Sitzsack aus aufs Wasser.“ Auch Johannes Berg sieht diese Freiräume als absolutes Plus: „Für die Start-ups wie auch für die Unternehmenspartner bietet der Hub eine andere Umgebung als das eigene Büro und damit auch einen Ort, an dem andere Regeln gelten. Es gibt weniger Berührungsängste. Manchmal ist es sicher auch anstrengender, hier zu sitzen, aber dafür kann man bei uns ganz viel Neues erfahren. Und nicht jeder netzwerkt gern und immer – hier kommen auch Menschen rein, die einfach den Tag über in Ruhe gelassen werden wollen, und das ist auch okay. Grundsätzlich ist es aber so, dass hier ganz viele Gespräche und Kontakte entstehen.“

Damit das Konzept aufgeht, müssen sich laut Berg alle Beteiligten trauen, sich auf das neue Arbeitsumfeld und die Ideen, die man hier vorfindet, einzulassen. Er freut sich dann mit den Unternehmen über ihre Erfolge: „Wenn etwa ein neues Unternehmen reinkommt und gleich innerhalb der ersten zwei Monate mit einem Start-up Prototypen entwickelt, dann ist das einfach fantastisch, das miterleben zu dürfen.“

Der Digital Hub Logistics Hamburg ist auf Logistik zu Wasser, zu Lande und in der Luft spezialisiert. Am historischen Standort in der Speicherstadt verschmelzen Tradition und Zukunft miteinander.

Kooperation mit Wissenschaft und Forschung

So ein Prototyp kann zum Beispiel auch in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen entstehen: Der Hub arbeitet unter anderem mit dem Laboratorium für Fertigungstechnik an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg zusammen – die Hochschule bietet Möglichkeiten zur additiven Fertigung. Im Hub selbst sitzen zudem vier Studenten des Blockchain Innovation Labs der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften und arbeiten mit Start-ups zusammen, die Lösungen mit Blockchain-Technologie umsetzen wollen. Eine weitere Kooperation besteht mit der Hamburg School of Business Administration. Und um die besten Praxisbeispiele zu zeigen, läuft seit Herbst 2019 eine entsprechende Studie der Universität St. Gallen, der TU Dresden sowie der Hochschule Würzburg gemeinsam mit dem Digital Hub Logistics.

Erfolgsfaktor: Leidenschaft

Ideen öffentlich zu machen und sie im Hub zu teilen bedeutet auch immer, dass sie von anderen übernommen werden könnten. Doch sich davor zu fürchten ist laut Otto Klemke unbegründet: „Wenn ein Unternehmen wirklich eine Idee kopieren und selbst umsetzen will, wird es in der Regel damit scheitern“, sagt Otto Klemke. „Denn man braucht die Köpfe dahinter – die Menschen, die dafür brennen und bereit sind, diese Idee wirklich umzusetzen. Die Leidenschaft ist ganz wichtig für den Erfolg.“ Moritz Schellenberger ergänzt: „Als Vertreter eines großen Unternehmens kann ich sagen, dass wir natürlich keineswegs so vorgehen, dass wir die Ideen von Start-ups aufnehmen, um sie dann schneller zu entwickeln, als das Start-up das könnte. Das wäre auch wenig sinnvoll. Ich denke, in der Kooperation liegt viel mehr Kraft: Man braucht auf der einen Seite die erfahrenen Experten aus den Unternehmen und auf der anderen Seite die Kreativität, das frische Denken und die Geschwindigkeit, die ein Start-up mitbringt. Man kann auch sagen: Die Unternehmen sind die Tanker und die Start-ups sind die Schnellboote, die anders arbeiten und ticken, andere Türen aufmachen und oft einfach frischere Ideen haben.“

»Digitale Ideen kann man sehr gut umsetzen, indem man die erfahrenen Experten aus den Unternehmen mit der Kreativität und Geschwindigkeit eines Start-ups verbindet.«

Dr. Moritz Schellenberger, Leiter Innovation Management, Lufthansa Industry Solutions (LHIND)

Ein Leuchtturm für die Logistik

Nach zwei Jahren Digital Hub Logistics in Hamburg schaut Johannes Berg zufrieden zurück: „Wir haben in dieser Zeit bewiesen, dass wir in einem räumlich betrachtet relativ kleinen Umfeld wirklich zu beachtlichen Erfolgen losmarschiert sind.“ Das sorgt dafür, dass er immer wieder von Interessenten gefragt wird, ob sie noch mitmachen können – und ob der Hub wächst: „Das tut er. Die Idee war und ist immer, dass der Digital Hub ein Leuchtturm wird für die Logistik in Hamburg, aber auch darüber hinaus. Und um so ein Leuchtturm zu werden, braucht man eine entsprechende Fläche. Da wollen wir in den nächsten zwei Jahren hineinwachsen.“ Für ihn besteht die Herausforderung darin, den Unternehmenspartnern, die „den Großteil der Party bezahlen“, einen steten Fluss an Innovationen, Impulsen und Inspiration zu bieten und in andere Länder zu expandieren. „Noch mehr internationales Know-how nach Hamburg zu locken, steht definitiv auf unserer Agenda.“

Auf Events ins Gespräch kommen

Im Hub finden nicht nur interne Veranstaltungen der Mieter statt, sondern unter der Überschrift „Connected“ auch solche, die Berg und sein Team organisieren. „Wir haben 2019 mehr als 80 Events angeboten, die mal größer waren und mal kleiner. Bei diesen Events versuchen wir, den Start-ups, Unternehmen, Behördenvertretern und universitären Begleitern Anhaltspunkte zu geben, damit sie ins Gespräch kommen. An diesen Veranstaltungen kann jeder teilnehmen, der zu dieser Community gehört.“ Allein im Jahr 2019 sind daraus 42 Projekte zwischen Start-ups und Unternehmen hervorgegangen, zum Beispiel in Form von Investitionen, gemeinsamen Prototypen oder auch direkten Aufträgen.
Der Hub bringt etablierte Unternehmen und Startups, Wissenschaft, Forschung und Bildung zusammen, damit sie Wissen austauschen, gemeinsam Projekte vorantreiben und Geschäftsmodelle kreieren.
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