„Berufskraftfahrer haben mehr Respekt verdient!“

Lesezeit ca. 4 Minuten
Text: Oliver Schönfeld
Fotos: Holger Jacoby

Dass er mit über 50 zum Influencer werden würde, hätte sich Jörg Schwerdtfeger wirklich nicht träumen lassen. Doch mit seiner ehrenamtlichen Initiative „Ich bin Berufskraftfahrer und habe Respekt verdient“ hat der erfahrene Speditionsfachmann einen Nerv getroffen. Mehr als 27.000 Abonnenten und ein lebhafter Austausch auf dem gleichnamigen Facebook-Kanal sprechen für sich.

Über 17 Jahre war Jörg Schwerdtfeger selbst Berufskraftfahrer und erlebte somit den Wandel der Branche aus erster Hand: Immer härtere Arbeitsbedingungen, hoher Zeit- und Leistungsdruck, dazu ein zunehmend negatives Image – das hat dieser Beruf seiner Ansicht nach nicht verdient. Diese Entwicklung zu beobachten, machte den praktisch orientierten Speditionsfachmann unzufrieden: Mit westfälischer Bodenständigkeit und Geradlinigkeit spricht Schwerdtfeger mögliche Probleme gern direkt an und drückt sich nicht davor, seine Meinung deutlich zu machen. So entstand aus einer spontanen Idee im September 2017 die Initiative, die seitdem in den sozialen Medien immer weitere Kreise zieht. „Fahrer sind in ihrer Arbeit per se Einzelgänger, da ist es nicht so einfach, etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen“, schildert der Urheber. „Die Aktion soll das Miteinander und den Zusammenhalt zwischen den Fahrern fördern.“

Die Gesellschaft zum Nachdenken bringen

„Ich bin Berufskraftfahrer und habe Respekt verdient“ – schon der Titel bringt auf den Punkt, worum es dem 54-Jährigen geht: „Ich möchte ein besseres Verständnis für die Fahrer und ihre Situation schaffen und über die Branche hinaus ein Nachdenken in der Gesellschaft in Gang bringen.“ Schwerdtfegers Lebensgefährtin, die Grafik-Designerin Andrea Welge, stand ihm dabei von Anfang an zur Seite. Sie kreierte das Logo und entwarf den markanten blauen Aufkleber, der nicht nur unter Fahrern heiß begehrt ist. Über 30.000 Sticker hat Schwerdtfeger bereits verteilt – natürlich alle kostenfrei, wie er betont. „Mir geht es bei der Aktion weder um mich selbst noch um kommerzielle Aspekte, sondern allein um die Sache.“ Seit Kurzem ist zum öffentlichem Facebook-Kanal eine gleichnamige geschlossene Gruppe hinzugekommen, die ebenfalls bereits starken Zuspruch findet. Hier kann die Fachwelt untereinander intensiver diskutieren und Erfahrungen austauschen.

»Der vielseitige Beruf des Kraftfahrers hat ein besseres Image verdient.“

Jörg Schwerdtfeger, Personalmanager bei der Westfalen-Lippe Speditions- und Lagerhausgesellschaft mbH

Fahrermangel zwingt zum Handeln

Der Stellenwert, den die Logistik für intakte Produktionsketten, aber auch für die Versorgung der Bevölkerung hat, wird allzu häufig noch unterschätzt. „Ohne verantwortungsvolle und engagierte Fahrer läuft buchstäblich nichts. Sie haben deshalb Anspruch auf zwei Dinge: eine faire Bezahlung und mehr Wertschätzung“, unterstreicht Schwerdtfeger. Mehrfach pro Woche meldet er sich mit Denkanstößen und Neuigkeiten zu Wort – und will dabei auch gern mal provozieren, um Diskussionen in Gang zu bringen. Sachargumente sollen aber stets im Mittelpunkt stehen. Dass er in wenigen Jahren eine derartige Reichweite erzielen würde, hätte er nie erwartet. Doch spätestens mit dem akuten Fahrermangel hat in der Branche ein Umdenken eingesetzt. „Ich weiß, dass nicht nur Lkw-Fahrer, sondern auch viele Logistikunternehmer den Kanal abonniert haben. Wenn nur einer von 100 Chefs aufgrund unserer Diskussionen etwas in seinem Betrieb verändert, ist bereits viel erreicht“, macht Schwerdtfeger deutlich.

Jörg Schwerdtfeger saß selbst 17 Jahre am Steuer und weiß genau um die Sorgen und Nöte von Berufskraftfahrern.

Selbst ausbilden, Fluktuation reduzieren

Denn beim Reden allein darf es nicht bleiben, wenn sich das Image des Kraftfahrerberufs und des Transportgewerbes wieder verbessern soll. Was bereits vermeintlich kleine Maßnahmen bewegen können, will Schwerdtfeger an seinem eigenen Arbeitsplatz beweisen: Nach vielen Jahren als Berufskraftfahrer und Disponent ist er seit 2015 Personalmanager der Westfalen-Lippe Speditions- und Lagerhausgesellschaft (WL-Spedition) in Herford. Die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen steht für ihn an erster Stelle – am besten direkt ab dem ersten Arbeitstag. „Wir setzen auf eine konsequente Fahrerausbildung mit drei bis fünf Azubis pro Lehrjahr. Ab Ende der Probezeit zahlen wir ihnen bereits das Doppelte der regulären Ausbildungsvergütung.“ Neben den finanziellen Aspekten geht es aber auch darum, den Fahrern tagtäglich Respekt zu zeigen. Dazu gehört ein eigens eingerichteter beheizter Ruheraum in Form eines alten Schiffscontainers auf dem Betriebsgelände ebenso wie hochwertige Berufsbekleidung, laufende Fortbildungen und ein moderner, sicherer und komfortabler Fuhrpark. Bewusst werden die Fahrer eng in die täglichen Abläufe einbezogen. Wichtig ist ebenso eine intensive Kommunikation zwischen Disponenten und Fahrern – alle arbeiten miteinander. Die Wirkung dieser Maßnahmen lässt sich an der Personalfluktuation bei WL ablesen: Sie liegt weit unter dem Branchendurchschnitt. Viele Fahrer halten der Spedition bereits seit mehr als 30 Jahren die Treue – in heutigen Zeiten eine Seltenheit.

Mitarbeiterbindung als Erfolgsfaktor

Bei 140 Beschäftigten und 80 fahrenden Einheiten ist das Thema Mitarbeiterbindung für die WL-Spedition auch ein bedeutender Wettbewerbsfaktor. Immer wieder neue Fahrer rekrutieren und einarbeiten zu müssen, kostet schließlich personelle Ressourcen, Zeit und viel Geld. „Für eine hohe Mitarbeiterbindung zu sorgen, ist auch in unternehmerischer Hinsicht auf Dauer die bessere Strategie“, ist Schwerdtfeger überzeugt. Sein Chef Frank Zill, seit 2006 in vierter Generation geschäftsführender Gesellschafter der WL-Spedition, unterstützt ihn dabei. „Zusätzlich sensibilisieren wir auch unsere Kunden für ein Umdenken“, berichtet Zill. „Und sollte es vor Ort Probleme geben, sind wir hier natürlich für die Fahrer jederzeit ansprechbar, um Lösungen zu finden.“

Die WL-Spedition wurde 1935 in Osnabrück gegründet, heute befindet sich der Hauptsitz im westfälischen Herford. Den Grundstein für die Geschäftstätigkeiten bildeten innerdeutsche Sammelladungsverkehre. Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Unternehmen zu einem europaweit agierenden Speditions- und Transportspezialisten, der nahezu alle Dienstleistungen rund um den Transport anbietet. Auch technisch geht die WL-Spedition immer wieder voran – beispielsweise mit dem Einsatz von Lang-Lkw bereits seit 2017, mit der Zertifizierung nach „Ökoprofit“-Standard und seit 2019 mit dem zunehmenden Einsatz von Fahrzeugen mit alternativem Erdgasantrieb (LNG).

Ausbildungsberuf darf nicht verschwinden

Aber Jörg Schwerdtfeger denkt nicht nur an die eigenen Fahrer. Selbstverständlich war es für ihn zum Beispiel, im Rahmen des „Kravag Truck Parking“ sofort vier Stellplätze einzurichten und auf dem Betriebsgelände in Herford eine Dusch- und Aufenthaltsmöglichkeit für die Fremdfahrer zu schaffen. Die Ideen dürften dem kreativen und agilen Logistikfachmann auch in Zukunft nicht ausgehen – vor allem, wenn es um „seine“ Fahrer geht. Kürzerzutreten, kommt für ihn auch später nicht infrage. „Mein Wunsch ist es, spätestens im Ruhestand mehr Zeit zu haben, um in Schulen über unseren wunderbaren und vielseitigen Ausbildungsberuf zu informieren.“ Denn Berufskraftfahrer haben nicht nur Respekt, sondern auch Zukunft verdient.

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