Von der Idee bis zur echten Innovation

Lesezeit: ca. 4 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: BPW

Als Fahrwerksystemhersteller für Lkw-Anhänger und -Auflieger steht BPW schon immer dafür, Tradition mit Moderne zu verschmelzen. Mit dem iGurt, einem intelligenten System zur Ladungssicherung, hat BPW in Wiehl eine echte Innovation vorgelegt: Das smarte Produkt wurde innerhalb von 2,5 Jahren bis zur Serienreife entwickelt. Wie läuft so ein Prozess eigentlich genau ab?

Der kleine Sensor an einem Spanngurt könnte optisch locker als Smartwatch durchgehen. Der iGurt von BPW Bergische Achsen sieht nicht nur innovativ aus, in ihm steckt auch etwas wirklich Neues: Das digitale Ladungssicherungssystem überwacht die Vorspannkräfte beim Verzurren sowie während der Fahrt und informiert per App über abweichende Verluste der Vorspannkträfte am Gurt. Für BPW ist der iGurt neben dem angestammten Geschäft Rund um Fahrwerksysteme ein völlig neues Produkt. Ein Team um Produktmanagerin Katharina Kermelk hat ihn in rund 2,5 Jahren von der ersten Skizze zur Serienreife entwickelt.

Den Laderaum in den Fokus nehmen

Mittelständische Unternehmen wie BPW sind der wichtigste Innovations- und Technologiemotor Deutschlands. Mit Praxiserfahrung, Know-how und engagierten Mitarbeitenden entwickeln sie immer wieder neue Lösungen und Produkte und investieren viel Zeit, Geduld und Geld. Ausgangspunkt für die Entwicklung des iGurt war die Idee der Mechatroniker bei BPW, sich neuen Herausforderungen stellen zu wollen. „Als Mobilitätspartner unserer Kunden wollten wir ganz bewusst mal etwas ganz anderes probieren und den Bereich über dem Fahrwerk anschauen: den Laderaum“, erklärt Kermelk. „Im ersten Schritt haben wir Kolleginnen und Kollegen gefragt, was ihnen in der täglichen Arbeit rund um den Laderaum wichtig ist.“ Sehr häufig sprachen die Befragten das Thema Ladungssicherung an: Unterschiedlichste Güter korrekt und zuverlässig zu sichern, ist für die Fahrer im Transportalltag nicht leicht.
Auf die Details kommt es an: Das Mechatronik-Team von BPW (von links: Katharina Kermelk, Christopher Lamers, Torsten Schubert) diskutiert die Feinheiten seiner Entwicklung.

Recherche bei Speditionen

Die Entwicklergruppe von BPW besuchte daraufhin ausgewählte Speditionen, um den gesamten Transportprozess mit Fokus auf den Laderaum zu beobachten und Befragungen durchzuführen. „Wir sind ins Lager gegangen und haben geschaut, welche Hilfsmittel die Mitarbeitende bei der Be- und Entladung nutzen, welche Materialien sie einsetzen und welche Aufgaben die Fahrer erfüllen müssen – insbesondere bei der Beladung der Fahrzeuge und bei der Ladungssicherung“, so Kermelk. Weiterhin fanden Gespräche mit Experten wie Fahrlehrern und Vertretern des Bundesamtes für Güterverkehr und der Polizei statt. „Wir haben immer wieder gehört, dass die Ladungssicherung vielen schwerfällt – vor allem beim Gebrauch von Spanngurten, die in der Praxis am häufigsten eingesetzt werden.“ Es folgten weitere Besuche bei den Speditionen: „Wir haben noch genauer nachgefragt, haben Transportfahrten begleitet und unterwegs mehrmals gestoppt, um jeweils die Gurte zu kontrollieren. Wir wollten so viel wie möglich darüber lernen“, berichtet die Produktmanagerin.

»Wir haben immer wieder gehört, dass die Ladungssicherung vielen schwerfällt – vor allem beim Gebrauch von Spanngurten, die in der Praxis am häufigsten eingesetzt werden.«

Katharina Kermelk, Produktmanagerin für den BPW iGurt

Sicherheitsrisiko und Schäden an Waren

Am Ende dieser Sondierungsphase standen zwei Erkenntnisse: Erstens wissen die Fahrer schon während der Sicherung nicht, welche Vorspannkraft sie am Gurt einstellen. Sie verzurren schließlich nur mit Armkraft, ohne Messgerät. Zweitens kann sich Ladung während der Fahrt verschieben, oder Sackwaren setzen sich. Das kann dazu führen, dass die Vorspannkräfte sinken und die Ladung nicht mehr ausreichend gesichert ist. Im Zweifel kippt sie um und kann sogar durch die Plane vom Lkw fallen – das ist nicht nur ein enormes Sicherheitsrisiko, sondern kann auch Schäden am Fahrzeug verursachen.

„Aber auch die Ware selbst kann Schaden nehmen, beispielsweise wenn sie zu fest verzurrt wird“, erklärt Kermelk. So berichtete eine Spedition, die Rigips-Platten für Baumärkte transportiert, dass im Schnitt pro Fahrt mindestens eine Platte durch zu feste Gurte beschädigt wird. Bei einem Wert von 15 Euro pro Platte und 200 eingesetzten Lkw, die jeweils vier Touren täglich absolvieren, bedeutet das pro Tag rund 12.000 Euro Schaden. „Unsere Recherchen haben ergeben, dass Versicherungsgesellschaften jährlich Ladungsschäden im Gegenwert von 1,2 Milliarden Euro abwickeln. Und dabei gibt es wahrscheinlich noch eine sehr hohe Dunkelziffer: Viele Schäden werden nicht gemeldet aus Angst vor steigenden Versicherungsbeiträgen.“

Vorspannkraft wird häufig zu niedrig eingeschätzt

Nach den Recherchen war für die Entwicklergruppe von BPW klar: Die zuverlässige und korrekte Sicherung von Ladung mit Spanngurten ist im Transportalltag nicht gewährleistet. „Wir wollten etwas entwickeln, das dieses Problem löst und mit dem die Fahrer gut arbeiten können.“ Ein erster Prototyp war ein ganz einfacher kleiner Kasten aus Styropor: „Den haben wir mit unseren Werksfahrern erprobt und mit ihnen diskutiert, wie so ein Produkt in der Praxis funktionieren könnte.“ Ein weiterer Prototyp war ein etwas größerer Kasten aus Metall mit einem einfachen 7-Segment-Display, das bereits die Vorspannkraft anzeigen konnte. „Diesen Fortschritt haben wir mit Fahrern getestet: Zuerst haben wir sie die Ladung festzurren lassen, ohne dass sie den angezeigten Wert sehen konnten“, berichtet Kermelk. „Dann haben wir sie gefragt, wie hoch sie die anliegende Vorspannkraft schätzen. Meistens lag der tatsächliche Wert deutlich darüber.“ Ein nächster Prototyp erhielt ein Bluetooth-Modul, das die Daten während der Fahrt in die Zugmaschine übertrug. „In einem weiteren Test haben wir erkannt, dass Funktionalität und Leistungsumfang des Produkts damit optimal waren. Uns war klar: Genau das brauchen wir!“
Eine moderne LED-Anzeige und die zugehörige App wurden so benutzerfreundlich wie möglich gestaltet: Die Fahrer sollen sie intuitiv und zum Beispiel auch mit Arbeitshandschuhen bedienen können.

Ausgezeichnetes Design

Die nächste Herausforderung war das Design des Produkts, denn an einem Gurt ist schließlich nicht viel Platz. „Unsere Prototypen waren noch richtig dicke Brocken. Hier in der Mechatronik sind wir natürlich keine Experten, was die optische Gestaltung eines Produkts betrifft. Also haben wir uns dieses Fachwissen von außen ins Unternehmen geholt.“ Eine gute Entscheidung: Der iGurt wurde später nicht nur bei seiner Markteinführung auf der IAA Nutzfahrzeuge mit dem zweiten Platz als „Trailer Innovation 2019“ ausgezeichnet, sondern erhielt auch den iF Design Award. „Das ist sicher ein guter Beleg dafür, dass es sich lohnen kann, nicht allein auf die eigenen, traditionellen Kompetenzen zu vertrauen, sondern diese bei Bedarf mit frischem Wind von außen zu ergänzen“, meint Katharina Kermelk.

Eine erste Produktion des iGurt umfasste 600 Stück, die von acht Kunden im Feldtest gründlich auf ihre Praxistauglichkeit geprüft wurden. Dieser Test führte zu kleineren Anpassungen, nach denen sich zum Beispiel das Batteriefach nicht mehr so leicht ohne Hilfsmittel öffnen ließ. Kermelk erinnert sich: „Nach drei Monaten Testlaufzeit war das Feedback zum digitalen Gurt so gut, dass die Entscheidung fiel: Er geht in Serie!“

Team mit offenem Blick

Bis zu diesem Zeitpunkt waren etliche Personen an der Entwicklung beteiligt – von Mitarbeitenden aus der Hard- und Softwareentwicklung über Lieferanten und Kunden bis hin zu den Entscheidern bei BPW. „Es braucht viel Zeit, um mit allen ins Gespräch zu gehen und sich abzustimmen“, so Kermelk. „Es ist aber auch äußerst spannend, alle ins Boot zu holen und von der Idee sowie dem fertigen Produkt zu überzeugen.“ Für sie waren die intensiven Dialoge mit den Kunden eine echte Bereicherung – aber auch ihr Team: „Wir sind alle junge Köpfe aus der Mechatronik, die mit offenem Blick arbeiten. Ich denke, genau dieses Mindset hat den iGurt möglich gemacht.“
Junge Köpfe mit frischen Ideen: Dieses Team hat den BPW iGurt aus der Taufe gehoben. Neben Katharina Kermelk (rechts) haben Dr. Adrian Klein, Christopher Lamers, Celina Renner und Torsten Schubert (von links) als sprichwörtliche „Strippenzieher“ an der Innovation mitgearbeitet.
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