Der Stammtisch für Berufskraftfahrer

Lesezeit: ca. 4 Minuten 
Text: Juliane Gringer 
Fotos: Andrea Möller, Uwe Hesebeck

Bei den Fernfahrerstammtischen der Polizei treffen sich bundesweit Lkw-Fahrerinnen und Fahrer, um Neues zu lernen und sich auszutauschen. Polizeioberkommissarin Andrea Möller hat in Winsen (Luhe) den Hut auf – sie engagiert sich für mehr Wertschätzung gegenüber Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern sowie für bessere Arbeitsbedingungen.

Wie an jedem ersten Mittwoch im Monat sitzen an der Raststätte Ostetal Süd an der A1 Trucker aus ganz Deutschland zusammen: Die Polizei hat zum Fernfahrerstammtisch geladen. Skatkarten und Biergläser sieht man an so einem Abend aber nicht. Vielmehr wird Wissen zu den Themen auf der Straße vermittelt: Ladungssicherung, Gefahrgut, Sozialvorschriften – in Kooperation mit dem Verein DocStop fand vor Kurzem auch ein Erste-Hilfe-Kurs statt. Organisiert werden die Veranstaltungen hier in Winsen an der Luhe von Polizeioberkommissarin Andrea Möller. „Wir sprechen mit unseren Gästen über die Dinge, die sie bewegen, geben ihnen Input und beantworten ihre Fragen“, erklärt sie. „Die Veranstaltung findet während ihrer Ruhezeit statt. Wenn es ihnen nichts bringen würde, würden sie lieber schlafen gehen.“

Zusammenarbeiten und voneinander lernen

Die meisten Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer stehen der Polizei eher skeptisch gegenüber. „Wenn wir Lkws bei einer Kontrolle anhalten, finden wir in der Regel auch immer etwas. Das ist natürlich unangenehm“, erklärt Andrea Möller. „Dabei verstehen wir uns als Partner. Wir wollen den Fahrerinnen und Fahrern zeigen, dass wir ihre Herausforderungen verstehen und gern konstruktiv mit ihnen zusammenarbeiten möchten. Und sie können uns auch sagen, was sie an uns stört“ Der Fernfahrerstammtisch ist eine ideale Gelegenheit dafür. Kraftfahrer Ralf Kramer Just, der regelmäßig teilnimmt, bestätigt das: „Hier lerne ich was, kann der Polizei Fragen stellen oder sie um Rat bitten. Außerdem treffe ich Kolleginnen und Kollegen und kann mich in geselliger Runde austauschen. Man schimpft über alles, was einen nervt, und lacht gemeinsam über die Dinge, die wir angestellte Fahrer umsetzen müssen.“

Man duzt sich

Damit er dabei sein kann, bittet Ralf Kramer Just seine Dispo regelmäßig, seine Fahrten entsprechend zu planen. Er konnte vor allem fachlich schon viel von den Stammtisch-Abenden mitnehmen: „Man bekommt ja doch nicht immer gleich mit, wenn sich Richtlinien und Vorschriften ändern. Da schnappt man hier in die Runde was auf oder findet auch in Andrea immer eine kompetente Ansprechpartnerin.“ Truckerinnen sowie Trucker und Polizei duzen sich hier. Kramer Just, der seit 18 Jahren auf dem Bock sitzt, hat schon Unterstützung zum Thema Ladungssicherung gesucht oder erst bei einem Stammtisch erfahren, dass er dank einer neuen Regelung seine Lenkzeit leicht überschreiten darf, wenn er noch nach Hause fahren will statt an einem Rastplatz zu übernachten. Und manchmal bekommt er auch einfach tiefere Einblicke in seinen Beruf: „Uns wurde an einem Abend beispielsweise erläutert, wie viel Organisation hinter einem Schwertransport steckt – das war mir so noch nicht bewusst, aber ich fand es hochinteressant.“

Die Termine werden auf vielen Kanälen bekannt gegeben

Von den Locations und Terminen erfahren die Trucker vor allem über einen E-Mail-Verteiler, Websites aus dem Bereich Verkehrsprävention, Mundpropaganda oder die sozialen Medien. Andrea Möller ist außerdem mit dem Verein Pro Fahrer-Image e.V. vernetzt, der sich für mehr Wertschätzung für Berufskraftfahrer einsetzt. Und sie betreibt einen Fernfahrerstammtisch-Facebook-Account, auf dem sie Termine in ganz Deutschland sammelt. . „Viele planen ihre Touren so, dass sie bei uns auf der Raststätte Feierabend machen“, so Möller. „Wir haben hier auch Stammgäste, die arbeiten tagsüber in Hamburg, bilden dann eine Fahrgemeinschaft und kommen als Gruppe zu uns rüber.“ Oder wenn jemand zufällig gerade Rast macht, spricht Andrea Möller ihn an, ob er nicht spontan dabei sein will: „Spätestens nach zehn Minuten ist der mittendrin.“

Ausreichend Zeit für Erfahrungsaustausch

Zum Erfahrungsaustausch bleibt immer genug Zeit: Da wird über Dauerstress geklagt, über die oft schlechte Behandlung an den Rampen und unfreundliche Worte, wenn der Lkw irgendwo im Weg ist. Sie hört jeden Tag, welche Herausforderungen mit dem Beruf verbunden sind. „Dem Lkw-Fahrer geht es nicht gut damit, wie er seine Arbeit machen muss und dabei behandelt wird. Ein Mann sagte zu mir, sein Berufsstand sei doch der Fußabtreter der Nation. Wenn das jemand über so einen wichtigen Job sagen muss, dann läuft was richtig schief. Die Realität ist doch: Die Fahrerinnen und Fahrer werden von ihren Ladestellen und der eigenen Dispo bevormundet, haben kaum Zugriff auf eine angemessene Infrastruktur für Hygiene und Versorgung – aber gleichzeitig sollen sie immer mehr leisten.“

Weiterbildung, Geselligkeit und Wertschätzung

Bei den Stammtischen gibt es immer Snacks und Getränke. „Viele Fahrerinnen und Fahrer nutzen Raststätten kaum noch, weil Parkplätze dort rar sind und das Essen für sie zu teuer geworden ist“, weiß Andrea Möller. „Deshalb machen sie sich lieber allein an ihrem Lkw eine Dosensuppe warm.“ Der Stammtisch bietet Weiterbildung, Geselligkeit und Wertschätzung zugleich.Das bestätigt auch Fahrer Danny Bucher, der für Autohersteller Fahrzeuge durch ganz Deutschland und in die Grenzgebiete der Nachbarländer fährt und ebenfalls regelmäßig Gast beim Stammtisch ist: „So ein Abend ist für mich immer eine kleine Weiterbildung. Beim Erste-Hilfe-Kurs habe ich beispielsweise erfahren, dass statt der Mund-zu-Nase-Beatmung heute nur noch die Herzdruckmassage zur Wiederbelebung empfohlen wird. Als Kraftfahrer frischen wir regelmäßig unser Wissen auf, aber das wusste ich zuvor noch nicht.“ Der Stammtisch biete ihm Informationen und persönlichen Kontakt zu Kolleginnen, Kollegen und der Polizei: „Beides hilft mir und macht meinen Berufsalltag ein bisschen leichter.“

„Ich finde Lkw einfach toll!“

Genau das will Andrea Möller mit ihrem Engagement erreichen. Ihr Beruf sei für sie eine Berufung, erzählt sie: „Schon als kleines Kind wusste ich, dass ich ‚Schutzmann‘ werden will – einfach, weil ich helfen wollte.“ Nach einem Schulpraktikum bei der Polizei kam sie 1996 zur Autobahnpolizei nach Winsen, ohne vorher einen Bezug zu Lkw zu haben. Doch die Faszination war groß – und ist geblieben. „Andere mögen schnelle Sportwagen, ich finde Lkw einfach toll“, erklärt sie. „Ich mag vor allem den Schwerlastbereich, fahre auch zum Nürburgring und begeistere mich für schöne, besonders gestaltete Fahrzeuge.“ In ihrer Arbeit für die Fernfahrerinnen und Fernfahrer bekomme sie viel positives Feedback: „Was sie mir zurückgeben, ist unbezahlbar. Und wenn auch nur ein Lkw-Fahrer abends da sitzt und sagt: ‚Mensch, das war wieder ein toller Abend, danke fürs Zuhören!‘, dann habe ich alles richtig gemacht, und es macht mich persönlich glücklich.“

Miteinander reden – statt übereinander

Das Format des Fernfahrerstammtischs ist rund 20 Jahre alt. Polizeihauptkommissar Rainer Bernickel aus Nordrhein-Westfalen hat es im Jahr 2002 aus der Taufe gehoben und an der A1 auf der Raststätte Münsterland Ost den ersten Stammtisch angeboten. Seitdem sind viele Polizeidienststellen seinem Beispiel gefolgt und haben weitere Locations in ganz Deutschland etabliert. „Die Idee hinter dem Projekt war und ist es immer noch, mit den Lkw-Fahrerinnen und -fahrern ins Gespräch zu kommen: mit ihnen zu reden statt über sie“, erklärt Andrea Möller. „Die Fahrerinnen und Fahrer sind dankbar, wenn wir als Polizei ihnen zuhören. Wir wissen ja auch , was auf der Straße los ist und begegnen uns hier auf Augenhöhe.“

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