Text: Juliane Gringer
Fotos: Oliver Soulas Fraunhofer-Gesellschaft, David Ausserhofer, Fraunhofer FOKUS
Die Verkehrsinfrastrukturen großer Städte stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Immer mehr Lieferdienste und individuelle Mobilitätsangebote verstopfen die Straßen. Ist automatisiertes Fahren die Rettung? Macht es die urbane Mobilität sicherer, effizienter und sauberer – oder bringt es nur noch mehr Fahrzeuge in die Metropolen und provoziert damit den Kollaps?
In Berlin wird zwischen Ernst-Reuter-Platz und Brandenburger Tor der Einsatz autonomer Fahrzeuge mitten im Alltagsverkehr erforscht: Das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme FOKUS schickt auf dieser rund vier Kilometer langen Teststrecke mehrere hochautomatisierte Autos auf die Straße, damit diese lernen, zuverlässig und in Echtzeit die Umgebung wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Kameras und Laser an Bord scannen im 360-Grad-Radius permanent ab, was rundherum passiert. Die Technologie des autonomen Fahrens entwickelt sich rasant weiter. Aber können die Städte bei diesem Tempo mithalten?
Für Dr. Ilja Radusch, Leiter des Geschäftsbereichs Smart Moblity des Fraunhofer-Instituts FOKUS, liegen im automatisierten Fahren vor allem viele Chancen: „Der urbane Verkehr stellt Städte vor große Herausforderungen. Die Konzepte, die momentan gelebt werden, sind 30 bis 40 Jahre alt und setzen vor allem auf Verbote und Reduktion. Ich denke, dass die Digitalisierung hier mehr Dynamik bringen kann und dass man mithilfe von Vernetzung und Automatisierung die gewünschten Ziele wie eine Minimierung des Schadstoffausstoßes erreichen kann – und dabei gleichzeitig die notwendige Mobilität der Menschen erhält.“
Weniger Schadstoffe – mehr Sicherheit
»Mithilfe von Vernetzung und Automatisierung kann man den Schadstoffausstoß minimieren – und dabei gleichzeitig die Mobilität der Menschen erhalten.«
Dr. Ilja Radusch, Leiter des Geschäftsbereichs Smart Mobility am Fraunhofer-Institut FOKUS
Ohne Rechtsrahmen droht der Kollaps
Martina Hertel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), ist skeptisch. Sie glaubt, dass sich der Einsatz fahrerloser Autos in Städten nicht durchsetzen wird, sondern dass es nur bis zur Hochautomatisierung kommt: Dabei muss das System nicht mehr dauernd überwacht werden, sondern blinkt beispielsweise selbständig und die wechselt die Spur. „Wir gehen außerdem davon aus, dass das automatisierte und vernetzte Fahren in den Städten keine Verkehrsprobleme lösen wird“, so Hertel.
»Autonomes Fahren ist zu teuer, fremdgesteuert, langsam und platzaufwendig, technisch noch zu anfällig, zu unpersönlich, zu wenig integriert und zu wenig stadtverträglich.«
Martina Hertel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu)
Verkehrspolitik braucht eine neue Richtung
Dass autonome Autos eher für mehr Verkehr auf den Straßen sorgen als dass sie ihn verringern, besagt auch eine Studie, die im Auftrag des Weltwirtschaftsforums und des Beratungsunternehmens Boston Consulting entstanden ist: „Autonome Fahrzeuge (AVs) werden den Verkehr in bereits überfüllten Stadtzentren erhöhen, nicht verringern“, sagen die Autoren. Denn ein Tür-zu-Tür-Service mit garantiertem Sitzplatz und bequemer Buchung sei damit zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen möglich. Und bei Strecken unter vier Meilen würden die Nutzer sie dem ÖPNV sicher häufiger vorziehen. Das sorgt dann für mehr Verkehr – gerade da, wo es sowieso schon eng ist: in den Innenstädten. Im gesamten Stadtgebiet könnten der Studie nach autonome Autos die Gesamtzahl der Fahrzeuge reduzieren, kürzere Reisezeiten ermöglichen und damit Staus, Lärm sowie Schadstoffbelastung verringern.