Warum bleibt der Lang-Lkw ein Nischenprodukt?

Lesezeit: ca. 3 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Kühne + Nagel

Kühne + Nagel setzte in Hamburg einen der ersten Lang-Lkw Deutschlands ein. Zehn Jahre später lautet das Resümee: Das Konzept spart Kosten, hilft beim Klimaschutz und sogar gegen Fahrermangel. Doch der Ausbau des Positivnetzes geht zu langsam voran.

Es liegt schon ein ganzes Jahrzehnt zurück, dass Holger von der Heide, Manager für Quality, Safety, Health, and Environment (QSHE) und Truck & Fleet Manager bei Kühne + Nagel in Hamburg, zum ersten Mal vor einem Lang-Lkw stand. „2012 auf der IAA in Hannover haben mein damaliger Niederlassungsleiter und ich den Gigaliner gesehen – eine Kooperation von MAN und Krone. Wir haben direkt das erste Fahrzeug bestellt“, erinnert er sich: „Aus Neugier, aus Freude an Innovation und weil er ökonomische und ökologische Vorteile versprach.“ Die Trucks, die bis zu 25,25 Meter lang sein dürfen, liefen damals noch als Feldversuch, den das Bundesverkehrsministerium 2011 gestartet hatte. Zum 1. Januar 2017 wurden die Lang-Lkw für den Verkehr in Deutschland zugelassen, jedoch nur auf ausgewählten Straßen, im sogenannten Positivnetz.

Holger von der Heide räumt direkt mit einem Vorurteil auf: „Viele denken, ein Lang-Lkw ist stärker beladen und damit schwerer – und schadet deshalb der Infrastruktur. Aber auch bei diesem Zug darf man 40 Tonnen nicht überschreiten.“ In einem Projekt mit der Universität Dresden, an dem Kühne + Nagel teilgenommen hat, wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass Lang-Lkw keine verstärkten Straßenschäden verursachen. „Wir haben Achslastprotokolle geführt und die Daten den Forschenden zur Verfügung gestellt. Die Auswertung hat gezeigt, dass die Infrastruktur durch Lang-Lkw nicht stärker belastet wird.“ Auch die Bundesanstalt für Straßenwesen stellte in ihrem Bericht zum Feldversuch nicht nur fest, dass zwei Lang-Lkw-Fahrten drei Fahrten mit herkömmlichen Lkw ersetzen und dass Effizienzgewinne sowie Kraftstoffersparnisse zwischen 15 und 25 Prozent erzielt werden – sie konstatierte ebenfalls, dass es nicht zu erhöhtem Erhaltungsaufwand für die Infrastruktur kommt und auch nicht zu Verlagerungseffekten von der Schiene auf die Straße. Flächendeckend durchgesetzt hat sich dieses Fahrzeugkonzept in Deutschland bisher trotzdem nicht. Warum?

»Viele denken, ein Lang-Lkw ist schwerer und schadet deshalb der Infrastruktur. Aber auch bei diesem Zug darf man 40 Tonnen nicht überschreiten.«

Holger von der Heide, Manager für Quality, Safety, Health, and Environment (QSHE) bei Kühne + Nagel

Was man für die Transporte braucht, sind Kundinnen und Kunden mit entsprechender Ware: viel Volumen bei wenig Gewicht, am besten palettierte Ware. So ein passendes Unternehmen war bei Kühne + Nagel schnell gefunden: ein Einzelhändler, der Non-Food-Artikel wie Handtücher, Toaster oder Sportartikel von einem Lager in Mecklenburg-Vorpommern nach Bremen bringen und auf dem Rückweg Retouren laden wollte. „Das war eine Win-win-Situation: Die Kosten wurden reduziert, die Umwelt geschont – und es konnte mehr Ware in kürzerer Zeit transportiert werden“, sagt Denis Fähnders, der bei Kühne + Nagel für den Einkauf von Trucks, Trailern und Gabelstaplern zuständig ist. Einziger Haken: Der direkteste Weg für diesen Transport führte durch fünf Bundesländer, von denen mehrere die Durchfahrt für Lang-Lkw damals noch nicht erlaubten. „In der Anfangsphase mussten wir kurz vor der Bremer Landesgrenze den Zug auseinandernehmen und nacheinander damit in das GVZ Bremen fahren“, erinnert sich Holger von der Heide. Erst Gespräche mit dem Verkehrssenator führten dazu, dass eine Sondergenehmigung erlassen wurde.
Das Team von Kühne + Nagel hat die Erfahrung gemacht, dass der Lang-Lkw auch dem Fahrermangel entgegenwirken kann. Und zwar nicht nur, weil jeweils nur ein Fahrer oder eine Fahrerin für die Ladung von zwei Fahrzeugen gebraucht wird. Die Person hinter dem Steuer wird auch weniger belastet. „Wir können dafür sehr gut etwas ältere Mitarbeitende einsetzen, die körperlich nicht mehr 20 Stopps am Tag schaffen“, sagt von der Heide. Auch dass das Fahrzeug selbst außergewöhnlich sei, trage zu seinem Erfolg bei: „So ein extra langer Lkw in unseren Unternehmensfarben, das ist auch ein Prestigeobjekt, auf das das Personal stolz ist. Das motiviert und bringt Spaß an der Arbeit. Und es erhöht die Chance, neue Mitarbeitende zu gewinnen.“

»So ein extra langer Lkw in unseren Unternehmensfarben, das ist auch ein Prestigeobjekt, auf das das Personal stolz ist.«

Holger von der Heide, Manager für Quality, Safety, Health, and Environment (QSHE) bei Kühne + Nagel

Seit der Kunde mit der Route zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Bremen sein Lager geschlossen hat, ist von drei Fahrzeugen, die Kühne + Nagel angeschafft hat, nur noch eins im Einsatz. Es holt täglich Tierbedarfsartikel von der dänischen Grenze. „Die Fahrzeuge sind jedoch sehr flexibel: Die Sattelauflieger nutzen wir einzeln, das Wechselbrückenfahrzeug auch“, so Denis Fähnders. „Noch ein Argument mehr für den Lang-Lkw.“ Die Gigaliner von Kühne + Nagel sind mit Trailerfahrwerken von BPW ausgestattet. „Weil bei einem Lang-Lkw insgesamt noch mehr Achsen im Zug sind, ist umso wichtiger, dass die robust und langlebig sind. Deshalb haben wir uns für BPW entschieden: Wir schätzen die herausragende Qualität der Produkte und pflegen eine lange und sehr gute Partnerschaft mit dem Unternehmen.“ Für Fähnders muss im Einkauf zudem der Service stimmen: „Auch da machen wir sehr gute Erfahrungen mit BPW.“

»Die Fahrzeuge sind sehr flexibel: Die Sattelauflieger nutzen wir einzeln, das Wechselbrückenfahrzeug auch. Noch ein Argument mehr für den Lang-Lkw.«

Denis Fähnders, bei Kühne + Nagel verantwortlich für den Einkauf von Trucks, Trailern und Gabelstaplern

Das Team von Kühne + Nagel würde sich dringend wünschen, dass der Lang-Lkw viel stärker in den Praxiseinsatz kommt. Schwierig sei unter anderem, dass man mit einem Gigaliner kein Gefahrgut bewegen dürfe. „Das kommt aber im Systemverkehr immer mal wieder vor“, so Holger von der Heide. Die größte Herausforderung bleibe aber der Ausbau der erlaubten Strecken: „Teilweise dürfen wir neue Gewerbegebiete nicht ansteuern, weil die noch nicht genehmigt sind.“ Der Prozess, über den neue Strecken ins Positivnetz aufgenommen werden, sei langwierig. „Uns fehlen dann oft die letzten Meter: Wir sehen den Kunden von der Autobahn aus, dürfen aber nicht ranfahren. Das blockiert uns. Und es verhindert den Durchbruch dieses Fahrzeugkonzepts mit seinen vielen Vorteilen.“
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