Wo bleiben die Lkw mit alternativen Antrieben?

Lesezeit: ca. 10 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Volvo Trucks, SPD-Parteivorstand – Benno Kraehahn, BPW

Um Güter emissionsfrei zu transportieren, braucht man Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Spediteure klagen seit Langem darüber, dass solche Fahrzeuge nicht verfügbar sind. Stimmt das? motionist.com hat drei Seiten in einer Videokonferenz zusammengebracht: Peter Prijak, Director New Vehicle Sales bei Volvo Trucks, Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, und Wolfgang Thoma, Geschäftsführer der Spedition Ansorge. Ein Streitgespräch zwischen Hersteller, Logistiker und Politik.

Herr Thoma, als Unternehmer sollen Sie die Klimaziele der Regierung umsetzen. Bieten die Hersteller Ihnen die passenden Fahrzeuge dazu?

Wolfgang Thoma: Für mich gehört es zur Kernkompetenz der Hersteller, Entwicklungen vorherzusehen, Feldversuchszyklen zu initiieren und uns Verbrauchern die richtigen Produkte anzubieten. In Sachen alternative Antriebe ist das jedoch kläglich gescheitert. Als wir uns 2013 nach so einer Technologie umgesehen haben, haben die Hersteller sich in keiner Form dafür geöffnet. Fairerweise muss man sagen, dass ab 2015 mit dem Pariser Klimaschutzabkommen dann doch durchaus ein Ruck durch die Branche gegangen ist. Doch 2013 wurden wir mit unserem Wunsch noch gar nicht gehört. Daher haben wir eigene Wege beschritten und in Kooperation mit Partnern wie MAN und der bayerischen Staatsregierung eine rein elektrische Zugmaschine konstruiert: ELIAS ist ein vollelektrischer Schlepper mit 400-Kilowatt-Batterien, der bis zu 44 Tonnen ziehen kann. Wir beabsichtigen, damit hochfrequente Shuttle-Verkehre auf kurzer Strecke sowie die Vor- und Nachläufe zum kombinierten Verkehr zu absolvieren.

Herr Prijak, hätte sich Herr Thoma die Mühe sparen können, dieses Mammutprojekt zu stemmen, und einfach Sie angerufen?
Peter Prijak: Ich kann natürlich ausschließlich für das Unternehmen sprechen, das ich hier repräsentiere, und nicht für die gesamte Nutzfahrzeugbranche. Unsere Strategie bei Volvo ist klar, und die verfolgen wir auch nicht erst seit 2015. Nachhaltigkeit gehört seit jeher zu unseren Kernwerten. Im Verteilerverkehr sehen wir eine ganz klare Fokussierung auf Elektro. Im Streckenverkehr ist für uns LNG, also flüssiges Gas, die Brückentechnologie für die kommenden 10 bis 15 Jahre, bis die Brennstoffzelle serienreif ist. Wir können in beiden Formen marktfähige Fahrzeuge anbieten: Die Corona-Pandemie hat die Auslieferung im Bereich Elektro etwas verzögert, aber was LNG angeht, haben wir in Deutschland bereits mehr als 200 Fahrzeuge erfolgreich im Einsatz – nach heutigem Stand kann man damit 20 Prozent Emissionen sparen. Mit Bio-Flüssiggas wird man damit annähernd CO2-neutral unterwegs sein. Diese Fahrzeuge kann man seit der IAA 2018 bei uns bestellen. Und marktreif sind auch die Elektrofahrzeuge für den Verteilerverkehr.

»LNG und Elektro: Wir können in beiden Formen marktfähige Fahrzeuge anbieten.«

Peter Prijak, Director New Vehicle Sales, Volvo Trucks Deutschland

Wenn Sie dennoch mal auf Ihre Kollegen gucken: Hat die Nutzfahrzeugbranche rechtzeitig angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen? Und sind es die technischen Hürden, die alternative Antriebe ausbremsen, oder war Diesel einfach zu lange zu attraktiv?

Peter Prijak: Ich möchte vorwegschicken, dass dem Diesel, so wie er momentan betrachtet wird, auch ein bisschen Unrecht getan wird. Dort konnten in den vergangenen Jahren immense Einsparungen bei den Emissionen erreicht werden. Eine moderne 40-Tonnen-Sattelzugmaschine im Standard-Verteilerverkehr verbraucht 30 oder auch nur 28 Liter. Volvo verpflichtet sich zum Green Deal: Wir haben hier eine klare Vision, die wir mit der Europäischen Kommission teilen, und wir verstehen uns als Bestandteil einer Gesellschaft, die sich weiterentwickeln möchte. Man sollte berücksichtigen: Wir mussten in den vergangenen Jahren die Entwicklung des Dieselfahrzeugs vorantreiben, gleichzeitig LNG entwickeln und parallel das Elektrothema, während wir in der Brennstoffzelle die wahrscheinlich am besten geeignete Lösung sehen. Wir haben dazu mit Daimler ein Joint Venture gegründet. Das alles ist natürlich mit immensen Investitionen verbunden. Gleichzeitig ist der Kostendruck in der Branche hoch.

Frau Lühmann, wie können Sie den Herren helfen? Was haben Sie bereits auf den Weg gebracht, und was wollen Sie in Zukunft tun?

Kirsten Lühmann: Die Politik hat ein Problem: Wir sind in der Regel mit Kräften konfrontiert, die sehr weit auf der einen oder sehr weit auf der anderen Seite stehen. Und Extreme sind nie gut. Die einen sagen, wir bräuchten gar nichts zu machen, mit optimiertem Diesel laufe das schon alles. Die anderen wollen ihn so schnell wie möglich verbieten. Das eine ist aus meiner Sicht technisch nicht möglich, das andere ist politisch Quatsch. Ich gebe Herrn Prijak recht, dass Volvo schon sehr viel getan hat. Auf der IAA 2018 hatte das Unternehmen einen kompletten Stand nur mit LNG-Fahrzeugen. Das war ein Statement! Wir haben eine Kaufprämie für LNG-Schwerlast-Lkw eingeführt und dann noch zusätzlich die Mautbefreiung umgesetzt, die bis 2023 verlängert wurde.

»Mehr als fördern können wir nicht, entwickeln muss dann wirklich die Industrie.«

Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Was denken Sie: Haben die Hersteller alternative Antriebe verschlafen?

Kirsten Lühmann: Ich habe mir bei VW Nutzfahrzeuge vor anderthalb Jahren ein 7,5-Tonnen-Brennstoffzellenfahrzeug angeschaut, das eigentlich schon auf der Straße sein sollte – was es aber nicht ist, weil es augenscheinlich noch Probleme gegeben hat. Das sind natürlich Dinge, die uns in der Politik auch ratlos machen. Mehr als fördern können wir nicht, entwickeln muss dann wirklich die Industrie.

Peter Prijak: Ich kann aus meiner Sicht der deutschen Politik hier ein dickes Lob aussprechen. Wir bekommen durch die Förderungsinstrumente tatsächlich wichtige Impulse. Für unsere Kunden ist unter anderem auch der Ausbau des LNG-Netzes wichtig: Sie brauchen nicht nur Unterstützung beim Kauf, sondern auch die passende Infrastruktur zum Tanken der Flotte. Da gibt es derzeit eine gute Perspektive mit dem schnellen Ausbau des Netzes.

Wolfgang Thoma: Entschuldigen Sie, aber wäre es nicht die ureigene Aufgabe der Nutzfahrzeugindustrie gewesen, eine Ladeinfrastruktur in einem ganzheitlichen System zur Verfügung zu stellen? Ich fahre Tesla. Da ist so ein Amerikaner über den Teich rübergekommen und hat um die 120 eigene Ladestationen installiert – und wir rufen immer nach der Politik oder der Regierung! Ich finde, da hat sich die Nutzfahrzeugbranche bisher nicht richtig fordern lassen – oder was meinen Sie, Frau Lühmann?

Kirsten Lühmann: Tesla ist gerade in dem Punkt für mich ein schlechtes Beispiel. Ja, das Unternehmen hat ein weltweites Netz ausgerollt, aber es hat auch immer noch keine Gewinne eingefahren, produziert also in die Zukunft. Das muss ja nicht verkehrt sein, aber die Lkw-Hersteller in Europa sind als etablierte Branche darauf angewiesen, das anders zu handhaben. Zudem produziert Tesla nur Elektrofahrzeuge, muss also auch nur ein System aufbauen. Wie wir hier schon besprochen haben, arbeiten die großen Hersteller aber an verschiedenen Technologien. Wir sehen als Politik sehr wohl, dass das immensen Aufwand in der Forschung und Entwicklung bedeutet. Wir erwarten auch, dass dieser Aufwand betrieben wird. Wenn wir jetzt aber gleichzeitig sagen, für jeden Strang soll noch eine Lade- oder Tankinfrastruktur aufgebaut werden, würde das die Industrie überfordern. Deshalb arbeiten wir mit Förderungen – und das so lange, bis wir uns auf eine Technologie geeinigt haben. Wenn es sich klarer ausmodelliert, werden wir auch eine vernünftige Infrastruktur haben.

Wolfgang Thoma: Jetzt haben Sie der Nutzfahrzeugbranche eine Vorlage geboten, doch so darbend ist die ja nun nicht. Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten fette Gewinne eingefahren. Ich bin bei Ihnen, dass sich bei diesen vier, fünf Antriebstechniken, zu denen ich den Diesel noch dazuzähle, ein Wettstreit um den Favoriten entwickeln muss. Aber Sie können mir nicht erzählen, dass so eine Institution wie VW nicht in der Lage wäre, das beste Antriebssystem für die Zukunft in Feldversuchen zu erproben beziehungsweise richtungsweisende Planungen durchzuführen. Das ist Unternehmertum! Davon bin ich geprägt, und ich sage Ihnen, die Nutzfahrzeugbranche hätte solche Entwicklungen initiieren müssen. Dann wüsste sie schon längst, wo es langgeht.

»Die Nutzfahrzeugbranche hätte die Entwicklung zukunftsfähiger Antriebe initiieren müssen. Dann wüsste sie schon längst, wo es langgeht.«

Wolfgang Thoma, Geschäftsführer der Spedition Ansorge

Kirsten Lühmann: Bei der Entwicklung bin ich absolut Ihrer Meinung, Herr Thoma, aber nicht beim Tankstellennetz. Das war der Unterschied.

Peter Prijak: Darf ich an dieser Stelle auch eine ganz klare Meinung sagen: Man tut unserer Branche Unrecht, wenn man so pauschal sagt, dass sie in der Vergangenheit Aufgaben nicht erledigt oder unglaubliche Renditen erwirtschaftet hat. Wie die meisten anderen Hersteller sind wir eine Aktiengesellschaft. Man kann sehr klar nachvollziehen, wo die Gewinne hingehen, und am Ende des Tages müssen wir uns natürlich den Anforderungen unserer Aktionäre stellen. Unser Hauptaktionär ist ein schwedischer Rentenfonds. Das sind keine Leute, die Risikokapital geben wollen oder an der Börse zocken, sondern es stehen unzählige Kleinsparer dahinter, die sich eine sichere Anlage wünschen. Und: die Volvo Group ist ein reiner Hersteller von Nutzfahrzeugen, Baumaschinen und Motoren. Wir subventionieren nichts quer, wir spezialisieren uns auf das, was wir am besten können. Deshalb betreiben wir auch keine Tankstellennetze und Ladestationen oder bieten Strom an. Ich glaube, so was kann nur im Formschluss passieren, und die Politik hat hier sehr gute Anreize geliefert.

Wie erleben Sie die Nachfrage nach den alternativen Antrieben – steigt die stark an?

Peter Prijak: Ja. Uns fällt auch auf, dass durch den Ausbau des LNG-Tankstellennetzes, aber eben auch aufgrund der Förderung durch die Politik, das Interesse plötzlich auch von Kunden da ist, bei denen die Türen vorher verschlossen schienen. Viele orientieren sich neu, die Unternehmer entdecken die Vorteile. Zum Beispiel beim Verbrauch, wo man bei ungefähr 120.000 Kilometern Jahreslaufleistung nach drei Jahren rund 35.000 Euro gespart hat, ganz unabhängig von der Förderung. Der höhere Anschaffungspreis rentiert sich also auch darüber schon.

Wolfgang Thoma: Die Nutzfahrzeugbranche versucht, Techniken anzubieten, die für sie gangbar sind in Bezug auf Rendite und so weiter. Das ist unternehmerisch legitim, damit habe ich auch kein großes Problem. Nur führt dann nicht die technische Konzeption zu einem veränderten Kaufverhalten, sondern die staatliche Subvention. Für die Gas-Lkw hat sich jahrelang niemand interessiert, ich habe das bei Iveco beobachtet. Dann kommen die Mautbefreiung und Unterstützungen im Kaufanreiz – und plötzlich ist ein technisches Produkt, das zuvor nicht en vogue war, sehr gefragt. Es ist sicher so, dass man Anreize schaffen muss, aber ich bin der Meinung, dass diese Anreize von der Branche selbst durch eine frühe Entwicklung hätten kommen müssen.

Noch einmal konkret aus Ihren individuellen Perspektiven: Null Emissionen bis 2050 – was ist notwendig, um dieses Ziel zu erreichen? Was können Sie tun, und was wünschen Sie sich von den jeweils anderen Gesprächspartnern hier?

Kirsten Lühmann: Wichtig ist, dass die Entwicklung der Antriebstechnologien weitergeht. Was ich mir wünsche, ist, dass die Branche offen ist und uns ehrlich sagt, was sie braucht, ohne dass die Beteiligten sich gegenseitig ausstechen wollen. Wir brauchen eine geeinte Meinung von den Verbänden statt vieler Einzelmeinungen. Ich bleibe dabei, dass die Entwicklung Sache der OEMs ist. Der Ausbau des Tankstellennetzes wird von der Politik gefördert. Ich wünsche mir, dass wir synthetische Kraftstoffe unterstützen, und wenn die Hersteller sich da engagieren, wäre das eine sehr große Hilfe.

Wolfgang Thoma: Wir werden die alternativen Antriebstechnologien weiterverfolgen, ob nun E-Mobilität auf Batteriebasis, Gas, synthetischer Kraftstoff, Wasserstoff, Brennstoffzelle – allerdings als passive Marktbeobachter. Wir werden sie erst dann in Anspruch nehmen, wenn vernünftige Technik, vielleicht auch mit Unterstützung des Staates, etabliert wird. Was mir besonders am Herzen liegt, ist die Stärkung des Schienenverkehrs, weil wir als Unternehmer, als Spediteure und Logistiker viele strukturelle Probleme mit dem Güterverkehr verbinden. Überall dort, wo wir die Schiene im Fernverkehr sinnbringend einsetzen können, wollen wir das tun.

Peter Prijak: Was wir als Hersteller dazu beitragen können, habe ich dargelegt. Wir können zudem weiter in Richtung Brennstoffzelle gehen – gemeinsam, denn das kann keiner alleine schultern. Wünschenswert sind für uns klare, langfristige und verbindliche Richtlinien. Dann können wir noch zielgerichteter entwickeln. Wir sind als Unternehmen auf jeden Fall bereit, unseren Beitrag zur Mobilität der Zukunft in unserer Gesellschaft zu leisten.

Click to rate this post!
[Total: 10 Average: 4.9]

Previous

Next

1 Kommentar

  1. Toller und informativer Artikel!

    Antworten

Sagen Sie uns Ihre Meinung zum Artikel

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert