„Wir bekommen schon bald britische Verhältnisse“

Lesezeit: ca. 4 Minuten Text: Karsten Pohl Fotos: Karsten Pohl, Truck-Grand-Prix

Nürburgring im Juli 2022, ein Samstagnachmittag am Rande des Truck-Grand-Prix. Wir sind im Gespräch mit den Berufskraftfahrern Peter Matthies, René Werner und Michael Finkbeiner, der gleichzeitig auch Spediteur ist. Sie berichten von ihren Herausforderungen – und erklären, warum sie den Fahrerjob trotzdem immer noch lieben.

Meine Herren, was gefällt Ihnen an Ihrem Job?

MICHAEL FINKBEINER: Ich bin ein Vagabund, gerne unterwegs. Fremde Länder und Menschen sehen – das war schon immer mein Ding. Ich habe eher Fernweh als Heimweh.

PETER MATTHIES: Ich bin gerne unabhängig. Ich bekomme eine Tour vorgegeben und fahre dann so, wie ich mir das vorstelle.

RENÉ WERNER: Ich komme aus der ehemaligen DDR. Fremde Länder kennenzulernen, das hat mich immer gereizt. Auf dem Bock habe ich vom Polarkreis bis nach Süditalien, von Portugal bis Russland alles abgefahren.

»Ich habe eher Fernweh als Heimweh.«

Michael Finkbeiner, Berufskraftfahrer und Inhaber von Kaiko Transporte in Freiburg
Und was gefällt Ihnen nicht so gut?

MICHAEL FINKBEINER: Da gibt es eine lange Liste. Mit Corona wurden wir erst als Helden gefeiert, aber gleichzeitig wurden die Preise in den Keller gedrückt. Ich spreche jetzt mal als Unternehmer: Vor Corona hatte ich acht Fahrzeuge, jetzt sind es nur noch zwei. Ich fühle mich von der Politik im Stich gelassen, weil weiter auf Preisdruck gesetzt wird. Der Markt sollte es regeln – aber das tut er nicht. Ich war deswegen sogar in Berlin demonstrieren. Die Pandemie geht irgendwann vorbei. Aber wenn es uns Fernfahrer nicht mehr gibt, wer bringt dann die Lebensmittel? Noch gibt es immer alles in den Läden, aber bald haben wir britische Verhältnisse: leere Geschäfte. Ich denke, das passiert noch in diesem Jahr.

RENÉ WERNER: Wir fahren ja nicht nur, wir sind auch noch Lageristen: Bei fast allen Kunden müssen wir heute den Wagen selbst be- und entladen, ansonsten brauchen wir da gar nicht mehr hinzufahren. Aber wir sind nicht nur Fahrer und Lageristen, wir disponieren auch noch, müssen sehr flexibel sein. Wir haben üblicherweise einen 14- oder 15-Stunden-Tag.

PETER MATTHIES: Ich hätte auch gerne einen 8-Stunden-Tag, wenn ich davon leben könnte.

MICHAEL FINKBEINER: Ich sag es mal so: Wir sind eigentlich immer die Deppen. Wir stehen quasi immer mit einem Bein im Knast und mit dem anderen im Grab. Wenn wir mal fünf Minuten zu lange unterwegs sind, weil wir nach Hause wollen, machen wir uns gleich strafbar. Fahrer aus anderen Ländern, die oft mehrere Wochen am Stück in ihrem Fahrzeug verbringen, was gesetzlich nicht erlaubt ist, werden selten belangt. Es gibt in ganz Deutschland genau 80 Beamte, die das verfolgen – viel zu wenig bei 18.000 Transporten täglich. Selbst wenn diese Beamten rund um die Uhr arbeiten würden, könnten sie nicht mal annähernd ein Prozent aller Transporte überprüfen. Und sie überprüfen ja auch die, die nicht gesetzeswidrig fahren. Das heißt, sie haben eine Erfolgsquote von vielleicht 60 oder 70 Prozent. Das ist viel zu gering.

»Ich hätte auch gerne einen 8-Stunden-Tag, wenn ich davon leben könnte.«

Peter Matthies, seit mehr als 40 Jahren Lkw-Fahrer, derzeit für das Unternehmen IFL International Food Logistics aus dem Rheinland
Das hört sich nicht gut an. Was müsste sich Ihrer Meinung nach schnellstens ändern?

MICHAEL FINKBEINER: Die einheimischen Spediteure sollten mehr gefördert werden, damit endlich dieser Preiskampf mit den ausländischen Firmen unterbunden wird. Momentan wickeln die die Hälfte der Transporte in Deutschland ab. Man hat über Jahre nicht eingegriffen, und jetzt ist die Lage so ernst, dass das gar nicht mehr auf die Schnelle geändert werden kann.

RENÉ WERNER: Viele fahren mit zwei Fahrern rund um die Uhr, damit sie überhaupt über die Runden kommen. Wenn die strikt nach Gesetz unterwegs wären, würden nicht 80.000 Fahrer fehlen, wie es heißt, sondern wahrscheinlich sogar 220.000.

PETER MATTHIES: Nach der Wende im Jahr 1990 hat es geheißen, es gebe genug Fahrer, wir müssten keine mehr ausbilden. Diese Fahrer sind aber mittlerweile fast alle nicht mehr da. Deswegen hat man sich immer weiter in Richtung Osten orientiert, wo man sich einen Lkw-Führerschein kaufen und sofort losfahren kann. Bei uns wird immer nach Qualifikation geschrien, aber es interessiert hier niemanden, was hinter der Grenze passiert.

MICHAEL FINKBEINER: Ein Fahrer aus Deutschland kostet mich als Unternehmer etwa 4.000 Euro im Monat. Ein Fahrer aus Osteuropa nur 1.000 – das ist kein fairer Wettbewerb.

Straßenverkehrsrecht und Straßenverkehrszulassungsordnung müssen geändert werden. Das Arbeitszeitrecht muss geändert werden, genau wie das Personalbeförderungsgesetz. Wir müssen für die Ordnungskräfte einen einheitlichen Zugang zu allen Führerscheindaten in Europa schaffen. Wirklich dringend!

PETER MATTHIES: Auch die Straßensanierung muss anders geregelt werden. Es wird bisher nicht bedarfsgerecht repariert, sondern dann, wenn es die Planung vorsieht. Ob da vorher schon eine Baustelle war oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Dann wird die Straße eben noch mal gesperrt! Es gibt Autobahnen, die wurden in einem Jahr dreimal gesperrt, weil sie Stück für Stück saniert wurden. Einmal kam eine neue Teerdecke drauf, dann wurde die Bankette neu gemacht, dann die mittlere Leitplanke erneuert – und jedes Mal Vollsperrung! Außerdem müssen die Bauzeiten verkürzt werden. Es werden Baustellen nicht zu Ende geführt, bevor eine neue angefangen wird. Es kommt Baustelle an Baustelle an Baustelle – und nirgendwo sieht man Baufahrzeuge. Es nützt mir nichts, wenn jemand fünf Bagger hat, aber nur einen Baggerfahrer, und den jagt er immer von einer Baustelle zur anderen, nur weil er unbedingt Staatsaufträge haben will. Eine Autobahn muss kontinuierlich zu Ende repariert werden, und zwar dann, wenn es nötig ist, und nicht im Fünfjahresplan.

»Viele fahren mit zwei Fahrern rund um die Uhr, damit sie überhaupt über die Runden kommen. Wenn die strikt nach Gesetz unterwegs wären, würden nicht 80.000 Fahrer fehlen, wie es heißt, sondern wahrscheinlich sogar 220.000.«

René Werner, Lkw-Fahrer bei TM-Transporte in Viersen
Wie würden Sie das ändern?

PETER MATTHIES: Die Politik sollte mindestens für einen Zeitraum von 20 Jahren planen. Habe ich zum Beispiel auch in 20 Jahren noch genug Fahrer? Politiker schauen immer nur auf die nächste Legislaturperiode, auf die nächsten vier Jahre und nicht weiter.

RENÉ WERNER: Deutschland sollte sich auch andere Länder zum Vorbild nehmen. In Belgien habe ich vor Jahren bei Antwerpen ein Baustellenschild auf der Autobahn gesehen, auf dem stand: „Gebt uns 30 Tage, wir geben euch 30 Jahre.“ Nach 29 Tagen waren die fertig mit der neuen Autobahn.

MICHAEL FINKBEINER: Die Regeln müssen geändert werden. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie viele Fahrer schlecht ausgebildet sind: EU-weit gelten für alle die gleichen Normen – aber mir kann keiner erzählen, dass diese Normen auch eingehalten werden. Ich sehe ja, was auf der Straße los ist, wie viele Unfälle passieren. Das ist auch eine Frage der Ausbildung. Inzwischen kommen die Fahrer, die bei uns herumfahren, von immer weiter her. Das ist wie bei der Containerschifffahrt. Ich bezweifle, dass Fahrer aus Indien oder von den Philippinen eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer gemacht haben, die drei Jahre dauert.

Wie ließe sich der Fahrermangel Ihrer Meinung nach beheben?

RENÉ WERNER: Der Zugang zum Beruf muss erleichtert werden. Das muss billiger werden. Und die Arbeitsbedingungen für die Fahrer müssen besser sein. Wenn ich jetzt so in die Runde gucke, wie alt wir alle sind … wir sind die letzte Generation, es gibt fast keinen Nachwuchs. Kaum einen, der sich den Führerschein leisten kann. Wer macht dann den Job? Ich weiß nicht, worauf die Politik setzt: auf selbstfahrende Lkw? Wer den Job einmal gemacht hat, der weiß, dass es das nicht geben wird.

MICHAEL FINKBEINER: Ein Lkw-Führerschein kostet zwischen 8.000 und 10.000 Euro. Wenn ich als Unternehmer jemanden überzeugen kann, den Führerschein zu machen, dann muss ich ihm den in der Regel bezahlen. Er hat vielleicht den Idealismus, aber ich habe das Risiko. Was, wenn er nach drei Monaten sagt: „Hasta la vista, es war nett, aber das ist nicht meine Welt – so hab ich’s mir nicht vorgestellt“? Deswegen müssen die Bedingungen für die Fahrer besser werden. Bessere Bezahlung, bessere Arbeitszeiten, weniger Fahrer aus Billiglohnländern auf unseren Straßen. In Spanien wurde verboten, dass Fahrer be- und entladen. Sie wurden auch vom Ladungssicherungsgesetz ausgeschlossen. Wenn es der Fahrer dennoch macht, muss er 6.400 Euro Strafe zahlen. Das Gesetz wurde in drei Monaten durchgeboxt, damit sie in Spanien wieder mehr Fahrer finden. In Deutschland denkt man über so was erst noch nach.

Die Fahrer

Michael Finkbeiner ist Berufskraftfahrer und Spediteur in Personalunion. Zusammen mit Marco Finkbeiner betreibt er die Firma Kaiko Transporte in Freiburg. Der 51-Jährige fährt seit 1990 sowohl Kurz- als auch Langstrecken und transportiert vor allem Lebensmittel.

Peter Matthies, 64, fährt bereits seit mehr als 40 Jahren Lkw. Derzeit ist er für das Unternehmen IFL International Food Logistics aus dem Rheinland unterwegs.

René Werner, 60, ist seit 1988 Kraftfahrer. Er fährt Container und Schrott für TM-Transporte aus Viersen innerdeutsch und in die Benelux-Länder.

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1 Kommentar

  1. Gut auf den Punkt gebracht. Sachliche Schilderung einer dramatischen Lage.

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