Wer übernimmt die Nachfolge?

Lesezeit: ca. 4 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: DIHK/Paul Aidan Perry, Rüdinger Spedition, Shutterstock

Wenn die eigenen Kinder die Spedition nicht übernehmen, muss eine andere Lösung gefunden werden. Dr. Marc Evers, Leiter des Referats Mittelstand, Existenzgründung, Unternehmensnachfolge des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), erklärt, wie man die passende Person für die Nachfolge findet – und wann man mit der Suche beginnen sollte.

Die Industrie- und Handelskammern beraten jedes Jahr etwa 30.000 Unternehmerinnen und Unternehmer zum Thema Nachfolge. Sie beobachten eine Verschiebung dahingehend, dass sich mehr Personen beraten lassen, die ihren Betrieb übergeben wollen, als Menschen, sich für eine Nachfolge interessieren, richtig?
Genau: Die Zahl der Senior-Unternehmerinnen und -Unternehmer, die einen Betrieb abgeben wollen und sich bei uns dazu haben beraten lassen, lag im Jahr 2019 um 79 Prozent höher als noch 2010. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Personen, die sich für eine Nachfolge interessieren, in unserer Beratung nahezu halbiert. Wir erleben also eine stark gegenläufige Entwicklung. Gleichzeitig gewinnt das Thema Unternehmensnachfolge durch die demografische Entwicklung in Deutschland an Brisanz: Denn wir erleben, dass sich das Zahlenverhältnis von Seniorinnen und Senioren zu Juniorinnen und Junioren immer weiter zugunsten der älteren Alterskohorte verschiebt.
Ihre letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2020 – was können Sie über die Zeit der Pandemie sagen, wie hat sich das Thema da weiterentwickelt?
Die Pandemie hat zu einem starken Einbruch in unseren Beratungsgesprächen geführt, was sicher auch damit zu tun hat, dass natürlich erst einmal die Existenzsicherung ganz oben auf der Agenda der meisten Unternehmen stand. Wir haben beispielsweise erfasst, dass uns seit März 2020 im weiteren Verlauf des Jahres 71 Prozent weniger Senior-Unternehmerinnen und -Unternehmer zum Thema Nachfolge kontaktiert haben als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Doch viele IHKs befürchten auch, dass die Werte der übergabereifen Unternehmen sinken, vor allem in den Branchen, die sehr stark von der Pandemie betroffen sind. Und dann finden diese Unternehmen auch schwerer eine Nachfolge. Wenn der Zeitpunkt einer Unternehmensübergabe nach hinten verschoben wird, hat das oft auch finanzielle Nachteile: Der Betrieb ist dann schon wieder ein, zwei Jahre älter, und falls nicht mehr so stark in marktgerechte Innovationen investiert wurde, leidet auch der Unternehmenswert.

»Wenn der Zeitpunkt einer Unternehmensübergabe nach hinten verschoben wird, hat das oft auch finanzielle Nachteile.«

Dr. Marc Evers, Leiter des Referats Mittelstand, Existenzgründung, Unternehmensnachfolge des Deutschen Industrie- und Handelskammertages

Wie geht man vor, wenn man eine Firma nicht innerhalb der Familie übergeben kann, aber eine interne Lösung finden möchte?
Zuerst sollte man sich darüber im klaren sein, in welche Richtung sich das Unternehmen weiterentwickeln soll. In der Industrie ist häufig technisches Know-how besonders wichtig. Wenn man sich ein Bild davon macht, welche Menschen, die schon im Unternehmen arbeiten, diese Themen besonders gut vorantreiben könnten, hat man erste Ansätze. Dann muss auch die Persönlichkeit stimmen: Schafft er oder sie es, einen gestandenen Stab von Expertinnen und Experten in der Belegschaft anzuführen und auf den gewünschten Kurs zu steuern? Mit der Übernahme einer etablierten Firma setzt man sich keinesfalls ins gemachte Nest, sondern muss sehr viel unternehmerisches Potenzial mitbringen. Die Welt dreht sich schnell, es ändert sich vieles in sehr kurzer Zeit. Allein in puncto Nachhaltigkeit und Digitalisierung erleben wir eine starke Dynamik, und die internationalen Lieferketten formieren sich neu – das alles muss man klug steuern und das Team auch auf dem entsprechenden Weg mitnehmen können.
Wann sollte man das Thema Unternehmensnachfolge angehen?
Wir empfehlen, ungefähr zehn Jahre vor dem geplanten Ausstieg damit zu beginnen. Wer sich mit 65 zur Ruhe setzen will, sollte sich also mit Mitte 50 fragen, wo das eigene Unternehmen steht, wo vielleicht Investitionen nötig sind oder neue Kunden akquiriert werden sollten. Etwa fünf Jahre danach, wenn also der Inhaber oder die Inhaberin etwa 60 Jahre alt ist, kommt der Moment, an dem man überlegen kann, wer für eine Übernahme infrage kommt. Gegebenenfalls sollte man sich einen Steckbrief entwerfen. Zwei bis drei Jahre vor der geplanten Übergabe sollte man dann spätestens konkret auf die Suche nach geeigneten Personen gehen – es können auch mehrere sein, die die Führungsverantwortung als Team übernehmen. Wichtig ist auf jeden Fall, die Kandidatinnen oder Kandidaten rechtzeitig fachlich entsprechend aufzubauen und bereits in Entscheidungsprozesse der Leitungsebene einzubinden. Und wenn die Nachfolge eingeleitet wird, sollte das auch gegenüber der Belegschaft kommuniziert werden. Ein konkreter Fahrplan, wann welche Verantwortlichkeiten an die neue Leitung übergehen, sorgt für Klarheit und reibungslose Prozesse, verhindert Kompetenzstreitigkeiten und entsprechend negative Auswirkungen auf die Firma.
Können die Unternehmerinnen und Unternehmer Ihrer Erfahrung nach in diesem Prozess gut loslassen oder hängen sie stark an ihren Betrieben?
Dass das Loslassen schwerfällt, erleben wir sehr häufig. Und auch wenn das allzu verständlich ist, kann es sich negativ auf das Unternehmen auswirken. Wer nicht rechtzeitig nach einer Nachfolge sucht, mindert möglicherweise den Wert des Unternehmens. Viele Inhaberinnen und Inhaber fordern zudem einen zu hohen Kaufpreis, weil sie die Mühen und Aufwendungen, die sie über die Jahre in die Firma gesteckt haben, einrechnen – quasi eine Herzblutrendite. Das ist individuell sehr nachvollziehbar. Allerdings sitzen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches Interessentinnen und Interessenten, für die eine Unternehmensnachfolge ja auch ein Lebensprojekt ist. Die schauen sich natürlich genau an, was ein Unternehmen am Markt erwirtschaftet und welches Potenzial es für die Zukunft hat. Wenn der Wert eines Betriebes ermittelt werden soll, kann man sich Unterstützung bei Steuer- oder Unternehmensberatungen oder auch bei uns, den Industrie- und Handelskammern, holen. So eine externe Beratung kann ich immer empfehlen, weil die Unternehmensnachfolge eine sehr komplexe und einmalige Situation ist, sowohl betriebswirtschaftlich als auch steuerlich – und sie ist eben auch von vielen Gefühlen geprägt.

Die 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland haben rund 200 Geschäftsstellen. Sie sind neutrale Institutionen, die gesetzlich verpflichtet sind, das Gesamtinteresse der Gewerbestreibenden ihrer Region wahrzunehmen. In puncto Unternehmensnachfolge bringen sie Unternehmerinnen und Unternehmer auf der Suche mit interessierten Kandidatinnen und Kandidaten in Kontakt.

nexxt-change ist eine digitale Unternehmensnachfolgebörse, die nachfolgeinteressierte Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Existenzgründerinnen und Existenzgründer zusammenbringt. Hinter der Plattform stehen unter anderem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und die KfW Bankengruppe.

„Lasst die jungen Leute ran!“

„Wenn es um Digitalisierung geht, sollte man nicht nur Leute mit meiner Haarfarbe ans Steuer setzen, sondern junge Köpfe“, sagte Roland Rüdinger, Inhaber der Rüdinger Spedition aus dem baden-württembergischen Krautheim, beim Wiehler Forum 2021 auf dem Podium. „Wenn sie schon ein bisschen wissen, wie Logistik funktioniert, dann brauchen sie nur noch etwas Freiraum und Zeit, und dann kommen die Sachen ins Rollen, die haben viele guten Ideen.“ Rüdinger selbst ist Jahrgang 1962, sein Unternehmen hat 2020 bereits 90-jähriges Bestehen gefeiert. „Die nachwachsende Generation beschäftigt sich oft auch im Privaten mit digitalen Themen – das kann für das Unternehmen sehr wertvoll sein.“ Den Nachwuchs im Unternehmen schon früh in Entscheidungen einzubeziehen, ihn langfristig zu fördern und ihm Verantwortung zu übertragen: Das hält in seinen Augen eine Firma zukunftsfähig.

»Die nachwachsende Generation beschäftigt sich oft auch im Privaten mit digitalen Themen – das kann für das Unternehmen sehr wertvoll sein.«

Roland Rüdinger, Geschäftsführer der Rüdinger Spedition

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