Weltweit an der Spitze

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Text: Sabine Philipp
Fotos: Reiß – Leibniz-IWT, Illustrationen: 0melapics – Freepik.com, Zaieiunewborn59 – Fotolia

Erfinder und Denker haben Deutschland zu einer der innovativsten Nationen der Welt gemacht. Heute wird die Forschung intensiv gefördert, um diese Kraft zu erhalten und auszubauen.

Wer hat beim autonomen Fahren die Nase vorn? Man könnte meinen, es seien die Amerikaner. Fakt ist aber, dass 52 Prozent der weltweit angemeldeten Patente zum autonomen Fahren bei deutschen Herstellern liegen – das belegt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Auch sonst liegt Deutschland vorn, wenn es um Erfindungen geht: Im Jahr 2017 wurden laut dem Europäischem Patentamt 25.490 Patente aus Deutschland angemeldet. Damit lag die Bundesrepublik auf Platz zwei hinter den USA (42.300).

Milliarden Euro

haben Staat und Wirtschaft 2016 in Forschung und Entwicklung investiert. Das entspricht 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis)

Die fortschreitende Urbanisierung bedeutet völlig neue Herausforderungen für die Mobilität: Die Städte werden immer voller, und trotzdem wollen die Bewohner schnell und sicher von A nach B kommen. Während Volocopter den Luftraum nutzen, setzt das Konzept des US-Unternehmens HyperloopTT auf Geschwindigkeit: Mit hohem Tempo sollen dabei in einer Unterdruckröhre Personen und Güter befördert werden. Derzeit sind rund 400 Kilometer pro Stunde möglich, in Zukunft sollen es 1.200 werden, also etwas schneller als ein Passagierflugzeug. Die Idee zum Hyperloop hatte Elon Musk, Gründer von SpaceX und Tesla.

Mission Hightech

Um den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland weiter zu stärken und voranzubringen, hat die Bundesregierung die „Hightech-Strategie“ ins Leben gerufen und dazu eine Reihe von Projekten und Förderprogrammen auf den Weg gebracht. Dabei will sie gezielt auch kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen. Um die zur Verfügung gestellten Mittel können sich Akteure der gewerblichen Wirtschaft, Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Institute bewerben.

Für die Freigabe der Gelder ist vor allem entscheidend, dass die Antragsteller über die notwendige Qualifikation, die personellen und finanziellen Kapazitäten sowie über die technische Grundausstattung verfügen, das jeweilige Projekt durchzuführen. Deshalb entstehen solche Vorhaben häufig im Verbund. „Bei so einem Forschungsprojekt geht es nicht darum, ein konkretes Produkt zu entwickeln. Das Ziel ist vielmehr, ein Thema gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft voranzubringen“, erklärt Axel Hommel, Projektmanager bei idem telematics. Der Telematik-Hersteller hat sich mit dem Fahrzeugbauer Schwarzmüller und dem Automobilsensorenproduzenten Hella Fahrzeugkomponenten zusammengetan und das Projekt „TraZu“ initiiert. „TraZu“ steht für „Trailer-Zustandsüberwachungssystem“, ein elektronisches System zur vorbeugenden Wartung von Trailern. Ziel der Forscher ist es, Mikrorisse im Trailer in Echtzeit zu erkennen.

fast

Menschen

forschen in Deutschland an öffentlichen
Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen.

Quelle: BMVI

Aus spontanen Ideen entstehen Innovationen

Die Idee zu „TraZu“ entstand zufällig am Rande eines Meetings in München. Thema der Veranstaltung war die Entwicklung eines energieautarken Trailers. Die Projekt­idee stammt von Prof. Karl-Ludwig Krieger, Leiter des Instituts für Theoretische Elektrotechnik und Mikroelektronik an der Universität Bremen. In der Kaffeepause erzählte er von einem anderen Forschungsprojekt, bei dem ein „konfigurierbares elektronisches Schadenidentifikationssystem“ (KESS) entwickelt wird, das noch während der Fahrt Kratzer und Dellen auf Basis von mikroakustischen Signalen analysiert. In dem Gespräch kam dann der Gedanke auf, dass man dieses System doch auch auf tragende Strukturen übertragen könne – und schon war das neue Projekt geboren.

Prof. Dirk Prüfer vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME hatte während eines Ausflugs ins Sauerland einen Geistesblitz. Er saß auf einer Wiese, die mit Löwenzahn übersät war. Als der Biologe eine der Blüten abpflückte und die Latexmilch aus der Pflanze herausfließen sah, dachte er, dass man daraus doch bestimmt auch Kautschuk gewinnen könnte. Und es funktioniert tatsächlich: Auf der IAA Nutzfahrzeuge 2016 wurde der erste Lkw-Reifen mit Kautschuk aus den Wurzeln von russischem Löwenzahn vorgestellt.

5 der 10

innovationsstärksten Unternehmen Europas kommen aus Deutschland.

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Ein Vortrag auf einer Logistikmesse über Risk Management und Cargo Crime inspirierte Andreas Gießler. Eine Frage ließ den Studenten des Bachelor-Studiengangs Transportwesen/Logistik nicht mehr los: Warum kann man jeden Kleinwagen vor Dieben schützen, aber Lastwagen nicht vor Planenschlitzern? So begann er, ein System aus PVC-Planen mit einem engmaschigen, in sich geschlossenen Stromkreis zu entwickeln. Diese Planen werden auf die Innenseiten der Lkw-Planen genäht, und sobald ein Dieb Hand – beziehungsweise ein Messer – anlegt und damit den Stromkreis durchbricht, geht ein Alarm los. Mittlerweile hat Gießler mit Unterstützung des Förderprogramms „De-minimis“ sein eigenes Unternehmen gegründet.

Eine sichere Plane, Reifen aus Löwenzahnwurzeln oder akustische Schadenidentifikation: Das sind nur drei Beispiele von vielen, die zeigen, wie Forschung Ideen Wirklichkeit werden lässt – dieses innovative Potenzial wird sicher auch in Zukunft eine von Deutschlands großen Stärken bleiben.

Auch beim autonomen Fahren setzt sich die Erfolgsgeschichte fort: 2017 hat das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) 38 Prozent der einschlägigen Patente an Tüftler und Hersteller aus Deutschland erteilt. Japan kam mit 30 Prozent auf den zweiten Platz, gefolgt von den USA mit 13 Prozent.

Materialwissenschaftler führen Körperschallmessungen am Achsbereich eines Lkw-Trailers durch.

INDUSTRIEPARTNER FORSCHEN MIT WISSENSCHAFTLERN

Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das dreijährige Forschungsprojekt „TraZu“ mit knapp zwei Millionen Euro.

Mehr als 75 Prozent des Güterverkehrs in Deutschland werden heute mit Nutzfahrzeugen auf der Straße geleistet. Mit dem wachsenden Transportaufkommen treten aber auch mehr Schäden im Aufbau der Fahrzeuge auf: In Trailern können Mikrorisse zu ernsten Schäden führen – wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und repariert werden. Im Forschungsprojekt „TraZu“ arbeiten deshalb Wissenschaftler der Universität Bremen mit Partnern aus der Wirtschaft, darunter idem telematics, an einem elektrischen System, das solche Risse im Fahrbetrieb an Körperschallsignalen des Trailers erkennt und lokalisiert. Dazu werden Sensoren verbaut. idem telematics hat das zentrale Steuergerät entwickelt, das die Daten sammelt und auswertet. „Die besondere Herausforderung liegt darin, die Rissgeräusche während der Fahrt auf unterschiedlichen Fahrbahn­belägen herauszuhören“, erklärt Axel Hommel, Projektmanager bei idem telematics. Deshalb hat das Projektteam bereits Testfahrten auf Kopfsteinpflaster, Rollsplit, Feldwegen und Autobahnasphalt durchgeführt – mit dem Ziel, die einschlägigen Geräusche zu identifizieren und dann gezielt herauszufiltern.

Axel Hommel ist kein Forscher. Für den Diplom-Ingenieur ist es aber unheimlich spannend, in einem Bereich zu arbeiten, in dem Neuland betreten wird: „Wir erhoffen uns natürlich einen intensiven Wissensaustausch und einen Einblick in die Arbeitsmethoden der Wissenschaftler“, so der studierte Elektrotechniker. Auch Prof. Karl-Ludwig Krieger, wissenschaftlicher Koordinator bei „TraZu“, erlebt solche Kooperationen mit der Wirtschaft als sehr fruchtbar. Die Erfahrungen, die er dort sammelt, kann der Leiter der Forschungsgruppe „Elektronische Fahrzeug- und Mobilitätssysteme“ an der Universität Bremen in seinen Vorlesungen an den Nachwuchs weitergeben. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der akustischen Sensorsysteme: „Man kennt Kamerasysteme, die sozusagen als künstliche Augen Daten sammeln und auswerten. Wir möchten stattdessen den Hörsinn nutzen und in die Systeme hineinhorchen.“

Das Projekt ist bereits auf der Zielgeraden. „Der erste Rahmenprüfling konnte im Labor in einer nachgestellten dynamischen Belastung die Risse in Echtzeit erkennen. Nun startet der Live-Versuch“, erklärt Krieger. Dazu verbauen die Forscher sämtliche Komponenten in einen Trailer und schicken diesen auf die Piste. Da ein fabrikneuer Trailer aber nicht gleich einen Riss bekommt, wenn er über eine Schotterpiste fährt, wurden unter anderem Verstärkungsmaßnahmen weggelassen, um in überschaubarer Zeit einen Schaden herbeizuführen. In der Praxis soll es dank „TraZu“ dann in Zukunft genau solche Schäden nicht mehr geben.

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