Tiefkühlpizza, geliefert mit dem Cargo-Bike

In Köln sind etwa 60 Fahrer von Ecocarrier für den Rewe-Lieferdienst auf Achse. Im aktuellen Pilotprojekt haben sie in einem Jahr zusammen rund 40.000 Kilometer mit Lastenrädern zurückgelegt.
Lesezeit: ca. 4 Minuten
Text: Joachim Geiger
Fotos: Ecocarrier, Rewe

Cargo-Bikes auf der letzten Meile gelten heute als das Nonplusultra einer nachhaltigen City-Logistik. In Köln setzt der Rewe-Lieferdienst zusammen mit Ecocarrier auf den Einsatz von Transportern und Lastenrädern. Was macht Radlogistik eigentlich aus? Welche Bikes sind dafür erste Wahl? Und ist das Rad am Ende schneller als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor?

Wer City-Logistik nachhaltig gestalten will, kommt an Lastenrädern kaum vorbei: Längst treten auf der letzten Meile nicht nur Post- und Paketboten in die Pedale ihrer Transport- und Lastenräder. Mit dem passenden Equipment auf der Ladefläche lässt sich Stückgut ebenso aufs Cargo-Bike packen wie eine Lebensmittellieferung. Für das Lastenrad spricht: Es kommt ohne Verbrennungsmotor aus, braucht nur wenig Fläche und emittiert weder Schadstoffe noch Lärm. Die Nachfrage von Großhandel und Logistik nach alternativen Zustellkonzepten ist groß – zum Beispiel in Köln, wie die Industrie- und Handelskammer zu Köln (IHK) in einer im Juni 2021 veröffentlichten Studie zum Thema Laden und Liefern im Kölner IHK-Bezirk belegt.

Auch die Supermarktkette Rewe hat die Vorteile der Muskelkraft mit elektrischer Unterstützung für ihren Lieferservice in der Domstadt entdeckt. „Wir nehmen an, dass Lastenräder einen positiven Effekt auf den innerstädtischen Verkehr haben können“, heißt es dazu aus dem Unternehmen. Gemeinsam mit seinem Cargo-Bike-Dienstleister Ecocarrier (vormals Velocarrier) ist Rewe seit mehr als einem Jahr im Rahmen eines Pilotprojekts im Kölner Süden unterwegs. Bis heute haben die Zusteller mehr als 40.000 Kilometer zurückgelegt.

City-Logistik der Zukunft: mehr als nur Cargo-Bikes?

Also rauf auf den Sattel, und fertig ist das logistische Modell für die City-Logistik der Zukunft? Ganz so einfach ist es nicht. Den meisten Kommunen fehlt es heute an einer gut ausgebauten Infrastruktur für Fahrräder. Auch die Beschaffung des Lastenrads ist eine Herausforderung. Wie ein Bike für den Cargo-Verkehr aussehen sollte, damit beschäftigt sich gerade die Technische Hochschule Nürnberg im Forschungsprojekt „PedeListics“: Das ideale Cargo-Bike ist demnach zweispurig und ermöglicht ein Ladevolumen von mehr als 1,5 Kubikmetern sowie eine Zuladung von mindestens 250 Kilogramm. Damit es einen Radweg nutzen kann, sollte es nicht mehr als einen Meter breit sein. Für die Unterstützung beim Vortrieb bis Tempo 25 sorgt ein Elektromotor mit einer Nenndauerleistung bis 250 Watt. Das ist wichtig, weil Fahrzeuge mit diesen Spezifikationen noch als Fahrräder gelten. Damit haben die Betreiber der Bikes eine Menge Vorteile auf ihrer Seite: Die „Pedelecs 25“ benötigen weder eine Zulassung noch eine Haftpflichtversicherung, die Fahrer brauchen keinen Führerschein, dürfen den Radweg benutzen und vielerorts Einbahnstraßen in beide Richtungen befahren.

»Wir können den Warentransport in die Innenstädte nicht losgelöst von der Weiterverteilung bis zum Empfänger sehen. Auf der letzten Meile wird die Radlogistik in Zukunft eine wichtige Rolle spielen«

Christian Kühnhold, Aufsichtsratsvorsitzender von Ecocarrier, Köln

Erfolgsformel: Anlaufstellen für Lastenräder auf der letzten Meile

Der Cargo-Bike-Logistiker Ecocarrier setzt in Köln auf ein Pedelec des Herstellers Urban Mobility, das eigens entwickelt wurde, um große Volumina und schwere Lasten zu befördern. Unter der geräumigen Transportbox rollen spezielle Schwerlasträder, während die patentierte Neigetechnik dafür sorgt, dass sich das Cargo-Bike auch mit voller Last wie ein herkömmliches Fahrrad fahren lässt. Zudem unterstützt ein elektronisches Differenzial den Fahrer bei der Kurvenfahrt.

Robuste Räder und zuverlässige Zusteller sind allerdings nur die halbe Miete: „Eine erfolgreiche Radlogistik erfordert auch viel Logistik-Know-how und eine intelligente Tourenplanung. Vor allem benötigt sie innerstädtische Umschlagstandorte als Anlaufstelle für Lastenräder auf der letzten Meile“, weiß Christian Kühnhold, Aufsichtsratsvorsitzender der Ecocarrier AG, die derzeit mit rund 85 Cargo-Bikes täglich 8.500 Sendungen ausliefert – unter anderem in Köln, Stuttgart, München, Berlin und Hamburg. Vielen Logistikern dürfte der Name bekannt vorkommen: Kühnhold ist einer der Gründer des Smart City Loop, der unterirdische städtische Warenversorgung auf der vorletzten Meile möglich machen soll.

Ecocarrier: Full Service für die Infrastruktur der Radlogistik

„Wir können den Warentransport in die Innenstädte nicht losgelöst von der Weiterverteilung bis zum Empfänger sehen“, beschreibt Kühnhold die Motivation für seinen Einstieg bei Ecocarrier. Ebenfalls an Bord des Anfang 2021 gegründeten Unternehmens sind die Gründer von Velocarrier – einem Cargo-Bike-Logistiker, der seit vielen Jahren in der urbanen Logistik aktiv ist. Ecocarrier will sich künftig als Full-Service-Dienstleister für die letzte Meile etablieren, der neben der Hardware – also Cargo-Bikes und elektrischen Kleintransportern – auch die Infrastruktur für die City-Logistik bereitstellt. Dazu gehören neben IT-Services vor allem Entwicklung und Betrieb multifunktionaler City-Hubs. In Köln betreibt Ecocarrier bereits zwei dieser Depots: eine Logistikfläche in der Südstadt und eine weitere im Stadtteil Neuehrenfeld in einem ehemaligen Autohaus.
Der Cargo-Bike-Logistiker Ecocarrier setzt für seine Transporte auf das Lasten-Pedelec des Herstellers Urban Mobility. Das Bike ist eigens dafür konstruiert, große Volumina und schwere Lasten zu befördern.

Das elektrische Lastenrad wartet mit Schwerlasträdern unter der geräumigen Transportbox auf und bringt es auf eine Reichweite von bis zu 80 Kilometern.

Ein technologisches Schmankerl ist die patentierte Neigetechnik, mit der sich das Cargo-Bike auch mit voller Last wie ein herkömmliches Fahrrad fahren lässt. Kurvenfahrten unterstützt das elektronische Differenzial.

Rewe-Lieferservice: mit Muskelkraft und Verbrennungsmotor

Diese Depots spielen auch für den Kölner Rewe-Lieferservice eine wichtige Rolle. Die Supermarktkette hat ein ganzheitliches Lieferkonzept entwickelt, das auf klassische Transporter und Cargo-Bikes setzt. Die Kunden wissen nicht, ob sie mit dem Bike oder mit dem Transporter beliefert werden. Sie bestellen beim Rewe-Lieferservice die gewünschten Lebensmittel – von Obst und Gemüse, Fleisch und Wurst bis hin zu Tiefkühlprodukten und Getränken. Die Bestellungen werden dann im zentralen Food Fulfillment Center des Lebensmittelhändlers im Stadtteil Niehl im Norden der Stadt kommissioniert. Die Tourenplanung übernimmt ein intelligenter Algorithmus.

Kühlkette: Trockeneis und Gelpacks für die Tiefkühlpizza

Das System entscheidet auf der Basis von Postleitzahl und Liefergebiet, ob der Verbrennungsmotor oder die Muskelkraft zum Zuge kommt. Bestimmte Postleitzahlen im nahen Umkreis der Fahrradstandorte haben Priorität für Cargo-Bikes. Da sich eine Tiefkühlpizza nicht einfach in die Transportbox packen lässt, ist auch bei der Belieferung mit dem Rad das Einhalten der Kühlkette absolute Pflicht. Bei temperatursensiblen Waren kommen daher unter anderem Trockeneis und Gelpacks zum Einsatz – eine Software berechnet bereits bei der Kommissionierung die benötigte Menge. Rewe übernimmt anschließend den Transport der Lebensmittel vom Food Fulfillment Center zu den Depots von Ecocarrier, wo sie auf die einzelnen Räder verteilt werden. Für den Rewe-Lieferservice spielt es keine Rolle, ob eine Bestellung umfangreich oder kleiner ausfällt. Je nach Anzahl der Sendungen und Kapazitäten in den Fahrrad-Hubs kann es vorkommen, dass Lieferfahrzeug und Lastenrad gleichzeitig in einem Gebiet auf Achse sind.
Der Rewe-Lieferservice fasst bei der Tourenplanung Bestellungen aus einem Gebiet in einer Liefertour zusammen. Die Auslieferung erfolgt in erster Linie mit Transportern. In den nächsten Jahren will die Supermarktkette den Fuhrpark auf Fahrzeuge mit Grünstrom umstellen.

Das Pilotprojekt in Köln sollte klären, ob die Belieferung mit Lastenrädern gegenüber herkömmlichen Transportern wirtschaftliche und ökologische Vorteile bietet. In der Praxis sind die Lastenräder nicht schneller unterwegs als die Transporter, weil die Tourenplanung die Routen unabhängig davon plant, welche Art von Fahrzeug zum Einsatz kommt.

Smart City Loop: Kommt die Röhre jetzt nach Köln?

Die spezifischen Vorteile des Lastenrads fallen im Kölner Rewe-Lieferservice derzeit allerdings nicht ins Gewicht. Wie die Supermarktkette deutlich macht, sind im aktuellen Liefermodell die Lastenräder nicht schneller als die Transporter. Auch im Hinblick auf die Pünktlichkeit gebe es keinen Unterschied. Die Erklärung dazu findet sich in der Tourenplanung: Der Algorithmus plant die Route nämlich unabhängig davon, ob die Ware mit dem Transporter oder per Rad ausgeliefert wird. Dabei kalkuliert er Wetter, Verkehr und Pausen der Fahrer von vornherein ein.

Wohin die Reise der City-Logistik in Köln gehen könnte: In Zukunft vielleicht auf der vorletzten Meile durch die Röhre unter der Erde, auf der letzten Meile mit dem Cargo-Bike zum Kunden? In Hamburg hat eine Machbarkeitsstudie grünes Licht für den Smart City Loop gegeben. Christian Kühnhold hält es für durchaus möglich, dass das Konzept auch in der Domstadt umgesetzt werden könnte: „Eine unterirdische Röhre lässt sich schneller realisieren als viele herkömmliche Infrastrukturprojekte – bei gleichen Kosten wie für den traditionellen Warentransport.“

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3 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Kühnhold. Unterschätzen Sie die Beurteilungskriterien für Verkehrssysteme vom Voigt nicht. Es gibt da eine weiterführende Untersuchung von Wolfgang G. Heinze: Verkehr und Wirtschaftswachstum. Das Konzept von Fritz Voigt. TU Berlin 1985.
    Tatsache bleibt, dass Sie mit Ihren elektrounterstützen Tretkurbel-Transportern sich auf „Gorilla“-Niveau bewegen. D.h. Ihr Konzept lebt davon, dass es im Niedriglohn-Bereich ausreichend Anbieter von Arbeitskraft gibt, welche die von Ihnen angebotenen widrigen Arbeitsbedingungen akzeptieren müssen, weil das Jobcenter diese dazu zwingt.
    Nebenbei: weil ich schon seit 20 Jahren Scheibenbremsen heiß fahre, würde es mich wirklich interessieren, wie Ihre Tretkurbel-Transporter sich unter härteren Bedingungen (Schlepptest) sich verhalten. Wenn ich mir hier die Bremsanlagen von Lastenfahrrädern ansehe mit ihren 1,8 mm Bremsscheiben, frage ich mich, wie das abgebildete Fahrrad mit Bobbycat-Hinterachse sich auf dem Bremsenprüfstand verhält.
    Aber: ich gestehe, dass die vorgestellten Tretkurbler heutzutage „woke“ sind. Eine nähere Sachkenntnis wie BESTUFS (best urban freight solutions) haben Sie nicht.

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  2. Vielleicht kennt jemand noch das Standardwerk der deutschen Verkehrswissenschaft von Fritz Voigt: Die gestaltende Kraft der Verkehrsmittel in wirtschaftlichen Wachstumsprozessen. Ich glaube Göttingen 1956. Voigt entwickelte das System der Verkehrswertigkeit, mit dem man Transportsysteme beurteilen kann. Ich möchte vorschlagen, die Lastenfahrräder entsprechend zu beurteilen.
    Eine der zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit ist die Ablösung der menschlichen und tierischen Traktion im Gütertransport durch Maschinenkraft. Auf die Bahn bezogen Dampfkraft, Elektro und Verbrennungsmotor. Ich stelle fest: das Lastenfahrrad – mit oder ohne elektrischer Verstärkung – bringt uns wieder zurück vor 1800. Dazu sitzt der Tretkurbler meist im Freien, verfügt über eine Bremsanlage, die den Kriterien von ECE R13 nicht entspricht, kein ABS, keine automatische Bremsnachstellung, kein FUPS (front underrun protection system), aber 300 kg mit 30 km/h gegen die Fußgänger.
    Toller Fortschritt!

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    • Zunächst einmal weisen wir darauf hin, dass unsere Bikes bei 25 km/h abgeriegelt sind, per Rekuperation Bremsenergie an die Batterie zurückführen und vom Kraftfahrt Bundesamt für die Anwendung freigegebene Bremsen verbaut werden.

      In den letzten 50 Jahren – seit Herr Voigt über Verkehrsmittel geschrieben hat – haben sich die Verhältnisse wiederum massiv verändert. Das Warenvolumen in die Städte hat sich vervielfacht, die Infrastruktur ist nicht mitentwickelt worden und wir haben massive Probleme mit Schadstoffen durch Diesel-Antriebe. Ein Teil der Lösung stellt beispielsweise unsere Dienstleistung auf der letzten Meile mittels E-Cargo-Bikes dar. Mit zugelassenen E-Cargo-Bikes fahren wir auf der letzten Meile Pakete, Lebensmittel und Stückgüter aus, die bisher mittels Diesel LKW ausgeliefert wurden – die den Verkehr belasten und Schadstoffe verursachen. Wir entlasten den Verkehr, reduzieren Schadstoffe und entsprechen dem politischen Ziel gerade der Ballungszentren Verbrennungsmotore aus der Stadt zu verbannen. Und als Ergebnis haben wir lebenswertere Städte und die Umwelt entlastet. Unsere Fahrer und Fahrerinnen können auch durch ergänzende Aufbauten vor Regen geschützt werden.

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