Sichere und smarte Prozesse dank Blockchain

Lesezeit ca. 4 Minuten
Text: Oliver Schönfeld
Fotos: Fraunhofer IML

Die Digitalisierung der Logistik schreitet schnell voran. Ein Fraunhofer-Forschungsteam in Dortmund entwickelt Blockchain-Technologien, mit denen sich unterschiedlichste Prozesse und Transaktionen rechts- und manipulationssicher abbilden lassen.

Hohe Effizienz und exakt durchgetaktete Prozessketten gehören für Logistikunternehmen zwar zum Tagesgeschäft. Dennoch nimmt der buchstäbliche Papierkrieg im Transportalltag nicht ab. Eher Gegenteil ist der Fall – wenn es beispielsweise um grenzüberschreitende Güterverkehre oder Gefahrguttransporte geht, sind unzählige Formulare zu bearbeiten und mitzuführen. Über kurz oder lang dürften jedoch digitale Lösungen an die Stelle des Papiers treten. Die Blockchain-Technologie bietet alle Voraussetzungen dafür: eine manipulationssichere Plattform, rechtssichere Transaktionen, Kommunikation in Echtzeit und weltweite Vernetzung.

Europäisches Blockchain-Institut im Aufbau

Seit Mai 2020 befasst sich ein Forschungsteam des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund mit der Entwicklung und Erprobung von Anwendungsfällen und Prototypen. Ziel ist es, in den kommenden Jahren ein Europäisches Blockchain-Institut aufzubauen. „Blockchain-Devices werden in Zukunft aktiv per Smart Contract verhandeln, Transaktionen triggern und Zahlungen buchen. Dadurch wird jede Aktion über das Netzwerk eindeutig identifizier- und nachverfolgbar“, erläutert Institutsleiter Prof. Dr. Michael Henke. Durch die Digitalisierung von Prozess- und Lieferketten und mithilfe künstlicher Intelligenz werde nicht nur in der Logistik ein neues Zeitalter eingeläutet. Die Digitalisierung leiste gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag zu einer Silicon Economy.

»Digitale Plattformen werden zum zentralen Dreh- und Angelpunkt einer kommenden Silicon Economy.«

Prof. Dr. Michael Henke, Institutsleiter Fraunhofer IML

International neue Standards schaffen

Die in Dortmund entwickelten Technologien sollen als Open-Source-Anwendungen den Marktteilnehmern frei zugänglich zur Verfügung stehen und damit idealerweise neue Standards herausbilden, erläutert Josef Kamphues, Teamleiter Supply Chain Management am Fraunhofer IML: „Indem wir uns auf die Schnittstellen konzentrieren, wollen wir die Einstiegshürden gering halten und somit eine hohe Skalierbarkeit ermöglichen.“ Der Ansatz lautet „Bring your own Device“. Unabhängig von der verwendeten Hardware soll das Potenzial der Blockchain-Technologie operativ optimal genutzt werden – egal ob es um temperaturgeführte Transporte, Zollformalitäten oder Gefahrgutlogistik geht. „Wir setzen auf eine schnell wachsende Community, die auf Basis der Open-Source-Software individuelle Applikationslösungen realisieren kann“, unterstreicht Dr. Maximilian Austerjost aus dem Projektmanagement des Blockchain-Instituts. „Im ersten Quartal möchten wir die ersten Softwarekomponenten zum Themenkomplex Zoll veröffentlichen. Das Interesse ist bereits heute europaweit sehr groß.“

»Wir setzen auf eine schnell wachsende Community, die auf Basis der Open-Source-Software individuelle Applikations­lösungen realisieren kann.«

Dr. Maximilian Austerjost, Projektmanager Fraunhofer IML

Erster Blockchain-Device-Prototyp vorgestellt

Wie das Zusammenspiel von Soft- und Hardware in zukünftig digitalisierten Supply Chains aussehen kann, zeigt das IML anhand zweier Prototypen. Bereits im vergangenen Jahr stellten die Forscher die „Blockchain Device“ zur Überwachung temperaturempfindlicher Waren wie Lebensmittel, Medikamente oder Impfstoffe entlang weltweiter Lieferketten vor. Es ist eine vollständige Neuentwicklung, angefangen bei der Computer-Hardware über die Software des Temperatursensors bis zum Blockchain-Client. Lediglich neun Millimeter hoch, kann es wie eine Einsteckkarte in einen Standardbehälter eingesteckt werden. Es verfügt über 5G-kompatible Kommunikation, ein hochauflösendes E-Paper-Display und eine Reihe von Sensoren (Temperatur, Beschleunigung, Lage). Mit diesem Internet-of-Things-Device werden Echtzeitdatenerfassung und eine autonome Real-Time-Steuerung von Lieferketten möglich. Positions- und Sensordaten dokumentieren die lückenlose Überwachung der Transportkette inklusive einzuhaltender Bedingungen. Zudem ist das Device „IDS-ready“, also für die Implementierung in die International Data Spaces vorbereitet.

»Für Blockchain dürften sich in wenigen Jahren noch zahlreiche Anwendungsfelder herausbilden, an die heute noch gar nicht zu denken ist.«

Josef Kamphues, Teamleiter Supply Chain Management am Fraunhofer IML

Gefahrguttransporte sicher und effizient organisieren

Eine zweite Neuentwicklung folgte vor wenigen Wochen, im Herbst 2021 auf dem „Zukunftskongress Logistik – 39. Dortmunder Gespräche“: Mit dem Blockchain-Device „Dragon“ lassen sich Gefahrguttransporte organisieren. Rund 4,4 Millionen Tonnen Gefahrgut reisen jährlich über Deutschlands Straßen – Tendenz steigend. Die bei jedem Transport anfallenden Begleitdokumente liegen jedoch meist nicht digital vor und werden schon gar nicht manipulations- und rechtssicher gespeichert. „Dragon“ („Device for reliable dangerous goods transport“) soll Abhilfe schaffen: Es bietet für den Gefahrgutbereich erstmals eine Lösung, um beliebige mobile Endgeräte Blockchain-fähig zu machen. So sollen zukünftig relevante Begleitdokumente aus der Blockchain abgerufen, Ereignisse kontinuierlich getrackt und sogenannte Smart Contracts ausgelöst werden. Dadurch lassen sich wiederkehrende Prozesse der Gefahrgutabwicklung automatisieren und rechtssicher speichern.

Hohe Dynamik in der Entwicklung weiterer Anwendungen

Die Dynamik in der Entwicklung von Blockchain-Technologien für logistische Anwendungen ist hoch, betont Josef Kamphues: „Es handelt sich zwar um eine noch junge Disziplin, doch sie entwickelt sich sehr schnell. Daher dürften sich in wenigen Jahren noch zahlreiche Anwendungsfelder herausbilden, an die heute noch gar nicht zu denken ist.“ Das Europäische Blockchain-Institut in Dortmund soll daran einen wesentlichen Anteil haben.
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