Nachhaltigkeit im Rennsport – wie geht das?

Lesezeit: ca. 4 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: T Sport Bernau

Die FIA und ETRA, der Veranstalter der European Truck Racing Championship (ETRC), setzt sich ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2038 soll die Meisterschaft netto emissionsfrei sein. Das Team T Sport Bernau wurde jetzt für sein Engagement im Klimaschutz ausgezeichnet. Im Interview mit Motionist erklärt Team- und Marketing-Managerin Melanie Derflinger, welche Maßnahmen T Sport Bernau bereits umsetzt und was noch geplant ist.

Das Truck-Racing Team T Sport Bernau, das von BPW und PE Automotive unterstützt und ausgerüstet wird, hat als erstes Goodyear-FIA-ETRC-Team einen Stern des „FIA Environmental Accreditation Programme“ verliehen bekommen. Die Fahrzeuge, mit denen Sie beim European Truck Racing starten, sind 5.300 Tonnen schwer, haben 1.200 PS, bringen 5.400 Drehmoment aufs Rad und verbrauchen entsprechend viel Kraftstoff. Wie passt das mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit zusammen?

Nachhaltigkeit ist in unserer heutigen Gesellschaft ein sehr großes Thema. Und ich glaube, dass es unabhängig von der Branche sehr wichtig ist, dass alle versuchen, etwas für die Umwelt zu tun. Gerade in der Automobilbranche gibt es diesbezüglich enorme Entwicklungen. Oftmals ist der Rennsport Vorreiter dafür. Wir als T Sport Bernau wollen versuchen, umweltfreundliche Technologien auch bei uns einzusetzen, und mit gutem Beispiel vorangehen. Im Gegensatz zum Pkw-Bereich wird sich die Nutzfahrzeugbranche nicht auf eine nachhaltige Technologie festlegen können: Im Stadtverkehr dominiert der elektrische Antrieb, auf der Langstrecke eher Gas, Wasserstoff oder synthetischer Kraftstoff. Im Truck Racing sind wir offen für jegliche nachhaltige Technologie und werden ihr die Möglichkeit geben, sich unter Wettbewerbsbedingungen zu beweisen. So schaffen wir emotionale Erlebnisse für neue nachhaltige Technologien und schaffen Akzeptanz für den Wandel.
Was haben Sie schon umgesetzt?
Die größte Veränderung in unserer Meisterschaft war die einheitliche und verpflichtende Umstellung der Renntrucks auf synthetischen Biodiesel: 100-prozentigen HVO. Das hat den CO2-Ausstoß über den gesamten Lebenszyklus um mindestens 62 bis 92 Prozent reduziert. Der Wettbewerb soll bis 2038 netto emissionsfrei sein. Die FIA als Veranstalter und ETRA als Promoter haben eine Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit gegründet, in der ich ebenfalls Mitglied bin. Es wurde unter anderem eine Reglement-Ergänzung erarbeitet und eingereicht, damit wir bald elektrisch angetriebene Lkw unter Berücksichtigung der notwenigen Sicherheit im selben Starterfeld begrüßen können. Zudem haben wir bei T Sport Bernau unser Logistikkonzept optimiert: Wenn wir zu den Rennen in ganz Europa fahren, können wir unser gesamtes Equipment jetzt in nur einem Rennauflieger verstauen und transportieren. Damit reduzieren wir unseren CO2-Ausstoß ganz erheblich. Die meisten Teams, die bei uns in der Serie mitfahren, sind mit zwei oder drei, teilweise sogar vier Lkw zu jedem Event unterwegs. Da werden natürlich viel mehr Schadstoffe produziert.
Und Kosten – es ist also auch wieder ein schönes Beispiel dafür, wie mehr Nachhaltigkeit auch mehr Effizienz bedeuten kann.
Ganz genau, damit decken wir beides ab. Eine weitere Maßnahme, die wir schon umgesetzt haben, ist, dass wir für unsere Werkstatt 100 Prozent Ökostrom nutzen. Zudem sammeln wir Regenwasser, um die Fahrzeuge damit zu waschen. Und wir legen sehr großen Wert auf Mülltrennung. In Deutschland ist das seit Langem üblich, aber in England ist man da noch nicht so weit. Wir achten sehr genau darauf, dass Abfälle in der Werkstatt getrennt und entsprechend recycelt werden.
Welche Schritte nehmen Sie sich für die Zukunft noch vor?

Wir sind im ständigen Kontakt mit der FIA und unseren Promotern, behalten neue Entwicklungen im Blick und suchen nach Möglichkeiten, die wir in unserem Team noch gut umsetzen können. Ich selbst schaue derzeit verstärkt auf unseren Hospitality-Bereich. In den vergangenen zwei Jahren konnten wir aufgrund der Pandemie kein Catering an der Rennstrecke anbieten, aber das ist jetzt wieder möglich und wird auch gut angenommen. Deshalb konzentrieren wir uns gerade darauf, setzen dort beispielsweise auch Mülltrennung um und reduzieren die Menge an Abfällen. Unser Promoter wird in Kürze den CO2-Ausstoß der Meisterschaft erfassen und ihn kompensieren. Dies ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur vollständigen Reduzierung aller vermeidbaren Emissionen. Die FIA bereitet sich darauf vor, elektrisch angetriebene Trucks zu testen. Zudem wird auch an einem Konzept für Wasserstoff-Lkw gearbeitet. Die Herausforderungen sind denen auf der Straße ähnlich: Die Verfügbarkeit von Modellen und dem entsprechenden Energieträger muss gewährleistet sein, genauso wie die notwendige Sicherheit. Dabei haben wir einen entscheidenden Vorteil: Rennsport kann quasi unter Laborbedingungen viel früher die Vorreiterrolle übernehmen. Ich denke, bevor wir ein flächendeckendes Ladenetz auf Europas Straßen erleben, werden unsere europäischen Rennstrecken schon längst damit ausgestattet sein.

»Viele denken, die schweren Renntrucks seien allein aufgrund ihrer Größe schädlicher für die Umwelt als beispielsweise die Fahrzeuge einer Auto-Rennserie. Aber das täuscht, vor allem seit wir 100 Prozent HVO-Biodiesel fahren.«

Melanie Derflinger, Team- und Marketing-Managerin T Sport Bernau

Wie sieht es bei den Fahrzeugen aus, wie können die umweltfreundlicher werden?

Diese Frage hören wir oft, und viele denken, die schweren Renntrucks seien allein aufgrund ihrer Größe schädlicher für die Umwelt als beispielsweise die Fahrzeuge einer Auto-Rennserie. Aber das täuscht, vor allem seit wir mit 100 Prozent HVO-Biodiesel fahren, der bis zu 92 Prozent CO2-Emissionen sparen kann. Man muss dazu sagen, dass die FIA schon seit einigen Jahren die Abgase sehr streng kontrolliert. Wenn ein Renntruck zu stark gerußt hat, war dafür schon immer die strengste Form der Bestrafung im Rennsport regulatorisch verankert: der Ausschluss vom Rennen. Daher haben wir zum Beispiel seit diesem Jahr einen neuen Sensor im Auspuff eingebaut, damit die FIA messen kann, was wir ausstoßen. Und es gibt weitere Überlegungen, die Renntrucks noch zu optimieren. Deswegen ist die FIA sehr eng mit den Technikern und Herstellern unserer Rennserie in Kontakt. Es gibt verschiedene Überlegungen, zum Beispiel in Richtung Hybridsysteme oder Elektroachse. Wir stellen uns im Rennsport gerne als Testplattform zur Verfügung, denn es macht aufgrund unserer Vorreiterrolle wenig Sinn, wenn wir uns auf eine Technologie fokussieren, die auf der Straße keine Relevanz hat.

Welche Perspektiven sehen Sie insgesamt für einen möglichst nachhaltigen Rennsport?

Wir wollen mit unserem Team einfach ein Vorbild für andere sein. Bevor man ins Tun kommt, ist der erste Schritt immer das Umdenken. Ich merke, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich gerade an diesem Punkt befinden. Der Stern, mit dem wir ausgezeichnet wurden, hilft auf jeden Fall, sie stärker auf das Thema aufmerksam zu machen. Am Tag nach der Auszeichnung haben andere Teams direkt bei mir angerufen und gefragt, wie wir das geschafft und was wir umgesetzt haben. Ich denke also, dass sich  in dieser Hinsicht in nächster Zeit bei allen viel tun wird.

Hat das Thema trotzdem Grenzen? Wird der Rennsport vielleicht Nachhaltigkeit immer ein Stück weit hintenanstellen müssen, weil es eben doch auch um das Vergnügen geht – um den Reiz des Sports, der einfach nur so funktioniert, wie er jetzt funktioniert?
Wie in jedem Sport geht es auch bei uns um Emotionen. Wir begeistern jährlich über 400.000 Zuschauer vor Ort an den Rennstrecken und Millionen vor den Bildschirmen. Im Publikum sitzen auch sehr viele Berufskraftfahrerinnen und -kraftfahrer, die werktags unsere Lieferketten aufrechterhalten. Wenn wir als Vorbild zeigen, dass der Wandel machbar ist, ihn in einer sonst eher rationalen Branche mit positiven Emotionen belegen und neue junge Fahrer für diesen Beruf begeistern können, dann haben wir unseren Beitrag geleistet. Sie fragen, ob das Thema Grenzen hat: Ich würde sagen, es gibt keine Grenzen. Gerade Motorsport war immer schon innovativ. Und wir werden uns stetig weiterentwickeln. Die einzigen Grenzen sind budgetärer Natur und die Frage ist, ob wir diesen Wandel und die emotionale Überzeugungsarbeit hin zu mehr Akzeptanz für Nachhaltigkeit im Nutzfahrzeugsektor als Team beziehungsweise Rennserie allein oder mit starken Partnern und Herstellern gemeinsamen bestreiten wollen. Letztes eröffnet mehr Möglichkeit und geht schneller.

»Wir begeistern jährlich über 400.000 Zuschauer vor Ort an den Rennstrecken und Millionen vor den Bildschirmen. Im Publikum sitzen auch sehr viel Berufskraftfahrerinnen und -kraftfahrer, die werktags unsere Lieferketten aufrechterhalten.«

Melanie Derflinger, Team- und Marketing-Managerin T Sport Bernau

Es gibt durchaus auch kritische Stimmen zur Nachhaltigkeitsauszeichnung der FIA. Wie gehen Sie als Team damit um?
Wir haben bisher kein negatives Feedback bekommen, die Rückmeldungen waren alle sehr positiv. Was ich vielleicht noch erklären muss: Diese Auszeichnung wird auch wirklich sehr streng gewertet. Wir haben den Stern nicht einfach so bekommen, sondern uns monatelang darauf vorbereitet, es wurden unter anderem Verträge und Dokumente genau kontrolliert. Mir ist bewusst, dass wir noch mehr tun können, aber es ist ja auch eine Entwicklung. Wir stehen jetzt am Anfang, und dafür haben wir auch ersteinen Stern bekommen, insgesamt gibt es bis zu drei Sterne. Der erste steht dafür, dass man ein klares Engagement zeigt und erste Maßnahmen umgesetzt hat. Dem werden wir schon sehr gut gerecht. Uns allen im Team ist Nachhaltigkeit persönlich wichtig, deshalb arbeiten wir auch weiterhin daran. Und wir würden uns natürlich freuen, wenn wir uns in den nächsten ein, zwei Jahren auch für den zweiten Stern qualifizieren könnten.
Ein schönes Ziel. Die neue Saison hat im Mai in Italien begonnen, bis September stehen insgesamt acht Rennen auf dem Programm. Welche Ziele setzen Sie sich sportlich für diese Saison?

Wir haben sehr hohe Ansprüche, aber wir sind auch realistisch. In dieser Rennserie sind einige Fahrer aktiv, die wirklich gut sind. Wenn wir unter die ersten fünf kommen, sind wir sehr zufrieden. Aber alles ist möglich: Wir könnten Europameister werden, wir könnten auf dem dritten Platz landen – oder mit zwei, drei Punkten Unterschied auf dem fünften, so ging es uns auch 2021. Das erste Rennen im Mai in Misano lief sehr gut, da waren wir bei den verschiedenen Rennen immer unter den ersten fünf. Das ist also realistisch, wir freuen uns jetzt auf die folgenden Monate und schauen mal, was die Saison so bringt. Es kommt auf eine gute Zusammenarbeit des Fahrers und der Mechaniker an der Rennstrecke an. Und ein bisschen Glück gehört natürlich auch immer dazu.

BPW berichtet auf seinen Social-Media-Kanälen, unter anderem auf Facebook und Instagram, regelmäßig über die Rennen, an denen T Sport Bernau teilnimmt.

ZUR PERSON

Melanie Derflinger ist seit fast 15 Jahren im Truck-Racing aktiv. Nach Stationen bei verschiedenen Teams in ganz Europa gründete sie mit ihrem Lebensgefährten Timothy Frost, technischer Manager und Chef-Rennmechaniker, ein eigenes Rennteam. Mit T Sport Bernau sind sie seit 2017 in der Europameisterschaft unterwegs. Derflinger übernimmt vor allem die Organisation von Veranstaltungen über das Marketing bis zur Betreuung von Partnerinnen und Partnern sowie Gästen am Rennplatz.

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