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Text: Oliver Schönfeld
Fotos: Holger Jacoby
Von der Schiene auf die Straße: Beim Bau von Speziallokomotiven, etwa für den Tunnelbau, zählt die Schöma Maschinenfabrik aus Diepholz zu den weltweit führenden Anbietern. Vor zwei Jahren begann das Unternehmen, auch Agrarauflieger für den Gülletransport zu fertigen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
Zweites Standbein sorgt für bessere Auslastung
„Unsere Jahresziele haben wir auf Anhieb deutlich übertroffen“, berichtet Geschäftsführer Carsten Brendler. Warum fiel der Entschluss, in ein neues Marktsegment einzutreten, ohne festen Kundenstamm und im Grunde ohne Aufträge? Die Antwort fällt kurz und trocken aus: „Ganz einfach, weil wir es können!“ Selbstverständlich waren der Entscheidung umfangreichere Überlegungen vorausgegangen. „Unser grundsätzliches Ziel war es, neben dem Lokomotivbau ein zweites Standbein für uns zu schaffen und unsere Fertigung ganzjährig konstanter auszulasten“, so Brendler. Dass dabei Landmaschinen schnell im Fokus stehen, liegt im Agrarland Niedersachsen auf der Hand. „Ein weiterer Vorteil war, dass wir im Grunde nichts investieren mussten außer Zeit und Mühe. Wir mussten es einfach tun. Und die Aufträge ließen dann auch nicht lange auf sich warten.“
»Wir mussten nicht lange überlegen.
Wir mussten es einfach tun.«
Schöma-Geschäftsführer Carsten Brendler zum Eintritt in den Agrartechnik-Markt
Von Nutzen war den Schöma-Konstrukteuren sicherlich, dass sie sich seit Jahrzehnten mit höchsten Qualitätsansprüchen und sehr individuellen Kundenanforderungen auskennen. Das 1930 gegründete Unternehmen hat sich über die Jahrzehnte eine führende Position beim Bau von Speziallokomotiven und einen weltweit guten Namen aufgebaut. Mehr als 7.100 Lokomotiven in allen Größen- und Gewichtsklassen haben das Werk in Diepholz bisher verlassen: Von drei bis 80 Tonnen und mit Leistungen von 38 bis 360 Kilowatt erfüllen die Schienenfahrzeuge stets exakt die Vorgaben, die der jeweilige Kunde an die Produkte stellt.
Führend bei weltweiten Infrastrukturprojekten
Die ersten Schöma-Lokomotiven kamen insbesondere beim regionalen Torfabbau zum Einsatz. Ab den 1970er-Jahren ging es unter die Erde, mit Tunnelbauprojekten. „Unseren endgültigen Durchbruch brachte der Bau des Eurotunnels zwischen England und Frankreich“, berichtet Brendler. Seitdem gibt es kaum größere Infrastrukturprojekte, die das Familienunternehmen nicht beliefert – vom U-Bahn-Bau in London, New York oder Singapur bis zum Jahrhundertprojekt Gotthardtunnel. Allein dort sorgten rund 100 Tunnelloks für einen zuverlässigen unterirdischen Baustellenverkehr.

Immer wieder brachte Schöma Innovationen hervor. Dazu gehört zum Beispiel der erste hydrostatische Antrieb mit zwei gekoppelten Lokomotiven, der bis zu 16 Achsen in Bewegung bringen kann – Mitte der 1990er-Jahre ein echtes Novum im Tunnelbau. Die ersten batteriebetriebenen Lokomotiven stellte das Unternehmen zur Jahrtausendwende vor. Der neueste Geistesblitz aus Diepholz ist der Hybridantrieb für Loks, der nach Bedarf zwischen elektrischer Power und einem Dieselmotor wechseln kann. 2019 kamen Schöma-Hybridloks erstmals in Tunnelprojekten in den USA und in Großbritannien zum Einsatz. Zusätzlich fertigt Schöma seit Jahrzehnten große Rangier- und Arbeitslokomotiven für die Industrie sowie solche für touristische Zwecke – unter anderem für die Inselbahnen auf Langeoog, Wangerooge und Borkum. Und nun eben auch Gülleauflieger für die Landwirtschaft.

Manufaktur mit hohem Qualitätsanspruch
Bei einem Rundgang durch das Werk hat der Besucher nie das Gefühl, sich in einer Massenproduktion zu befinden. Im Gegenteil, die Werkshalle wirkt eher wie eine Manufaktur. Der hohe Anspruch der Mitarbeiter an sich selbst und ihre Arbeit ist in den Gesprächen sofort spürbar – ebenso wie der Stolz auf das Endergebnis. „Eine Blechstärke unter vier Millimetern? So etwas nennen wir Folie“, erklärt Haskamp mit einem Schmunzeln. Qualität geht nun einmal vor, bis in alle Details. Rund 400 Arbeitsstunden und buchstäblich jede Menge Handarbeit sind vonnöten, ehe ein neuer Tanksattelauflieger vom Hof rollen kann.
Vor dem Aufbringen der Gülle auf die Felder wird umgefüllt. Um den speziellen Anforderungen zu entsprechen, haben die Schöma-Konstrukteure viel Aufwand in eine besonders stabile Konstruktion gesteckt. Komplexe FEM-Berechnungen (FEM: Finite-Elemente-Methode) zur Belastbarkeit und Stabilität waren der Entwicklung vorausgegangen. Das Ergebnis ist ein Agrarauflieger im Baukastensystem, der sich modular an den jeweiligen Kundenbedarf anpassen lässt. Erhältlich sind die TSA mit einem Fassungsvermögen von bis zu 31.000 Litern, wobei sich 26.000 Liter als Standardgröße etabliert haben. Das Gesamtgewicht des dreiachsigen Aufliegers beträgt bis zu 34 Tonnen inklusive Nutzlast.
Tiefer Schwerpunkt sorgt für hohe Fahrstabilität
Zu den Besonderheiten des Schöma-Agraraufliegers zählt der besonders niedrige Schwerpunkt, der für Fahrstabilität und somit mehr Sicherheit auch bei hohen Lasten sorgt. „Der Schwerpunkt unserer TSA liegt etwa 30 bis 40 Zentimeter tiefer als bei konventionellen Ausführungen. Vor allem in gebirgigen Regionen, zum Beispiel im Allgäu, ist unser Fahrzeug aufgrund der sehr guten Rangierfähigkeiten stark gefragt“, erläutert André Haskamp. Einen großen Anteil an der sicheren Straßenlage hat das BPW Fahrwerk mit dem AGRO FlexFrame. Er machte das Design des Tankkörpers mit seinem tiefen Schwerpunkt erst möglich.

Enge Zusammenarbeit mit BPW
Vor dem Einstieg in die Agrartechnik gab es bei Schöma keine Berührungspunkte mit BPW Bergische Achsen. „Potenzielle Agrarkunden machten uns aber schnell klar, dass sie auf die Montage von BPW Achsen bestehen“, erklärt Geschäftsführer Brendler. Gesagt, getan: Für die neuen Auflieger fiel die Wahl auf das Tandem-Komplettfahrgestell AGRO FlexFrame mit Hilfsrahmen und einer komplett montierten EBS-Bremsanlage von Wabco. „Das Gesamtsystem von BPW sowie die laufende technische Betreuung leisten einen wichtigen Beitrag zu unserem Erfolg in diesem Segment“, unterstreicht Carsten Brendler.
Die Schöma-Auftragsbücher sind durch das neue Marktsegment noch besser gefüllt. Um schnell auf Nachfragen reagieren zu können, werden zudem die TSA laufend vorproduziert. 20 bis 30 Agrarauflieger verlassen pro Jahr das Werk; mehr geben die derzeitigen Produktionskapazitäten nicht her. Wenn die Nachfrage weiter wächst, sind Erweiterungen allerdings nicht ausgeschlossen. Und angesichts der neuen Kundenkontakte in die Landwirtschaft liegt es auf der Hand, über weitere Produkte im Bereich Agrartechnik nachdenken. Gute Ideen sind den Technik-Tüftlern aus Diepholz schließlich in den vergangenen 90 Jahren noch nie ausgegangen.