Logistiker reden Tacheles: Das fordern wir von der Politik!

Lesezeit: ca. 9 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Adobestock Svyatoslav Lypynskyy, Rhenus SE & Co. KG, Dierk Kruse, Helmut Baldus GmbH

Die Logistik ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, doch viele Beschränkungen und Regularien machen den Unternehmern der Branche das Arbeiten schwer. Drei Logistiker benennen auf motionist.com ganz klar, was sie von der Politik erwarten.

Sascha Hähnke, Geschäftsführer, Rhenus Transport:

„Sind wir der Treiber oder sind wir die Getriebenen?“

Hubertus Kobernuss, ehemaliger Inhaber Jürgen Kobernuss Spedition, Aufsichtsratsmitglied des Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik (BGL) sowie Vizepräsident des Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachen e.V. (GVN):

„Diese Missstände dürfte es im vereinten Europa überhaupt nicht geben.“

Maximilian Baldus, Geschäftsführer und Personalverantwortlicher, Helmut Baldus:

„Ich wünsche mir mehr Europa und weniger Kleinstaaterei.“

Sascha Hähnke, Geschäftsführer von Rhenus Transport: „Ehrlich gesagt ist momentan das einzig Positive, dass anscheinend Geld da ist, denn es sind ja für mehrere Bereiche Fördertöpfe in Aussicht gestellt worden. Wobei wir auch nicht so tun dürfen, als wäre das Geld ein Geschenk – nach meinem Verständnis haben wir es über Steuern und über die Lkw-Maut selbst eingezahlt. Ansonsten fällt mir leider in der jetzigen Phase nicht viel Gutes ein. Als Unternehmer habe ich zurzeit – und hatte vor allem im vergangenen Jahr – sehr viel Arbeit mit dem Thema Digitalisierung. Das verursacht Kosten und bindet Ressourcen. Gleichzeitig haben wir nach wie vor mit dem Fahrermangel zu kämpfen, und es gibt zu wenig Parkplätze für Lkw. Dann kommt hinzu, dass wir uns als Branche mit alternativen Antrieben befassen müssen. Da frage ich mich immer: Sind wir der Treiber oder sind wir die Getriebenen? Ich wäre gerne Getriebener – das wäre der Fall, wenn wir politische Signale hätten, in welche Richtung es geht, und wenn die großen Hersteller uns auch in die richtige Richtung schicken würden. Aber es läuft leider umgekehrt: Wir müssen sowohl die Politik als auch die Hersteller treiben. Das ist eine große Herausforderung.

Unbürokratische und schnelle Förderung

Wir haben überhaupt nichts gegen klar definierte und ambitionierte Klimaziele, ganz im Gegenteil: Wir haben etwas dagegen, wenn diese Ziele halbherzig angegangen werden. Wenn Sie sich die heutigen Förderprogramme ansehen, dann ist das ein enorm aufwendiger Wust von Anträgen. Warum gibt es überhaupt Beratungsgesellschaften, die bei Förderanträgen helfen? Die Förderung müsste so unbürokratisch und schnell funktionieren, dass wir das problemlos selbst erledigen können. Zudem sind die Fördermittel deutlich zu niedrig, ganz abgesehen davon, dass die Bewilligung von Förderanträgen teilweise viele Monate dauert. Und vor allem: Wir haben bei den Fördertöpfen keinen fairen Wettbewerb. Während beispielsweise Kommunen bei Anschaffungen von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben mit bis zu 90 Prozent gefördert werden, erhält die Privatwirtschaft maximal 30.000 Euro pro Lkw. Das sind nur rund 10 Prozent der Anschaffungskosten!

»Alternative Antriebe sind keine Glaubensfrage, sie sind alternativlos.«

Alle verfügbaren alternativen Antriebe nutzen

Klimaschutz erreichen wir nur gemeinsam, sprich: Hersteller, Branche und Politik müssen zusammenarbeiten. In Brüssel wurde von einem ,Green Deal‘ gesprochen. Ein Deal bedeutet immer noch, dass alle Beteiligten eine Übereinkunft treffen, aber uns als Branche hat niemand gefragt – dieser sogenannte Deal ist beschlossen worden. Und wenn ich Interviews lese mit den großen OEMs, dann glaubt der eine nicht an die Konzepte des anderen – aber alternative Antriebe sind keine Glaubensfrage, sie sind alternativlos. Um die Klimaziele zu erreichen, werden wir zukünftig alle verfügbaren alternativen Antriebe nutzen müssen, und deshalb müssen alle gleichermaßen gefördert werden.

Das Ganze muss außerdem viel schneller gehen! Bisher fehlen die klaren Signale: Wir haben eine Mautbefreiung, die befristet ist und nach heutigem Stand Ende des Jahres ausläuft. Es ist kein Anreiz mehr da, Gasfahrzeuge zu kaufen, und die Möglichkeit zur Sonderabschreibung für Elektrofahrzeuge ist befristet bis 7,5 Tonnen. Wir haben keine Planungssicherheit! Von einer Handlungsempfehlung kann man schon mal gar nicht sprechen: Wir müssen uns selbst ein Bild machen und dann eine Entscheidung treffen. Damit tut sich die Branche schwer.

Nervt eure Kommunalpolitiker!

Innerhalb der Rhenus Gruppe versuchen wir, mit Kollegen Kräfte zu bündeln, und suchen den Dialog mit der Politik. Wir besprechen die kritischen Themen in Ausschüssen, in Verbänden und auch mit unseren Kunden. Es hakt zurzeit an sehr vielen Stellen, und darüber bleiben wir mit allen Akteuren im Gespräch. Ich appelliere immer wieder an Kollegen: Nervt eure Kommunalpolitiker, euren Landrat oder den zuständigen Bürgermeister! Thematisiert die Probleme in den Landesverbänden sowie Verkehrsausschüssen und lasst euch trotzdem nicht davon abhalten, an Feldversuchen teilzunehmen. Lasst uns alles gemeinsam testen, denn wenn wir uns zurücklehnen und warten, dann wird da herzlich wenig passieren.“

Veränderungen zugunsten von Volkswirtschaft und Bevölkerung

Hubertus Kobernuss, ehemaliger Inhaber der Jürgen Kobernuss Spedition, Aufsichtsratsmitglied des Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik (BGL) sowie Vizepräsident des Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachen e.V. (GVN): „Bei aller Kritik, die ich an unserem Rechtssystem, an den Kontrollorganen oder auch an den Gesetzen oder Verordnungen übe, ist Deutschland für mich doch immer ein Vorbild für die Funktionalität des Rechtsstaates. Auch wenn ich selbst in hohem Maße diesen Kontrollen unterliege und bei Fehlern auch bestraft werde, weiß ich, dass alle anderen genauso behandelt werden. Trotzdem gibt es viele Dinge, die ich einfach zugunsten der Volkswirtschaft und der Bevölkerung verändern möchte. Denn beide profitieren in hohem Maße davon, wenn es der Wirtschaft und der Logistik gut geht.

Zum einen haben wir mit dem Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) einen nationalen Ordnungsrahmen für gewerblichen Güterverkehr, aber die sogenannten Polensprinter – Kleintransporter aus Osteuropa, die zu Dumpingpreisen Stückgut transportieren – verzerren meiner Meinung nach den Wettbewerb komplett. Sie sind nicht in das GüKG eingebunden, und damit gilt für sie weder die EU-Sozialverordnung, noch besteht für sie ein Ordnungsrahmen. Das ist für mich ein Problem, das gelöst werden muss. Weiterhin haben wir fiskalisch national ja ganz klare Spielregeln, aber diese werden zum Teil dadurch umgangen, dass Unternehmen sich hier in Europa den Staat aussuchen, in dem die Unternehmensbesteuerung am geringsten ist. Illegale Kabotage hebelt den Ordnungsrahmen aus, und mit der Besteuerung wird auch ein Wettbewerb betrieben. Der geht wiederum Hand in Hand mit den Defiziten im sozialen Bereich, zum Beispiel was die Lohndifferenzen zwischen einzelnen Staaten betrifft. Auch die Überwachung des Ordnungsrahmens ist ein Problem, weil er teilweise unterschiedlich ausgelegt wird: Es gibt schon Länder, die die Überwachung zugunsten ihrer eigenen Unternehmen durchführen. Da sind die Kontrollen teilweise so locker, dass Spediteure eine Kabotage durchführen können, ohne Gefahr zu laufen, erwischt zu werden. Und passiert das ausnahmsweise doch einmal, müssen sie nur mit geringen Strafen rechnen.

»Ich finde, das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit, sondern das sind Missstände, die es im vereinten Europa überhaupt nicht geben dürfte.«

Große Unterschiede in Europa

Im technischen Bereich gibt es ebenfalls große Unterschiede in Europa. Größere – schwerere, breitere, längere – Fahrzeuge dürfen in Deutschland nur sehr begrenzt und nur unter bestimmten Bedingungen auf die Straße, während in Ländern wie Skandinavien, den Beneluxstaaten oder teilweise auch in Frankreich andere Fahrzeugkombinationen mit wesentlich höheren Gewichten oder Maßen zugelassen sind. Ich verstehe natürlich die Diskussion um die Belastung der Straßen und Brücken, aber dann sollte man darüber nachdenken, gemeinsam bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ein Forschungsprojekt zu initiieren. Es müsste untersucht werden, wie man die Infrastruktur – die Brücken und Straßen – sowie die Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen – Radstände, Achsabstände, Achslasten und Gesamtmassen – optimieren und letztlich effizienter nutzen kann. Ein weiterer Punkt sind die Einschränkungen des Wegerechts: Mit der Verkehrslenkung durch die Maut zum Beispiel wird Wegerecht sanktioniert und gesteuert. Die Durchfahrtsverbote auf den Magistralen in Österreich sind für mich ein ganz großes Hemmnis. Ich finde, das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit, sondern das sind Missstände, die es im vereinten Europa überhaupt nicht geben dürfte.

Gleiche Rechte für alle Kontrollorgane

Deutschland hat auch die niedrigsten Bußgelder in ganz Europa, wenn es darum geht, Verstöße zu ahnden. Die Disziplin der Autofahrer wird ja aber nur dann erhöht, wenn der Bußgeldrahmen sie auch wirtschaftlich hart trifft. In Belgien und Frankreich werden auch bei recht geringen Verstößen gleich vierstellige Strafzahlungen abgerufen. Ich sehe in unseren Nachbarländern auch, dass dort die Polizei oder die Kontrollorgane wesentlich mehr Rechte haben: In Deutschland kontrolliert das Bundesamt für Güterverkehr die Lenk- und Ruhezeiten und den Ordnungsrahmen, die Polizei zusätzlich technische Fragen, und der Zoll prüft die Einhaltung der sozialen Vorschriften und Mindestlöhne. Das geht einfach nicht! Es müssen alle Kontrollorgane die gleichen Rechte haben, und sie müssen auch übergreifend agieren können. Es kann nicht sein, dass unsere Bürger der Meinung sind, alles sei erlaubt, solange man nur nicht erwischt wird. Das ist ein klarer Standortnachteil für Deutschland! Und dass die Politik das nicht regeln will, ist für mich nicht nachvollziehbar.“

Harmonisierung des Wettbewerbs

Maximilian Baldus, Geschäftsführer und Personalverantwortlicher der Helmut Baldus GmbH: „Ich denke, die Harmonisierung des Wettbewerbs sollte derzeit im Fokus der politischen Arbeit stehen. Es ist toll, dass der Transportsektor und der europäische Markt sehr frei sind, aber gleichzeitig bedeutet das, dass im Moment derjenige Kostenführer ist, der die günstigsten Fahrer, Fahrzeuge oder politischen Rahmenbedingungen hat – während alle im selben Markt gegeneinander antreten. Es gibt ja gewisse Warenströme in Europa, die nur noch von bestimmten Nationalitäten bedient werden. Im Sinne der freien Marktwirtschaft sollte aber der Unternehmer mit der besten Performance am Markt bestehen und nicht der mit dem günstigsten Personal, das dann unter Umständen über Wochen und Monate im Lkw lebt. Ich wünsche mir mehr Europa und weniger Kleinstaaterei.

Innovationskraft für den Mittelstand

Bei der Digitalisierung sieht man an Beispielen wie Flixbus oder Amazon, dass sie häufig in eine Monopolisierung führt: Je digitaler die Anforderungen werden, desto entscheidender ist die Größe der Plattform. Das erhöht die Barrieren für den Eintritt in den Markt und droht, den Mittelstand zu verschlingen. Auch von politischer Seite sollte man sich deshalb bewusster werden: Wenn es um Digitalisierung geht, gibt es nicht nur Start-ups und Großkonzerne, sondern auch einen starken Mittelstand – und der sollte Innovationskraft haben. Man sollte sich ernsthaft Gedanken machen, wie man Digitalisierung organisiert, ohne dass es nachher einen Großbetreiber gibt, der den ganzen Markt abdeckt und dem die anderen nur noch untergeordnet sind.

»Statt Fördergeldern würden uns bei diesen Herausforderungen bessere Rahmenbedingungen helfen: ein Abbau der Bürokratie und auch hier die Vereinheitlichung für Europa.«

Mehr Geld für mutige Entscheidungen

Dem Transportsektor werden derzeit immer neue Kosten auferlegt. Unternehmer sind gezwungen, in neue Fahrzeuge zu investieren, um Maut zu sparen, und diverse Abgaben zu leisten. Doch wenn sie so belastet sind und einen hohen Kostendruck haben, gleichzeitig jedoch mit Mindestmargen arbeiten, können sie nicht innovativ sein. Nur wer die finanziellen Mittel dazu hat, kann beispielsweise alternative Antriebe ausprobieren, ohne dass es den Ruin des Unternehmens bedeutet, wenn sich die Technologie am Ende doch nicht durchsetzt. Statt Fördergeldern würden uns bei diesen Herausforderungen bessere Rahmenbedingungen helfen: ein Abbau der Bürokratie und auch hier die Vereinheitlichung für Europa. Ich bin ein absoluter Fan von Europa und vom freien Markt, aber die Bedingungen müssen gleich und fair sein.

Es ist nur ein Gedankenspiel, aber man könnte vor dem Hintergrund des Klimaschutzes einen Mindestpreis für Transporte bestimmen. Ich bin sehr liberal und will ganz sicher keine Planwirtschaft, doch so ein Ansatz könnte den Unternehmen ermöglichen, dass nicht die reine Marktspekulation unrealistische, utopische Transportpreise hervorbringt und alles quasi zu Dumpingpreisen durch die Gegend gefahren wird. Und dass der Spediteur, der die Fahrt macht, eine Marge hat, die es ihm auch ermöglicht, im Kleinen innovativ zu sein und in Dinge zu investieren, die sein Unternehmen zukunftsfähig halten. Man könnte sich mehr vom Alltagsgeschäft lösen und um das Strategische kümmern, statt um den Alltag zu bangen und sich ständig auf bürokratische Neuerungen einzustellen.

Mitarbeiter besser bezahlen

Nur jammern darf man natürlich auch nicht, denn wir leben ja in einem der sichersten, vernünftigsten und bestorganisierten Länder dieser Welt. Natürlich wünscht man sich Verbesserungen in allen möglichen Bereichen, aber die Grundlagen stimmen, da hat man wirklich keinen Grund zum Klagen. Trotzdem hat die Logistik noch nicht die Lobby, die sie verdient und brauchen würde. Mir ist es nicht wichtig, dass die Branche heroisch gefeiert wird. Nein, es soll einfach so sein, dass man in der Logistik arbeiten kann und die Chance hat, seine Mitarbeiter besser zu bezahlen. Man hätte als Unternehmer die Möglichkeit, entspannter zu arbeiten, innovativer zu sein und sich stärker den Dingen zu widmen, die für die Zukunft wichtig sind, als darum, bürokratische Anforderungen zu pflegen.“
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