„KI verbessert alle Bereiche der Logistik“

Lesezeit: ca. 5 Minuten
Text: Juliane Gringer
Foto: Tim Wegener

Die TH Köln macht den Studierenden herausragende Lehrangebote zum Thema „künstliche Intelligenz in der Logistik“. Dafür erhielt das Logistikteam der TH jüngst den Hochschulpreis Güterverkehr und Logistik des Bundesverkehrsministeriums, der 2020 unter dem gleichnamigen Motto stand. Prof. Stephan Freichel erklärt, wo künstliche Intelligenz (KI) schon heute in der Praxis angekommen ist und wie sich Führungskräfte für die Zukunft aufstellen sollten.

Wie hat das Thema KI bei Ihnen Einzug in die Lehre gefunden?

Prof. Stephan Freichel: Digitalisierung prägt seit einigen Jahren auch die Logistik, und schon deshalb muss sie in unsere Lehrangebote einfließen. Als Hochschule für angewandte Wissenschaften schauen wir immer, was bei so einem Thema State of the Art ist, und setzen es in unsere Module in den Studiengängen um, die auf Logistik sowie Supply Chain and Operations Management ausgerichtet sind. Unsere Kolleginnen und Kollegen aus den Technik- und IT-Studienfächern können uns hier zum Beispiel gute Impulse geben und die Inhalte mit ihren Laboren auch sehr gut veranschaulichen. Daher war für uns recht früh klar, dass wir künstliche Intelligenz überall dort aufnehmen, wo es passt. Daraus sind Forschungsprojekte gewachsen, die wir mit den Studierenden ausarbeiten, gerade im Master-Programm. Und natürlich geben uns auch unsere Partnerunternehmen immer wieder Input: So schreiben Studierende der TH Köln in Kooperation mit BPW Bergische Achsen KG Projekt- und Abschlussarbeiten. Alles in allem ist KI für uns kein Trendthema, sondern eine sehr relevante Kompetenz.

Wie sieht es in der praktischen Logistik aus – wie viel KI ist dort schon angekommen?
Wir sehen sie heute bereits beim autonomen Fahren und damit auch beim Transport auf der Straße. In der betrieblichen Intralogistik wird sie in Staplern oder weiteren inner- und zwischenbetrieblichen Transportsystemen genutzt. Durch Forecasting, also die Voraussage der Nachfrage, weiß man immer besser, was der Kunde morgen will. In der Netzwerkplanung für Läger sind solche Algorithmen heute bereits in den Software-Lösungen auch der klassischen Anbieter enthalten: Das spart viel Zeit und Papierkram in Vertrieb und Auftragsabwicklung. In der Verwaltung werden unter anderem Bots eingesetzt, um bestimmte Vorgänge frühzeitig zu validieren oder auch zu antizipieren. Rechnungen werden gescannt, erkannt, erfasst, automatisch nach Zahlungsziel terminiert und durch Assistenzsysteme bearbeitet. Chatbots werden im Vertrieb bereits im schriftlichen Dialog oder im Call Center genutzt. Und, last but not least: Im maschinellen Lernen können Sensordaten von Maschinen frühzeitig Verschleiß anzeigen – Stichwort: Predictive Maintenance.

»Was Unternehmer nicht tun sollten: stillstehen und bei der althergebrachten Zettelwirtschaft bleiben. Das funktioniert nicht mehr, da werden sie weggepustet!«

Prof. Stephan Freichel, Fakultät für Fahrzeugsysteme und Produktion der TH Köln

Die Technologie schreitet rasant voran. Wie können Unternehmen möglichst sichergehen, dass sie die richtigen Investitionen tätigen?
Dazu sollten sie zuerst schauen, wo sie stehen, welche Handlungsfelder und Kräfte sie zur Verfügung haben. Es beginnt mit der guten alten Lean-Einstellung: Alles sollte schlanker, besser, schneller, effizienter, kostengünstiger, service- und kundenorientierter werden. Das ist die Überschrift. Dann müssen sie schauen, was sie tatsächlich erfassen und digitalisieren können – und sich Stück für Stück in Richtung der vorhandenen Möglichkeiten bewegen. Sie können sich beispielsweise fragen, wie sie ihre Lkw intelligenter machen, die Fahrer einbinden und ihnen sowie den Disponenten das Leben durch digitale Tools weiter erleichtern können. Sie sollten intelligente Steuerungsverfahren nutzen, die Software up to date halten und mehr Sensorik aufnehmen, um die Daten für sich nutzbar zu machen. Gleichzeitig sollten sie auch die Grenzen im Blick behalten und erkennen, wo ein Geschäftsmodell strategisch noch Chancen hat und wo sie vielleicht besser auf andere Pferde setzen sollten – weil es Dinge gibt, bei denen man nicht mehr mithalten kann. Was Unternehmer nicht tun sollten: stillstehen und bei der althergebrachten Zettelwirtschaft bleiben. Das funktioniert nicht mehr, da werden sie weggepustet! Weil die Dinge dann einfach nicht genau und transparent genug sind und es dadurch zu Fehlentscheidungen kommt.
Wie gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Thema um?
Die Sensibilisierung für diesen Wandel muss man mit der kompletten Mannschaft trainieren, das Team geht mit auf die Reise. Denn wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Hacken in den Sand stecken, passiert gar nichts. Sie haben natürlich eine gewisse Angst vor der Zukunft und machen sich Sorgen, dass ihre Arbeitskraft durch die Technologie überflüssig wird. Obwohl ja alle privat das Smartphone in der Tasche haben, ist Digitalisierung im Beruf für viele immer noch ein Fremdkörper. Angst erzeugt Widerstand. Das muss man ernst nehmen und ihnen Stück für Stück zeigen, wo sie jetzt ihre Stärken einbringen können oder wo sie sich auch ein Stück weit verändern müssen.
Wie müssen Führungskräfte aufgestellt sein, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
Als Basis brauchen sie natürlich das nötige Fachwissen. Darüber hinaus sollten sie interdisziplinär denken, international agieren und in der Lage sein, Potenziale und Grenzen der neuen Technologien richtig einzuschätzen sowie für neue Projekte zu nutzen. Genauso wichtig sind soziale und interkulturelle Skills, Compliance und ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl für Umwelt und Gesellschaft. Im Rahmen der Digitalisierung sind nahezu alle Projekte, mit denen bessere oder neue Geschäftsprozesse gestaltet werden sollen, mit einem IT-Projekt verbunden. Führungskräfte sollten in mehrerer Hinsicht digital denken und arbeiten.

»Mit künstlicher Intelligenz bekomme ich einen besseren Blick nach vorne, kann Handlungen besser planen und finanzielle, technische, logistische sowie prozessuale Entscheidungen auf einem viel stärkeren Fundament aufbauen.«

Prof. Stephan Freichel, Fakultät für Fahrzeugsysteme und Produktion der TH Köln

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorteile von KI?
In dem Begriff steckt das Wort „Intelligenz“, und genau das ist der Kern: Die Technologien schaffen sehr viel schneller, was dem menschlichen Hirn nur mit großer Mühe und Computern nur mit hohem Programmieraufwand gelingt. Mit künstlicher Intelligenz bekomme ich einen besseren Blick nach vorne, kann Handlungen besser planen und finanzielle, technische, logistische sowie prozessuale Entscheidungen auf einem viel stärkeren Fundament aufbauen. Ob distributionslogistische Vorgänge, Produktionsversorgung, Beschaffungslogistik oder Transportlogistik – alle Bereiche der Logistik werden dadurch besser.
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