Gesucht: Smarte Mobilitätskonzepte für die Citylogistik

Lesezeit ca. 5 Minuten
Text: Oliver Schönfeld
Fotos: Oliver Schönfeld, Universität Duisburg Essen – Lehrstuhl für ABWL & Int. Automobilmanagement

Wie können sich Metropolen vor dem Verkehrskollaps retten? Wie lässt sich Logistik auf der letzten Meile oder den letzten 100 Metern effizienter und umweltverträglicher gestalten? Das 11. Wissenschaftsforum Mobilität der Universität Duisburg-Essen lieferte dazu spannende Antworten – von rasend schnellen Transportkapseln über unterirdische Transporte bis zur Nachrüstung mit E-Antrieb.

„Die nachhaltige Gestaltung von Mobilität wird eine der größten Herausforderungen für alle Metropolen sein“, so Prof. Dr. Thomas Spitzley, Prorektor der Universität Duisburg-Essen. Experten sind sich einig: Eine singuläre Lösung, die alle logistischen Probleme in Großstädten und Ballungsräumen auf einen Schlag löst, gibt es nicht. Die bekannten Herausforderungen auf der letzten Meile oder sogar nur den letzten 100 bis 200 Metern erfordern intelligente Antworten.

„Wir müssen endlich damit beginnen, Verkehr mehrdimensional zu denken“, ist Prof. Dr. Heike Proff vom Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Automobilmanagement überzeugt. „Durch die intelligente Vernetzung verschiedener Verkehrsträger können wir Lösungen für heutige und zukünftige Anforderungen finden.“ Robocopter, Transportkapseln, Elektrofahrzeuge, Lastenräder – erst deren gut koordiniertes Zusammenspiel kann eine effizientere und umweltverträglichere Logistik in der Smart City ermöglichen.

Zu Erkenntnissen wie diesen gelangten die Teilnehmer des Wissenschaftsforums Mobilität 2019 im Duisburger CityPalais. Das Forum wird seit 2008 jährlich vom Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Automobilmanagement ausgerichtet und bietet Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik eine Plattform zur intensiven Diskussion von Forschungsergebnissen. 2019 lautete das Thema „New Dimensions of Mobility Systems“.

»Der heutige Verkehr ist eine einzige Vollkatastrophe.«

Christoph Gümbel von der Schweizer Future matters AG

Von der „Vollkatastrophe“ zur Smart City

Das Potenzial neuer Mobilitätssysteme erscheint bereits heute groß, doch der Weg zu intelligenten Verkehrs- und Logistikkonzepten für Smart Citys ist noch weit, sind sich die Experten einig. Einen globalen Ausblick wagte Zukunftsforscher Christoph Gümbel von der Schweizer Future matters AG. Er macht die Nutzung erneuerbarer Energien und die fortschreitende Digitalisierung als Treiber für die Mobilität der Zukunft aus. Seine ernüchternde Diagnose des Ist-Zustandes lautet: „Der heutige Verkehr ist eine einzige Vollkatastrophe.“ Smart Mobility könnte das ändern. Dass die Bürger dabei ohne eigenes Fahrzeug auskommen, müsse nicht zwangsläufig Verzicht bedeuten. Im Gegenteil: Mit Mobilität-on-Demand und personalisierten Diensten könnten in Zukunft sogar Komfort und Mehrwerte für den Einzelnen noch zunehmen – bei gleichzeitig weniger Staus und weniger Emissionen. Allerdings mahnte Gümbel: „Wir haben nur eine Chance, dieses Konzept bei den Nutzern zu etablieren. Daher müssen wir schnell, umweltfreundlich und vor allem erfolgreich sein.“

Warentransport mit Schallgeschwindigkeit

Innovative Technologien könnten die Lösung für viele Herausforderungen sein. Sogenannte Holocopter würden den Verkehr beispielsweise in die Luft verlegen. Im Emsland könnten dagegen mit dem HyperPodX rasend schnelle Transportkapseln realisiert werden – auf dem Trassenverlauf der alten Transrapid-Versuchsanlage. „Den Aufbau einer eigenen Teststrecke halte ich in fünf bis sechs Jahren durchaus für realistisch“, sagte Prof. Dr. Thomas Schüning von der Hochschule Emden/Leer, dessen Studierende derzeit noch auf Teststrecken beispielsweise in Kalifornien angewiesen sind, um ihre Entwürfe zu erproben. Die bodengebundenen Transportkapseln, die magnetisch schweben, würden seiner Meinung nach gerade für die Logistik viel Potenzial bieten: „Logistische Anwendungen sehe ich in der Realisierung noch deutlich vor Personentransporten, etwa, um Hubs effizient und schnell mit HyperPods zu erreichen“, so Schüning. Ideal dafür seien Distanzen von mindestens 500 Kilometern. An den Knotenpunkten könnten dann straßengebundene Transportmittel übernehmen, um die letzte Meile in einem effizienten und nachhaltigen Mix zu abzuwickeln.

Rund 350 Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diskutierten am 23. Mai 2019 beim 11. Wissenschaftsforum Mobilität der Universität Duisburg-Essen über neue Logistikkonzepte.

Tram für die letzten 100 Meter

Dabei muss diese letzte Etappe bis zum Empfänger, die vielleicht nur einige Hundert Meter umfasst, nicht zwangsläufig auf der Straße zurückgelegt werden. Viele Metropolen verfügen schon heute über ein dichtes innerstädtisches Schienennetz, das mit Straßenbahnen derzeit nur für den Personenverkehr genutzt wird. Hier setzt das Pilotprojekt einer „Last Mile Tram“ in Frankfurt/Main an, das die Entwicklung von der einstufigen, direkten Belieferung durch KEP-Dienstleister auf der letzten Meile hin zu einer dreistufigen Belieferung ermöglichen könnte.

„Die Tram übernimmt Sendungen an bestimmten Knotenpunkten, idealerweise Endhaltestellen oder Wendepunkten, legt einen Teil der Transportstrecke zurück und gibt die Pakete anschließend an Lastenfahrräder, Sackkarren-Transporter oder andere Transportmittel weiter“, erläutert Dr.-Ing. Dominic Hofmann, Wissenschaftlicher Leiter des Research Lab for Urban Transport (ReLUT) an der Frankfurt University of Applied Sciences. Der Pilotversuch auf einer Straßenbahnlinie in der Frankfurter City brachte neue Erkenntnisse, was die Technik betrifft – also bezüglich der Boxen für den Transport in der Tram und hinsichtlich der Lastenräder für die Feindistribution. Doch bevor neue Transportkonzepte realisiert werden können, sind häufig noch Regularien anzupassen, im konkreten Fall das Personenbeförderungsgesetz und weitere Verordnungen, die zurzeit den gleichzeitigen Personen- und Lastentransport nicht gestatten.

Unterirdisch in die Smart City

Ein weiterer Puzzlestein für die Citylogistik von morgen könnten unterirdische Transporte sein: Der heute bereits verfügbare technische Standard der Intralogistik ließe sich dazu nutzen, palettierte Güter automatisiert durch unterirdische Fahrrohrleitungen zu befördern. Die Transporte im sogenannten Smart City Loop erfolgen autonom, elektrisch – und unabhängig von oberirdischen Verkehrsstaus und Witterungsverhältnissen. Auch hier soll der Weg zu ersten Erprobungen in Großstädten nicht mehr weit sein. In Hamburg beispielsweise läuft aktuell eine Machbarkeitsstudie, die bis zum Herbst 2019 abgeschlossen sein soll. Dabei werden die Möglichkeiten für eine unterirdische Verbindung von einem auswärts gelegenen Lagerstandort in ein innerstädtisches Verteilzentrum geprüft. Das Ziel lautet, täglich bis zu 3.000 Paletten in die Stadt und rund 2.000 wieder hinaus zu befördern – und auf diese Weise die chronisch dichten Straßen zu entlasten.

»Nachhaltige Logistik ist nicht einfach zu verwirklichen –
aber sie ist möglich.«

Peter Harris, Director Sustainability, UPS Europe

Nachhaltigkeit in der Logistik: Nicht reden. Machen.

Umweltverträgliche Logistik in der Stadt – ist das ein Widerspruch in sich? Peter Harris, Direktor für Nachhaltigkeit bei UPS in Europa, ist überzeugt: „Nachhaltige Logistik ist nicht einfach zu realisieren, aber sie ist möglich.“ Dazu gelte es, alle Aspekte der Transportprozesses zu beleuchten, bis hin zur Verpackung. UPS unterstützt beispielsweise mit PackPerfect Kunden bei der Konzeption volumensparender Verpackungen. Denn: Wenn das Volumen sinkt, entsteht Platz für mehr Sendungen pro Fahrzeug – und das bedeutet auch weniger Emissionen pro Paket. Auch aufseiten der Antriebstechnik sei schon heute vieles möglich, so Harris: Ältere Fahrzeugeinheiten könnten auf einen elektrifizierten Antrieb umgerüstet werden, in der Stadt ist der schrittweise Umstieg auf „Bicycle Logistics“ möglich. UPS setzt in der Kölner Innenstadt beispielsweise auch ein neues E-Fahrzeugmodell ein: Das konventionelle 7,5-Tonnen-Zustellfahrzeug wurde umgebaut – statt eines Dieselmotors sorgt eTransport, ein von BPW entwickeltes elektrisches Antriebssystem, für die nötige Leistung. Laut Harris liegt eine weitere Herausforderung in der Versorgung der Elektrofahrzeuge in den Logistikdepots: Smart Grid und der Aufbau eigener Energiespeicher unter Nutzung ausrangierter E-Fahrzeug-Batterien seien ebenfalls wichtige Bausteine, um die Effizienz zu steigern, operative Kosten zu senken und gleichzeitig heutige Infrastrukturprobleme zu lösen.

Die Initiative zu mehr Nachhaltigkeit kommt auch von den Städten selbst: So hat sich etwa die Stadt Hamm verpflichtet, die Verkehrsbelastungen zu reduzieren, und gibt dazu – als bislang einzige Stadt in Nordrhein-Westfalen – konkrete Obergrenzen für die Verkehrsbelastung auf allen Hauptverkehrsstraßen vor. Das Konzept, das im ICEM-Projekt – IntraCity E-Mobility entwickelt wurde, geht in Kürze in die konkrete Erprobung. Dreh- und Angelpunkt ist die Entkopplung von überregionalem Transport und regionaler Distribution. Dazu hat etwa die SRH Hochschule Hamm das Konzept für ein Compact-Cross-Docking-Center entwickelt. Anstelle der heute üblichen, zentralen Regional-Hubs sind dabei kleinere Umschlagszentren vorgesehen, die dezentral angesiedelt werden. Das bedeutet kurze Lieferwege in die City oder die Wohnquartiere – und ermöglicht so umweltverträgliche Beförderung auf der letzten halben Meile, mit Elektrofahrzeugen oder auch mit Lastenfahrrädern.

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