Elektro-Lkw für die Citylogistik aus dem Baukasten

Kollegen und Sparringspartner: Projektleiter Gerret Lukas (PEM) und Josha Kneiber (BPW) stellen gemeinsam den Elektro-Lkw für die Citylogistik auf die Räder.

Lesezeit ca. 5 Minuten
Text: Joachim Geiger
Fotos: Sabine Schmidt, BPW

Diesel raus, E-Antrieb rein: Ein Lkw mit Selbstzünder kann zu einem blitzsauberen Elektro-Lkw für die Citylogistik werden. Damit diese Transformation gelingt, entwickeln Forscher der RWTH Aachen einen Baukasten mit allen nötigen Komponenten. Herzstück ist die elektrische Antriebsachse eTransport von BPW.

Der Wirtschaftswissenschaftler Josha Kneiber gehört zum Team Elektromobilität bei BPW. In diesem Bereich ist der 28-Jährige zuständig für das Business Development.

Der Wirtschaftsingenieur Gerret Lukas forscht am Lehrstuhl „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) der RWTH Aachen. Der 27-Jährige ist Projektleiter bei LiVe. Lukas schreibt derzeit seine Promotion im Bereich des additiven Werkzeugbaus.

Der Lehrstuhl „Produktionstechnik für Komponenten der Elektromobilität“ (PEM) der RWTH Aachen hat im Rahmen des Forschungsprojekts „LiVe“ einen Elektro-Lkw für die Citylogistik auf die Räder gestellt. Geht die Hochschule jetzt unter die Fahrzeugbauer?

Gerret Lukas: Den Bau von Lkw überlassen wir den Nutzfahrzeugherstellern. Es ist natürlich schön, wenn auf die Forschung eine erfolgreiche Praxis folgt. Das war so beim StreetScooter und beim Kleinstwagen e.GO Life. Der Fokus unseres Instituts liegt aber auf einer nachhaltigen und flexiblen Produktionstechnik für elektrische Fahrzeuge. Allerdings gibt es zwischen dem LiVe-Projekt und der Nutzfahrzeugbranche eine große Schnittmenge. Heute stehen viele Logistiker unter dem Druck, ihre Flotten strengen Umweltauflagen anzupassen. Gerade in der Citylogistik sind daher bezahlbare Lösungen gefragt. An diesem Punkt setzt das PEM an: Wir wollen Herstellern und Flottenbetreibern die Möglichkeit geben, einen Lkw schnell, effizient und preiswert mit einem elektrischen Antrieb auszustatten. Dazu haben wir einen Prototyp in der 7,5-Tonnen-Gewichtsklasse entwickelt, mit dem wir Technologien für ein elektrisches Antriebskonzept unter die Lupe nehmen. Der Lkw ist ein handelsüblicher Isuzu der N-Serie, den uns der japanische Hersteller als Basis zur Verfügung gestellt hat.

Welche konkreten Aufgaben stehen auf der Forschungsagenda?

Lukas: Wir stellen im LiVe-Projekt einen Konstruktionsbaukasten für einen elektrischen Antriebsstrang zusammen. Das ist das Herzstück unseres Projekts. Der Baukasten kommt in den ersten Phasen der Entwicklung und Produktion eines Elektro-Lkw zum Einsatz. Eine solche Lösung gibt es auf dem Markt bisher noch nicht. Ein Lkw für die Citylogistik oder für den regionalen Verteilerverkehr benötigt allerdings eine andere Spezifikation als ein Lkw für Handwerker oder Kommunalbetriebe. Wir legen daher den Baukasten so aus, dass er flexibel unterschiedliche Kundenanforderungen bedienen kann. Gleichzeitig geht es darum, die Lebenszykluskosten für den elektrischen Lieferverkehr zu reduzieren. Das betrifft die einzelnen Komponenten in unserem Baukasten, aber auch die Nutzung und die Entsorgung eines Fahrzeugs.

Forscher und Dienstleister: Gerret Lukas und Josha Kneiber arbeiten bei der Integration der elektrischen Antriebsachse eTransport in das Forschungsfahrzeug eng zusammen.

Wie haben Sie den Baukasten bisher bestückt?

Lukas: Wir ersetzen den kompletten konventionellen Antrieb und die dazugehörenden Systeme. Am Anfang mussten wir also jede Menge Fragen beantworten: Wie soll die neue Antriebseinheit überhaupt aussehen? Welche Lösung lässt sich einfacher produzieren, montieren und warten? Und welche Lösung verspricht dem Kunden die größten Vorteile? Dazu haben wir uns einen Zentralmotor und klassische Radnabenmotoren angesehen. Danach ist uns schnell klar geworden, dass BPW mit seiner vollintegrierten Antriebslösung die beste Wahl für unseren Baukasten ist. Mit der elektrischen Achse eTransport haben wir jetzt das Rückgrat für unser System gefunden. Schwieriger ist das bei anderen Komponenten. Serienreife Lösungen sind im Nutzfahrzeugbereich Mangelware. Für die Servolenkung zum Beispiel nutzen wir derzeit eine Pumpe aus dem Pkw-Bereich. Für die Parkbremse und die Hilfsbremse würden wir uns einen elektrischen Bremssattel wünschen. Aber den gibt es in dieser Klasse nicht für Geld und gute Worte.

Wie engagiert sich BPW im LiVe-Projekt?

Josha Kneiber: Wir wollen das Ökosystem der Elektromobilität in allen Facetten immer besser verstehen. Die Zusammenarbeit mit dem PEM bietet uns eine ausgezeichnete Möglichkeit, auf diesem Gebiet dazuzulernen. Das gilt auch für die Total Cost of Ownership (TCO), also die Kosten, die über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs entstehen. Die haben wir auch bei unseren anderen Kernprodukten wie Fahrwerk- und Bremssystemen für Lkw-Anhänger und -Auflieger immer im Blick. Die elektrische Antriebsachse eTransport ist eine Schlüsseltechnologie, die im Hinblick auf die Lebensdauer eines Elektro-Lkw auch in wirtschaftlicher Hinsicht punkten kann. Das Gute an unserem System ist, dass es sich in verschiedene Fahrzeugmodelle integrieren lässt. Mit unserem Partner Paul Nutzfahrzeuge rüsten wir gerade eine Flotte der Baureihe Mercedes-Benz Vario zu elektrisch angetriebenen Lkw um. Im LiVe-Projekt stellte sich die Herausforderung, dass das PEM bei der Entwicklung des Prototyps das vorhandene Bremssystem übernehmen wollte. Unsere Ingenieure haben es aber in kurzer Zeit geschafft, die Geometrie der elektrischen Achse an den Bauraum des Fahrzeugs anzupassen und die gesetzlichen Vorgaben für die technische Ausstattung zu erfüllen.

Pfiffige Idee: Die Forscher des PEM haben auf der Ladefläche über der Antriebsachse eine Kunststoffplatte installiert, durch die sich das elektrische System begutachten lässt.

Wie stellt sich BPW mit seiner Systemlösung im Wettbewerb auf?

Kneiber: BPW ist mit der elektrisch angetriebenen Achse eTransport der einzige Anbieter einer vollintegrierten Antriebslösung auf dem Nutzfahrzeugmarkt. Das stärkt unsere Expertise als Mobilitäts- und Systempartner der Nutzfahrzeughersteller und Flottenbetreiber. Für uns ist der erste Schritt in den Markt die klassische Umrüstung, wie wir sie mit Paul Nutzfahrzeuge umsetzen. Der zweite wäre die Aufrüstung eines leeren Chassis. Diesen Ansatz verfolgt StreetScooter in einer Kooperation mit Ford. Mittlerweile baut der Hersteller das Modell StreetScooter Work XL auf Basis eines Fahrgestells des Ford Transit zum Elektrofahrzeug auf. Schritt Nummer drei wäre die Erstausrüstung. Hier liefern wir die Achse dann direkt an das Produktionsband des Herstellers.

Eine Stellgröße bei den Lebenszykluskosten sind die Batterien. Haben Sie dazu eine Lösung im Baukasten?

Lukas: Das Batteriekonzept ist ein zentrales Thema unseres Instituts. Unsere Forschung geht dahin, mithilfe von Bausteinen ein flexibles System zu entwickeln. Die Batterie unseres Elektro-Lkw für die Citylogistik soll künftig aus mehreren Modulpacks bestehen, die einzelne Module mit Lithium-Ionen-Zellen im Pouch-Format umfassen. Die Modulpacks lassen sich auf den benötigten Energiebedarf zuschneiden. Hier kommt ein handfester Vorteil des Antriebssystems eTransport zum Tragen: Da es wenig Bauraum benötigt, können wir in unserem Isuzu-Forschungsfahrzeug jede Menge Batteriekapazität im Mitteltunnel unterbringen. Das wirkt sich günstig auf Achslastverteilung und Fahrstabilität aus. Im Vergleich zu Batterien außerhalb des Leiterrahmens ist das die bessere Lösung.

Wie steht es bei diesem Konzept mit der Nachhaltigkeit?

Lukas: Das ist ein ganz besonderer Aspekt unseres Batteriesystems. Wir haben für die Module eine spezielle Austauschlösung entwickelt. Wenn eine Batterie nur noch 80 Prozent Leistung hat, liegt das häufig an zehn Prozent der Zellen im Modul. Wenn man das Modul herausnehmen und ein neues einsetzen würde, ließe sich die Batterie weiterhin verwenden. In Zukunft wollen wir sogar das Modul selbst überarbeiten, indem wir einfach die kaputten Zellen austauschen.

»Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern im LiVe-Projekt hilft uns, die Facetten der Elektromobilität noch besser auszuleuchten.«

Josha Kneiber, Business Development Elektromobilität bei BPW

Wäre dieses Batteriekonzept auch für BPW eine Option?

Kneiber: Wir sehen uns dieses Modell natürlich genau an. Außerdem stehen wir dem PEM bei der Integration der Modulpacks in das Antriebssystem als Sparringspartner zur Verfügung. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen in Aachen dürfte sich künftig sogar noch intensivieren: Die Agenda des LiVe-Projekts sieht auch die Entwicklung von drei Fahrzeugen in der 18-Tonnen-Klasse vor. Geplant sind ein klassischer Elektroantrieb, ein System mit Wasserstoff-Brennstoffzelle und eines mit Stromabnehmer für Oberleitungen. Hier wie dort kann die elektrische Antriebsachse von BPW zum Einsatz kommen.

Wie geht es weiter mit dem LiVe-Projekt?

Lukas: Wir sind mittlerweile in der Phase, in der wir den Antrieb und das Batteriesystem detaillierter ausarbeiten können. Wie die Komponenten in unserem Baukasten untereinander funktionieren, das verstehen wir schon sehr gut. Jetzt suchen wir aktiv den Vergleich zwischen verschiedenen Lösungen. Bis zum Ende des Projekts sind es noch eineinhalb Jahre. In dieser Zeit wird noch viel passieren.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit fördert das Forschungsprojekt „Lebenszykluskostenreduktion im elektrischen Verteilerverkehr durch individuell adaptierbaren Antriebsstrang (LiVe)“ durch das Programm „Erneuerbar Mobil“. Als Konsortialführer fungiert der Lehrstuhl „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM). Kooperationspartner sind Isuzu Motors Germany, StreetScooter und das Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen. Das LiVe-Projekt läuft seit dem 1. September 2017 bis Ende August 2020.

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