Die Kraft der Faszination

Lesezeit ca. 8 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Fotolia – peshkov, 2b AHEAD ThinkTank – Roman Walczyna, privat, Nikolay Kazakov

Der Mensch ist von Natur aus neugierig: Er will Technologien erforschen, Abläufe optimieren und sich wirtschaftlich weiterentwickeln. Faszination ist ein wichtiger Impuls für Veränderung – und damit Triebfeder des Fortschritts.

Als Stephan Wolf vor rund acht Jahren in einem Elektronikfachmarkt nach einer Spielzeugdrohne griff, stellte er sich die Frage, ob ein solches Gerät – wenn man es größer baut – auch Menschen tragen könnte. Er kontaktierte Alexander Zosel, einen Freund und passionierten Gleitschirmflieger, der bereits mehrere Unternehmen gegründet hatte. Zosel packte die Idee auch: „Wir waren beide von dem Gedanken fasziniert. Und Stephan wusste, dass ich verrückt genug bin, es zu wagen, solch eine Vision auch umzusetzen.“ Aus dem Geistesblitz wurde ein Unternehmen, das die Mobilität in Städten neu erfindet: Volocopter. Die beiden Firmengründer verstehen sich als Erfinder des Flugtaxis, denn der Volocopter ist der erste bemannte, vollelektrische und sichere Senkrechtstarter der Welt. Er kann Staus und Baustellen einfach „unter sich“ lassen, indem er sie überfliegt, und könnte damit den Verkehr in den Innenstädten entlasten.

Angeborene Neugier

„Faszination ist mein wichtigster Antrieb“, sagt Zosel. Die Fähigkeit, fasziniert zu sein, ist uns angeboren – von Anfang an wollen wir die Welt entdecken. Und diese Begeisterungsfähigkeit bleibt uns erhalten: Auch als Erwachsene lassen wir uns gern noch faszinieren, zum Beispiel von Sport, Technik oder Marken.

„Wenn etwas Ungewöhnliches im Leben passiert, ist es wahrscheinlicher, dass man davon fasziniert ist“, erklärt Dr. Jochen Roose vom Deutschen Institut für Urbanistik. Er betreibt die empirische Erforschung von sozialem Wandel und ist der Frage nachgegangen, warum uns manche Dinge so stark faszinieren, dass wir zum Fan werden – uns diesen Dingen also auf lange Zeit verschreiben. Der ungewöhnliche Moment, den er als möglichen Auslöser von Faszination beschreibt, kann eine Reise sein, der Auftritt einer Band oder auch ein Werbespot für ein Elektrogerät. „Was genau dabei passiert, bleibt im Kern im Dunklen“, sagt der Forscher. „Aber am Anfang so einer leidenschaftlichen Beziehung zu einem Objekt steht so gut wie immer ein faszinierendes Erlebnis.“

Fans investieren oft viel Zeit und mitunter auch Geld: Sie sammeln zum Beispiel Erinnerungsstücke, reisen den Rolling Stones hinterher oder besuchen alle Auswärtsspiele von Borussia Dortmund. Oder sie bleiben einer Marke, einem Unternehmen treu, beispielweise Apple, und kaufen von der Smartwatch bis zum Handy immer wieder dessen neueste Produkte. Dabei spricht Roose von Erlebnismanagement: „Wenn ich mich intensiv mit etwas beschäftige, dann wird das Erlebnis auch intensiver“, erläutert er. „Wer etwa Fan einer Fußballmannschaft ist, fiebert im Stadion viel stärker mit.“

Technologie schenkt Zeit

Für den Leipziger Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky hat Faszination immer mit einer Vision zu tun: „Mit einer großen Idee, die noch nicht erreicht ist. So groß und faszinierend, dass die Motivation sehr hoch ist, daran mitzuarbeiten und damit Teil einer Bewegung zu sein, die diese Vision teilt.“ Er erinnert an das Grundkonzept, auf dem Google basiert: „Die Vision dieses Unternehmens ist es, das Wissen der Welt für Milliarden Menschen kostenlos nutzbar zu machen.“ Daraus entstehen dann neue Geschäftsmodelle, aber am Anfang steht immer die grundlegende Vision.

Etwa zwei Stunden lang ist Sven Gábor Jánszky täglich mit seinem Tesla auf deutschen Autobahnen unterwegs. Da das Auto dort halb­autonom fährt, kann er als Fahrer das Lenkrad loslassen, sich zurücklehnen, E-Mails beantworten und telefonieren. „Das war am Anfang ungewohnt, aber nach ein paar Wochen habe ich mich daran gewöhnt“, erzählt er. „Und dann habe ich darüber nachgedacht, dass mir diese Technologie also jeden Tag rund zwei Stunden Zeit schenkt. Rechnet man das hoch, dann gewinne ich damit in einem Jahr rund einen ganzen Monat Zeit – die wertvollste Ressource, die wir als Menschen haben. Das fasziniert mich: dass uns Technik genau diese Ressource schenken kann. Das könnte in Zukunft sehr viel mehr möglich machen.“ Zwar seien selbstfahrende Autos derzeit noch nicht ausgereift. „Aber bald werden sie das sicher sein“, ist Jánszky überzeugt. „Und dann werden auch weniger Menschen im Straßenverkehr sterben: Heute sind 92 Prozent der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen und acht Prozent auf technisches. Technisches Versagen wird weiterhin passieren. Aber die 92 Prozent menschliches Versagen – diese Zahl wird sicher sinken.“

»Menschen, die sich infrage stellen und faszinierenden Ansätzen folgen, bestimmen den Lauf der Welt.«

Sven Gábor Jánszky

Energie im Überfluss

In seiner Arbeit empfindet Sven Gábor Jánszky Faszination vor allem dann, wenn er gemeinsam mit Unternehmen Zukunftsprojekte entwickelt. „Als Berater schauen wir nicht nur auf die Ideen von anderen, sondern können auch unsere eigenen Gedanken in die Welt bringen.“ Energie und Gesundheit gehören zu den Themen, mit denen sich sein Institut schwerpunktmäßig befasst. So kommt er beispielsweise immer wieder zu der Frage, wie man die Erde in Zukunft viel effizienter als heute mit Strom versorgen kann. „Es gibt verschiedene Szenarien: So könnten etwa spezielle Kollektoren Sonnenkraft aus der Wüste oder dem Weltall so umleiten, dass sie der Welt Energie im Überfluss bieten“, erläutert er. „Bei solchen Entwicklungen dabei sein zu dürfen, finde ich sehr bereichernd.“

Zukunftsforscher entwerfen Szenarien, wie solche Entwicklungen aussehen könnten und was sie für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bedeuten. Jánszky empfiehlt Unternehmen der Logistikbranche, das ebenfalls kontinuierlich zu tun: Sie sollten sich hinterfragen, was Megatrends wie Digitalisierung oder Automatisierung für ihr eigenes Geschäft bedeuten. „Angesichts der aktuellen Umwälzung in der Wirtschaft würde ich so gut wie jedem Akteur dazu raten, neben ein bestehendes Geschäft innovative Ideen zu stellen, die den bisherigen Kern durchaus komplett infrage stellen dürfen. Wie Steve Jobs gesagt hat: Wenn du dich nicht selbst angreifst, wird es jemand anders tun.“

Jánszky denkt etwa an den Ansatz, den reinen Gütertransport kostenlos anzubieten. „Aus den dabei gewonnenen Daten könnten Zusatzleistungen generiert werden, aus denen neue Geschäftsmodelle entstehen.“ Er sieht diese Fähigkeit, sich infrage zu stellen und faszinierenden Ansätzen zu folgen, als ganz wichtigen Impuls für Fortschritt und Weiterentwicklung. „Ich denke, die Menschen, die so agieren, bestimmen den Gang der Welt.“ Der Zukunftsforscher erlebt immer wieder, dass Faszination meist aus kleinen Ideen geboren wird. Und dass das konkrete Bild, das mit einer Faszination oft verbunden ist, ein ganz starker Motor für Innovationen sein kann.

1200 Kilometer pro Stunde Schnell

Die fortschreitende Urbanisierung bedeutet völlig neue Herausforderungen für die Mobilität: Die Städte werden immer voller, und trotzdem wollen die Bewohner schnell und sicher von A nach B kommen. Während Volocopter den Luftraum nutzen, setzt das Konzept des US-Unternehmens HyperloopTT auf Geschwindigkeit: Mit hohem Tempo sollen dabei in einer Unterdruckröhre Personen und Güter befördert werden. Derzeit sind rund 400 Kilometer pro Stunde möglich, in Zukunft sollen es 1.200 werden, also etwas schneller als ein Passagierflugzeug. Die Idee zum Hyperloop hatte Elon Musk, Gründer von SpaceX und Tesla.

Das Transportsystem besteht aus einem Tunnel und dem Fahrzeug, das mit Elektroantrieb sicher und sauber fährt. Es wird durch ein Niederdruckrohr langsam beschleunigt, auch damit die Fahrgäste die Reise gut verkraften. Die Konstrukteure versprechen, dass man sich während der Fahrt so fühlt wie bei der Reise im Flugzeug – nur ohne Turbulenzen. Während der Fahrt schwebt Hyperloop dank Magnettechnik über dem Gleis und der sehr geringe Luftwiderstand ermöglicht die hohen Geschwindigkeiten. Das System soll vollständig autonom agieren, und da es geschlossen ist, kann es nicht durch das Wetter beeinflusst werden. Geplant sind vorerst zehn Routen, unter anderem in den USA, Kanada und Indien. Im französischen Toulouse baut HyperloopTT bereits an einer 320 Meter langen, geschlossenen Teststrecke.

»Faszination ist mein wichtigster Antrieb.«

Alexander Zosel

Fliegende Taxis für jedermann

Auch Volocopter will in fünf Jahren mit Punkt-zu-Punkt-Verbindungen starten. Dann könnte man in der Stadt in einen Volocopter einsteigen und sich beispielsweise zum Flughafen oder zu einer Messe bringen lassen. Die Passagiere kämen autonom, umweltfreundlich und ohne Verzögerungen dort an. Ein Test in Dubai läuft bereits erfolgreich. Langfristig sollen dort, wo das steigende Verkehrsaufkommen am Boden nicht mehr bewältigt werden kann, komplett vernetzte Systeme entstehen. Firmengründer Alexander Zosel ist heute 53 Jahre alt und hat sich zum Ziel gesetzt, diese Systeme aus Volo-Hubs und Volo-Ports, mit denen die ganze Stadt durch Lufttaxis erschlossen wird, zu realisieren, bevor er mit Mitte 60 in Rente geht.

Sein Unternehmen vereint den Geist eines Start-ups mit deutscher Gründlichkeit. „Wir arbeiten natürlich intensiv an vielen Aspekten des Themas, verkünden nach außen aber immer nur das, was wir wirklich schon können und was technisch möglich ist“, erklärt Zosel. Auch für ihn sind die Genehmigungen, die für die neue Technologie nötig sein werden, eine Herausforderung. Doch er bekommt von den Behörden sehr gutes Feedback: „Wir sind mit vielen Städten im Gespräch. Auch sie sind fasziniert von unserem Konzept, nicht zuletzt durch das hohe Sicherheitspotenzial, das es bietet.“ Es muss also nur noch die Bevölkerung überzeugt werden: „Nicht nur die Menschen, die mitfliegen werden, müssen die Lufttaxis akzeptieren, sondern auch alle, die es nicht nutzen.“ Dabei ist ihm wichtig: „Wir streben an, damit öffentlichen Nahverkehr zu ermöglichen. Es soll keine Technologie werden, die sich nur mit großem Budget nutzen lässt.“ Vielmehr sollen es fliegende Taxis sein für den Menschen, der in der Stadt von A nach B kommen muss.

Quantenphysik und Relativitätstheorie

„Die Welt steht an einem wichtigen Wendepunkt, weg vom Erdölzeitalter und hin zur Elektromobilität. Es ist spannend zu sehen, wie sich dieser Wandel vollzieht“, sagt Benjamin Wolba. Er hat früh in seinem Leben ein Thema gefunden, das ihn stark fasziniert: Mit gerade einmal 20 Jahren promoviert er seit rund einem Jahr in Theoretischer Festkörperphysik an der Technischen Universität Dresden. Seine Begeisterung für Naturwissenschaften wurde wach, als er etwa 13 Jahre alt war: „Etwa in der siebten Klasse wurde mir bewusst, dass es wesentlich mehr gibt als die Physik, die in der Schule vermittelt wird.“ Er stellte sich Fragen wie „Warum kann etwas nicht schneller sein als Licht?“ und fand die Antworten in Quantenphysik und Relativitätstheorie. „Ich wollte das von Grund auf verstehen, also brauchte ich viel Mathematik, und es war ein logischer Schritt, sich mit Differentialrechnung zu beschäftigen.“

Mehr über Quantenphysik zu erfahren, war für ihn auch die Motivation, ein Frühstudium an der Technischen Universität Dresden zu beginnen. Dabei können besonders motivierte Schüler bereits ab der neunten Klassenstufe an regulären Lehrveranstaltungen der Universität teilnehmen. Seit dem Beginn seines Frühstudiums unterscheidet Wolba nicht mehr zwischen Freizeit und Arbeitszeit: „Meine Arbeit ist das, was mich fasziniert. Für mich ist es ein Hobby wie für andere Fußballspielen.“

»Meine Arbeit ist das, was mich fasziniert. Für mich ist es ein Hobby – wie für andere das Fußballspielen.«

Benjamin Wolba

»Meine Arbeit ist das, was mich fasziniert. Für mich ist es ein Hobby – wie für andere das Fußballspielen.«

Benjamin Wolba

Völlig neue Ansätze entwickeln

Ihn beeindruckt immer wieder, dass man in der Forschung in die Situation kommt, „dass man für einen Moment etwas weiß, das niemand anders weiß“, erzählt Wolba. Das ist ihm schon mehrmals passiert: „In meiner Masterarbeit habe ich mich mit Festkörpern beschäftigt, die eigentlich keinen Strom leiten. Und trotzdem gibt es darin Flächen, die dies doch tun. Ich hatte einen völlig neuen Ansatz entwickelt, um diesen Stromtransport zu beschreiben“, berichtet er. „Dieses Neue und Überraschende, das begeistert mich.“

In seiner Promotion beschäftigt er sich mit exotischen Formen von Magnetismus. „Faszination ist für mich ganz eng verbunden mit den Fragen, die ich mir stelle“, erklärt er. „Ich will einer Sache auf den Grund gehen, weil ich unbedingt herausfinden will, was dahintersteckt. Dieses Interesse entwickelt sich aber auch, wenn man sich intensiv mit einer Sache beschäftigt und dabei auf neue Themen stößt.“ Neugier ist seiner Meinung nach der Anstoß dafür. Für Wolba ist Faszination die Grundlage jeder Form des wissenschaftlichen Arbeitens – letztlich auch, um die damit verbundenen Schwierigkeiten zu meistern: „Eine wissenschaftliche Karriere bedeutet jede Menge Unsicherheiten und Papierkram. Wer da nicht von seinem Forschungsthema fasziniert ist, wird das nicht durchhalten.“

Ihn begeistern auch die Entwicklungen im Transport: „Sehr spannend finde ich beispielsweise, wie sich Elektromobilität in Zukunft entwickeln wird“, so der Jungforscher. Zudem seien etwa zur Batterietechnologie viele Fragen offen: „Wie speichert man Energie und stellt sie bereit – solche Herausforderungen begeistern mich.“ Er kann sich gut vorstellen, nach seiner Promotion in die Industrie zu gehen oder selbst ein Start-up zu gründen. „Physik ist die Grundlage für viele Themen, beispielsweise auch die Digitalisierung“, erklärt er. „Physiker und andere Wissenschaftler können hier wertvolle Beiträge leisten.“

Neue Mobilität kreieren

Nicht nur aus der Wissenschaft kommen neue Impulse. Die Transportbranche bekommt sie vor allem von ihren Kunden: Jeden Tag sind Millionen Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs, Ware wird bewegt, und in den Lieferketten steckt immer noch viel Optimierungspotenzial. Die Kunden selbst wissen am besten, was sie brauchen. Die passenden Lösungen zu finden, ist eine reizvolle Herausforderung, die sich stetig entwickeln wird.

Alexander Zosel hat mit Volocopter die „Idee seines Lebens“ gefunden: „Wir machen doch jeden Tag etwas Neues“, so der Unternehmer. „Ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal etwas ganz anderes anzufangen, und ich möchte das auch gar nicht, denn in meiner jetzigen Aufgabe steckt noch so viel drin. Wir kreieren eine neue Mobilität – das ist ein Prozess, der andauern wird und in dem noch ganz viele spannende Aspekte liegen.“

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