Text: Juliane Gringer und Stefanie Claudia Müller
Fotos: Alvaro Rodriguez, Bitkom, Fotolia – Takashi Images
Mithilfe moderner Technologien soll urbanes Leben einfacher werden. Der technische Fortschritt kann Prozesse optimieren, Kosten sparen und Mobilität erleichtern. Vorreiter-Städte wie das spanische Santander setzen bereits viele Ideen um.
Lebensqualität sichern
„Santander Smart City“ ist eine Initiative der spanischen Regierung. Sie läuft bereits seit 2009 und war lange mehr Theorie als Wirklichkeit. Jetzt hat sie dank der intensiven Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Telefónica und der heimischen Banco Santander sowie der städtischen Universität kräftig Fahrt aufgenommen. Gemma Igual Ortiz, die junge Bürgermeisterin von Santander, beschreibt sie so: „Mit diesem Projekt erfindet sich unsere Stadt neu, um die Lebensqualität ihrer Bürger zu sichern.“ Damit meint sie vor allem Arbeitsplätze, denn acht Jahre Krise haben deutliche Spuren hinterlassen: Noch immer sind 14 Prozent der Bewohner ohne Beschäftigung. Das soll sich ändern. Und man will Kosten sparen: „In vielen Bereichen wie bei der Müllabfuhr oder der Beleuchtung konnten wir die Ausgaben bereits um 25 Prozent senken, weil wir durch Sensoren und eine zentrale Steuerung alles besser im Griff haben“, erklärt Igual Ortiz stolz. Das Geld kann in andere Projekte investiert werden – zum Beispiel in ein Kunstzentrum.
Die Technologie sorgt auch dafür, dass die Bewässerung der Garten- und Parkanlagen in Santander besser gesteuert wird, weil sich die Trockenheit jetzt exakt messen lässt. Digitale Schilder zeigen freie Parkplätze an, und die City-App weiß, ob ein Bus Verspätung hat. „Wenn wir eine hohe Luftverschmutzung oder Wetterwidrigkeiten feststellen, können wir den Bürgern über die App und die digitalen Warntafeln in der Stadt rechtzeitig Bescheid geben. Der Verkehr wird entsprechend umgeleitet“, sagt Luis Muñoz, IT-Professor an der Universität Kantabrien. Bald sollen die städtischen Verkehrsdaten auch in das Navigationssystem der Autofahrer in Santander einfließen, damit Unfälle und Staus noch besser vermieden werden können.
Zukunftsthemen ganzheitlich betrachten
„Smart City ist seit einigen Jahren das bestimmende Thema in der Stadtentwicklung“, erklärt Jan Strehmann, Referent Smart City & Smart Region des Digitalverbandes Bitkom e. V. „Viele Städte, auch in Deutschland, beschäftigen sich damit. Dabei steht für sie nicht mehr nur die Digitalisierung der Verwaltung im Fokus, sondern auch die aller angegliederten Dienstleistungen.“ Ob E-Governance oder die intelligente Steuerung von Gebäudetechnik oder Verkehrsflüssen – das Bewusstsein für die Bedeutung von Kooperationen sei stark gewachsen: „Es kann beispielsweise keine E-Mobilität geben, wenn die Energienetze nicht darauf ausgelegt werden.“ So werden zunehmend städtische Energieunternehmen, Versorger und Mobilitätsanbieter einbezogen. „Dieses übergreifende Arbeiten ist eine Herausforderung, da braucht es tragfähige Strukturen und eine gute Projektentwicklung“, so Strehmann.
Deutschlands digitale Vorreiter
Doch auch mittelgroße Städte wollen den Anschluss nicht verpassen. Der Bitkom hat 2017 gemeinsamen mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund den Wettbewerb „Digitale Stadt“ für Kommunen mit rund 100.000 bis 150.000 Einwohnern durchgeführt. Darmstadt setzte sich mit dem besten Gesamtkonzept durch, auch Heidelberg, Kaiserslautern, Paderborn und Wolfsburg sammelten viele Punkte. Die Jury bewertete vor allem, ob es in den Städten bereits gute Voraussetzungen gibt, um in den kommenden zwei Jahren Smart-City-Projekte umzusetzen – denn das passiert jetzt in der Gewinnerstadt. „Die Bewerber mussten zeigen, dass sie unter anderem passendes Personal, Know-how und motivierte Partner vor Ort mitbringen und dass auch der politische Wille für einen so umfassenden Veränderungsprozess da ist“, erklärt Jan Strehmann. Ein breites Bündnis aus mehr als 20 Partnerunternehmen unterstützt nun Darmstadt pro bono beim digitalen Ausbau mit Produkten und Dienstleistungen im Wert eines zweistelligen Millionenbetrags. Voraussichtlich wird es dort bald unter anderem smarte Straßenlaternen geben – so wie in Santander.

Bedarf an neuen Geschäftsmodellen
Beispiel Ladebuchtenmanagement: „Wenn sich in Zukunft alle Fahrzeuge, die Waren abliefern, mit den Kunden vernetzen, wissen die Versender, wann der Empfänger erreichbar ist und ob sie dort in der Nähe eine Ladebucht nutzen können“, erklärt Liedtke. Ein großer Vorteil wäre, dass die Lieferfahrzeuge immer einen Parkplatz finden und nicht den Verkehr blockieren würden. „Die Nebenwirkung wäre nur, dass sie koordiniert werden müssen und ein Reservierungssystem eingerichtet werden muss. Man muss sehen, ob die Stadt die Parkbuchten reserviert oder eine Verkehrsmanagementzentrale – oder ob die Koordination privat erfolgt.“ Denn die Informationstechnologien benötigten eben teilweise auch neue Institutionen, die sie organisieren; vielleicht werde auch eine neue Rollenaufteilung zwischen öffentlicher Hand und privaten Unternehmen nötig: „Gerade im Güterverkehr ist hier noch vieles unausgegoren“, so der Experte.
In Sachen Lieferverkehr ist er überzeugt: „Die Unternehmen, die moderne Technologien wie alternative Antriebe und digitales Flottenmanagement einsetzen, werden die Gewinner sein.“ Er glaubt, dass gerade aus der Kooperation zwischen Spediteuren und ihrem Flottenmanagement mit dem städtischen Verkehrsmanagement Win-win-Situationen entstehen können: „Beide Seiten haben ähnliche Interessen und wollen nicht, dass Lkw im Stau stehen.“ Oder keine Maut zahlen. „In London wird die Citymaut nur an Werktagen von 7 bis 18 Uhr fällig. Wer außerhalb dieser Zeiten fährt, spart das Geld“, sagt Eileen Mandir, Führungskräfte-Coach und Spezialistin für digitale Mobilität. „Über so eine Preisgestaltung lässt sich Verkehr auch beeinflussen.“ Mandir kann sich eine digitale Stadt der Zukunft vorstellen, in der es keine physischen Ampeln mehr gibt, sondern die Fahrzeuge sie durch Augmented Reality oder eine digitale Karte erkennen. „Diese Lichtsignale kann man dann auch flexibler steuern.“
Kluges Datenmanagement gefragt
Für Gernot Liedtke ist das Konzept der Smart City keine neue Idee. „Die Entwicklung zur digitalen Stadt vollzieht sich schon seit vielen Jahren, und auch die Technologie ist größtenteils seit Langem vorhanden“, so Liedtke. Durchbrüche habe es immer dann gegeben, wenn Akteure die Verantwortung übernommen und Innovationen vorangetrieben hätten. Dabei verweist Liedtke beispielsweise auf die baltischen Staaten, in denen im Rahmen von E-Governance bereits die papierlose Anmeldung von Fahrzeugen möglich ist. Er sieht weiterhin Industrie 4.0 als den großen Treiber der smarten Stadt – und den Softwarehersteller SAP wiederum als bestimmenden Treiber von Industrie 4.0 selbst. „Es gibt jetzt schon eine Tendenz zur Individualisierung der Produktion, und ich denke, sie wird sich noch verstärken und durch technische Wege wie den 3D-Druck eben auch möglich.“



Erste energieautarke Gemeinde
Die Stromversorgung wird vor allem über einen nahe gelegenen Windpark abgedeckt, Wärme kommt aus der ortsansässigen Biogasanlage sowie aus einem Holzhackschnitzel-Heizwerk. Ein Regelkraftwerk hält die Netzfrequenz stabil und kann die Energie zwischenspeichern. Die Feldheimer können auch selbst einsehen, wie viel sie verbrauchen. Ein Messgerät zeigt ihnen an, welchen Strom sie gerade nutzen. Windenergie ist günstiger als der aus der Biogasanlage – deshalb leuchtet ein Smiley, wenn gerade der Strom aus der Windkraftanlage genutzt wird. Die Bürger können damit beispielsweise steuern, ob Waschmaschine oder Geschirrspüler besonders kostengünstig laufen.


Menschen einbeziehen
Jan Strehmann vom Bitkom ist ebenfalls überzeugt, dass sich eine Smart City nicht umsetzen lassen wird, „wenn wir nur über Technik reden, ohne die Menschen einzubeziehen“. Er sieht die digitale Partizipation als wichtiges Feld: „Wenn die Stadtratssitzung live gestreamt wird, schauen vielleicht nicht mehr nur die 50 Leute vor Ort zu, sondern mehrere Tausend Bürger. So kann man mit Kommunalpolitik viel mehr Menschen erreichen.“
