Die digitale Stadt

Santander ist eine echte „Smart City“: Dort bestellen Abfalleimer die Müllabfuhr und Laternen schalten sich ab, wenn niemand vorbeiläuft. Die Sensoren dafür sind in schuhkartongroßen Kästen mit Antennen versteckt, die an Masten, Laternen und Fassaden kleben.
Lesezeit ca. 8 Minuten
Text: Juliane Gringer und Stefanie Claudia Müller
Fotos: Alvaro Rodriguez, Bitkom, Fotolia – Takashi Images

Mithilfe moderner Technologien soll urbanes Leben einfacher werden. Der technische Fortschritt kann Prozesse optimieren, Kosten sparen und Mobilität erleichtern. Vorreiter-Städte wie das spanische Santander setzen bereits viele Ideen um.

In Santander geht nachts nur noch dort das Licht an, wo auch Menschen sind. Müll wird nur noch da abgeholt, wo die Container wirklich voll sind, und Stau- und Umweltsensoren sorgen für eine bessere Verkehrsführung. Für all das sind die unscheinbaren grauen Kästen an den alten eisernen Laternen der Stadt verantwortlich. Genauer: die Sensoren darin sowie an zahlreichen Bussen und Taxen – 15.000 Stück sind es insgesamt. Sie sollen Santander nach vielen wirtschaftlich schwierigen Jahren zu einer Smart City machen. Die Bürger wirken über eine App der Stadtverwaltung mit und können Vorkommnisse wie umgestürzte Bäume oder nicht funktionierende Parkuhren melden.

Lebensqualität sichern

„Santander Smart City“ ist eine Initiative der spanischen Regierung. Sie läuft bereits seit 2009 und war lange mehr Theorie als Wirklichkeit. Jetzt hat sie dank der intensiven Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Telefónica und der heimischen Banco Santander sowie der städtischen Universität kräftig Fahrt aufgenommen. Gemma Igual Ortiz, die junge Bürgermeisterin von Santander, beschreibt sie so: „Mit diesem Projekt erfindet sich unsere Stadt neu, um die Lebensqualität ihrer Bürger zu sichern.“ Damit meint sie vor allem Arbeitsplätze, denn acht Jahre Krise haben deutliche Spuren hinterlassen: Noch immer sind 14 Prozent der Bewohner ohne Beschäftigung. Das soll sich ändern. Und man will Kosten sparen: „In vielen Bereichen wie bei der Müllabfuhr oder der Beleuchtung konnten wir die Ausgaben bereits um 25 Prozent senken, weil wir durch Sensoren und eine zentrale Steuerung alles besser im Griff haben“, erklärt Igual Ortiz stolz. Das Geld kann in andere Projekte investiert werden – zum Beispiel in ein Kunstzentrum.

Die Technologie sorgt auch dafür, dass die Bewässerung der Garten- und Parkanlagen in Santander besser gesteuert wird, weil sich die Trockenheit jetzt exakt messen lässt. Digitale Schilder zeigen freie Parkplätze an, und die City-App weiß, ob ein Bus Verspätung hat. „Wenn wir eine hohe Luftverschmutzung oder Wetterwidrigkeiten feststellen, können wir den Bürgern über die App und die digitalen Warntafeln in der Stadt rechtzeitig Bescheid geben. Der Verkehr wird entsprechend umgeleitet“, sagt Luis Muñoz, IT-Professor an der Universität Kantabrien. Bald sollen die städtischen Verkehrsdaten auch in das Navigationssystem der Autofahrer in Santander einfließen, damit Unfälle und Staus noch besser vermieden werden können.

Zukunftsthemen ganzheitlich betrachten

Die smarte Stadt – sie soll effizient und technologisch fortschrittlich sein und dabei für die Bewohner mehr Lebensqualität bieten, sprich: grüner und sozial inklusiver sein. Modernste Technologie und Vernetzung ermöglichen eine entsprechende Infrastruktur, umweltverträgliche Mobilität und hohe Produktivität in einem lebenswerten Umfeld. Der Begriff „Smart City“ steht für eine Stadt mit Zusatzfunktionen. Aber er steht auch für den Ansatz, alle Themen der Zukunft in einer Großstadt ganzheitlich zu betrachten und entsprechende Lösungen dafür zu entwickeln.

„Smart City ist seit einigen Jahren das bestimmende Thema in der Stadtentwicklung“, erklärt Jan Strehmann, Referent Smart City & Smart Region des Digitalverbandes Bitkom e. V. „Viele Städte, auch in Deutschland, beschäftigen sich damit. Dabei steht für sie nicht mehr nur die Digitalisierung der Verwaltung im Fokus, sondern auch die aller angegliederten Dienstleistungen.“ Ob E-Governance oder die intelligente Steuerung von Gebäudetechnik oder Verkehrsflüssen – das Bewusstsein für die Bedeutung von Kooperationen sei stark gewachsen: „Es kann beispielsweise keine E-Mobilität geben, wenn die Energienetze nicht darauf ausgelegt werden.“ So werden zunehmend städtische Energieunternehmen, Versorger und Mobilitätsanbieter einbezogen. „Dieses übergreifende Arbeiten ist eine Herausforderung, da braucht es trag­fähige Strukturen und eine gute Projektentwicklung“, so Strehmann.

Deutschlands digitale Vorreiter

Die deutschen Metropolen müssen besonders viele Fäden zusammenführen, sie gehen das Thema aber auch besonders ehrgeizig an: Berlin sieht sich beispielsweise im Jahr 2030 als eine intelligent vernetzte, zukunftsfähige, postfossile und resiliente Stadt zum Nutzen einer gebildeten, toleranten und kreativen Gesellschaft. Um diese Vision zu verwirklichen, wurde unter anderem das „Netzwerk Smart City Berlin“ gegründet – eine Arbeitsgruppe mit mehr als 100 Unternehmen, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen der Stadt, die aktiv in die Smart-City-Strategie des Landes Berlin eingebunden sind. Hamburg kooperiert über sein Digital City Science Lab mit dem Media Lab des renommierten Massachussetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge und betreibt Grundlagen- und Anwendungsforschung. Das Lab will unter anderem digitale Innovationen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft untersuchen und aktuelle urbane Herausforderungen mit Experten und Bürgern diskutieren.

Doch auch mittelgroße Städte wollen den Anschluss nicht verpassen. Der Bitkom hat 2017 gemeinsamen mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund den Wettbewerb „Digitale Stadt“ für Kommunen mit rund 100.000 bis 150.000 Einwohnern durchgeführt. Darmstadt setzte sich mit dem besten Gesamtkonzept durch, auch Heidelberg, Kaiserslautern, Paderborn und Wolfsburg sammelten viele Punkte. Die Jury bewertete vor allem, ob es in den Städten bereits gute Voraussetzungen gibt, um in den kommenden zwei Jahren Smart-City-Projekte umzusetzen – denn das passiert jetzt in der Gewinnerstadt. „Die Bewerber mussten zeigen, dass sie unter anderem passendes Personal, Know-how und motivierte Partner vor Ort mitbringen und dass auch der politische Wille für einen so umfassenden Veränderungsprozess da ist“, erklärt Jan Strehmann. Ein breites Bündnis aus mehr als 20 Partnerunternehmen unterstützt nun Darmstadt pro bono beim digitalen Ausbau mit Produkten und Dienstleistungen im Wert eines zweistelligen Millionenbetrags. Voraussichtlich wird es dort bald unter anderem smarte Straßenlaternen geben – so wie in Santander.

Die Wissenschaftsstadt Darmstadt hat den Wettbewerb „Digitale Stadt“ gewonnen, der von dem IT-Branchenverband Bitkom und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund ausgeschrieben wurde.

Bedarf an neuen Geschäftsmodellen

Gernot Liedtke leitet die Abteilung Wirtschaftsverkehr am DLR Institut für Verkehrsforschung am Standort Berlin. Seiner Meinung nach fehlt es in puncto Smart City weniger an der Technologie als an den Geschäftsmodellen, die ihr Potenzial nutzen – vor allem im Bereich Mobilität. Warum Unternehmen digitaler werden wollen, sei klar: „Sie wollen neue Lebenswelten schaffen, in denen sie wiederum neue Dienstleistungen schaffen können – nicht für eine größere Mobilität, sondern Mobilität wird zunehmend Teil von Geschäftsmodellen.“ Wie beim Fracht-Sharing: Dabei nutzen Unternehmen freien Laderaum von anderen Akteuren für die eigene Fracht. Es gibt auch Überlegungen, Privatpersonen als Kuriere einzusetzen. „Heute kann man noch nicht sicher sagen, ob in dieser Mitfahrgelegenheit für Güter wirklich ein Geschäftsmodell liegt“, so Liedtke. „Wenn man es genauer anschaut, ist es nichts weiter als ein Outsourcen von Transporten an Subunternehmer. Spannender finde ich die Frage, wo in Zukunft Konzepte entstehen, die auch einen Vorteil für die Gesellschaft haben, indem sie die Umwelt schonen, Verkehr reduzieren oder einen sozialen Beitrag leisten.“

Beispiel Ladebuchtenmanagement: „Wenn sich in Zukunft alle Fahrzeuge, die Waren abliefern, mit den Kunden vernetzen, wissen die Versender, wann der Empfänger erreichbar ist und ob sie dort in der Nähe eine Ladebucht nutzen können“, erklärt Liedtke. Ein großer Vorteil wäre, dass die Lieferfahrzeuge immer einen Parkplatz finden und nicht den Verkehr blockieren würden. „Die Nebenwirkung wäre nur, dass sie koordiniert werden müssen und ein Reservierungssystem eingerichtet werden muss. Man muss sehen, ob die Stadt die Parkbuchten reserviert oder eine Verkehrsmanagementzentrale – oder ob die Koordination privat erfolgt.“ Denn die Informationstechnologien benötigten eben teilweise auch neue Institutionen, die sie organisieren; vielleicht werde auch eine neue Rollenaufteilung zwischen öffentlicher Hand und privaten Unternehmen nötig: „Gerade im Güterverkehr ist hier noch vieles unausgegoren“, so der Experte.

In Sachen Lieferverkehr ist er überzeugt: „Die Unternehmen, die moderne Technologien wie alternative Antriebe und digitales Flottenmanagement einsetzen, werden die Gewinner sein.“ Er glaubt, dass gerade aus der Kooperation zwischen Spediteuren und ihrem Flottenmanagement mit dem städtischen Verkehrsmanagement Win-win-Situationen entstehen können: „Beide Seiten haben ähnliche Interessen und wollen nicht, dass Lkw im Stau stehen.“ Oder keine Maut zahlen. „In London wird die Citymaut nur an Werktagen von 7 bis 18 Uhr fällig. Wer außerhalb dieser Zeiten fährt, spart das Geld“, sagt Eileen Mandir, Führungskräfte-Coach und Spezialistin für digitale Mobilität. „Über so eine Preisgestaltung lässt sich Verkehr auch beeinflussen.“ Mandir kann sich eine digitale Stadt der Zukunft vorstellen, in der es keine physischen Ampeln mehr gibt, sondern die Fahrzeuge sie durch Augmented Reality oder eine digitale Karte erkennen. „Diese Lichtsignale kann man dann auch flexibler steuern.“ 

Kluges Datenmanagement gefragt

Solche Steuerung braucht Daten – und die müssen klug gemanagt werden. Luis Muñoz weiß: „Wir haben unvorstellbar viele Daten, damit müssen wir sehr vorsichtig umgehen.“ Er will, dass „Santander Smart City“ vor allem dem lokalen Gewerbe und einer besseren Vernetzung der verschiedenen städtischen Dienstleister dient: „Daten zu sammeln reicht ja nicht, sie müssen miteinander verknüpft werden.“ Die Santander-Smart-City-Datenbank ist nach acht Jahren, in denen man Informationen gesammelt hat, die bisher umfangreichste im Bereich Stadtintelligenz. Auf verschiedenen IT-Plattformen werden die Verkehrsdaten oder Informationen zum Grad der Umweltverschmutzung gesammelt und von Muñoz und seinem universitären Team ausgewertet.

Für Gernot Liedtke ist das Konzept der Smart City keine neue Idee. „Die Entwicklung zur digitalen Stadt vollzieht sich schon seit vielen Jahren, und auch die Technologie ist größtenteils seit Langem vorhanden“, so Liedtke. Durchbrüche habe es immer dann gegeben, wenn Akteure die Verantwortung übernommen und Innovationen vorangetrieben hätten. Dabei verweist Liedtke beispielsweise auf die baltischen Staaten, in denen im Rahmen von E-Governance bereits die papierlose Anmeldung von Fahrzeugen möglich ist. Er sieht weiterhin Industrie 4.0 als den großen Treiber der smarten Stadt – und den Softwarehersteller SAP wiederum als bestimmenden Treiber von Industrie 4.0 selbst. „Es gibt jetzt schon eine Tendenz zur Individualisierung der Produktion, und ich denke, sie wird sich noch verstärken und durch technische Wege wie den 3D-Druck eben auch möglich.“

Rund 12.000 Sensoren sind in Santander verteilt – an Masten, Fassaden und Laternen. Die Sender liefern einer zentralen Kontrollstelle laufend Daten über die verschiedenen Vorgänge in der Stadt.

Erste energieautarke Gemeinde

Das brandenburgische Feldheim, ein Ortsteil der Stadt Treuenbrietzen, hat ein intelligentes Konzept zur Energieversorgung umgesetzt: Feldheim ist die erste energieautarke Gemeinde Deutschlands. Die 130 Bewohner versorgen sich selbst dezentral mit Strom und Wärme, die komplett aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Mais, Sonne und Gülle stammen. Ein separates Nahwärme- und Stromversorgungsnetz leitet die vor Ort erzeugte Wärme und Elek­trizität direkt an die Verbraucher. Überschüssige Energie wird in das öffentliche Netz eingespeist. Doch der Ort kann nur bedingt ein Vorbild für andere Gemeinden und Städte sein: „Feldheim hat für dieses Projekt ideale Voraussetzungen“, erklärt Doreen Raschemann vom Förderverein des Neue Energien Forum Feldheim e. V. „Dazu zählt die geringe Größe des Ortes, aber auch die Tatsache, dass er sehr kompakt ist. Wärmeversorgung stößt schnell an ihre Grenzen, wenn man weite Strecken überwinden muss.“ Das Projekt solle vor allem zeigen, dass es grundsätzlich möglich ist, sich mit Strom und Wärme auf erneuerbarer Basis selbst zu versorgen.

Die Stromversorgung wird vor allem über einen nahe gelegenen Windpark abgedeckt, Wärme kommt aus der ortsansässigen Biogasanlage sowie aus einem Holzhackschnitzel-Heizwerk. Ein Regelkraftwerk hält die Netzfrequenz stabil und kann die Energie zwischenspeichern. Die Feldheimer können auch selbst einsehen, wie viel sie verbrauchen. Ein Messgerät zeigt ihnen an, welchen Strom sie gerade nutzen. Windenergie ist günstiger als der aus der Biogasanlage – deshalb leuchtet ein Smiley, wenn gerade der Strom aus der Windkraftanlage genutzt wird. Die Bürger können damit beispielsweise steuern, ob Waschmaschine oder Geschirrspüler besonders kostengünstig laufen.

Im Stadtzentrum von Santander stellen 400 Sensoren unter dem Asphalt der Straßen sicher, dass Autofahrer nicht mühevoll nach einem Parkplatz suchen müssen: Per GPS und Lichtsignalen werden sie zur nächsten Parkmöglichkeit dirigiert.

Menschen einbeziehen

„Wie smart unsere City letztendlich sein wird, hängt von den Menschen ab – und davon, wie sie mit der neuen Technik umgehen“, sagt Juan Echevarria, der das Innovationsressort der Stadt Santander leitet. Gerade die älteren Santanderinos, wie die Bewohner der Stadt genannt werden, fremdeln oft mit der Technik – für sie ist es ungewohnt, das Smartphone mit der Stadt-App zum Einkauf mitzunehmen. Andere Bürger haben Sorge, dass sie von den Sensoren beobachtet werden. Luis Muñoz will deshalb die Vorteile der Technik stärker kommunizieren. Die Stadt bietet zudem kostenlose Kurse an, mit denen sich die Bürger fit für Internet und Smartphone machen können. Um die Akzeptanz zu steigern, geht man auch originelle Wege: Bei „Smiley Coupon“ bekamen alle, die sich in einer Art Fotoautomat lächelnd ablichten ließen, Rabattgutscheine für lokale Geschäfte – je breiter das Lächeln, desto höher der Discount. „Damit wird die Innenstadt wieder lebendig“, so Echevarria. Der lokale Einzelhandel liegt ihm sehr am Herzen, und er hofft, dass technische Möglichkeiten die Geschäfte vor Ort ankurbeln: „In einer Smart City gibt es ganz andere Formen von Kundenbeziehungen. Unsere Shops können beispielsweise über einen QR-Code an ihrer Eingangstür auch außerhalb der Geschäftszeiten mit dem Kunden in Kontakt treten. Die Kunden wiederum bekommen über den Code Informationen über das Geschäft.“

Jan Strehmann vom Bitkom ist ebenfalls überzeugt, dass sich eine Smart City nicht umsetzen lassen wird, „wenn wir nur über Technik reden, ohne die Menschen einzubeziehen“. Er sieht die digitale Partizipation als wichtiges Feld: „Wenn die Stadtratssitzung live gestreamt wird, schauen vielleicht nicht mehr nur die 50 Leute vor Ort zu, sondern mehrere Tausend Bürger. So kann man mit Kommunalpolitik viel mehr Menschen erreichen.“

Das Konzept Smart City kann nur erfolgreich sein, wenn die Bürger offen für die Technologien sind und sich damit auseinandersetzen.
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