Der Faktor Mensch in Transport und Logistik

Lesezeit: ca. 3 Minuten
Text: Juliane Gringer
Fotos: Getty Images, BPW, Stefan Bungert

Es fehlen Lkw-Fahrerinnen, -Fahrer und viele weitere Logistik-Profis: Der Fachkräftemangel bedrückt die Branche. Gerade deshalb muss der Faktor Mensch wieder stärker in den Fokus rücken, sagt Johannes Berg, Geschäftsführer des Digital Hub Logistics Hamburg, im motionist-Interview.

Sie haben in einem Linkedin-Post geschrieben: „#Elektrifizierung, #Digitalisierung, #Nachhaltigkeit und #Automatisierung sind strategische Säulen und werden in Zeiten des Wandels immer mehr zu operativen Enablern für eine Branche! Unterschätzen Sie niemals den fünften Faktor: den Menschen!“ Welche Bedeutung hat dieser Faktor in der Logistik?
Auch wenn der Mensch vielleicht immer weniger das Gehirn der Logistik ist, bleibt er doch nach wie vor ihr Herz. Denn bei aller Weiterentwicklung sind es immer noch Menschen, die alles praktisch umsetzen. Die Entwicklung geht teilweise schon dahin, dass Unternehmen Personal nach Talent und Charakter auswählen, weniger nach Fähigkeiten und Zugehörigkeit zur Branche. Ich denke, das ist der richtige Weg: Man muss Menschen anheuern, die sich wirklich für die Logistik begeistern. Technisches Wissen und digitales Know-how kann man schulen und in Weiterbildungen vermitteln. Aber die Basis sollte Leidenschaft sein.

»Auch wenn der Mensch vielleicht immer weniger das Gehirn der Logistik ist, bleibt er doch nach wie vor ihr Herz.«

Johannes Berg, Geschäftsführer Digital Hub Logistics Hamburg

Wie finden Unternehmen diese Menschen und halten sie in ihren Teams?
Sie müssen offen dafür sein, Talenten aus anderen Branchen eine Chance zu geben. Und sie sollten genau auf die individuellen Belastungen schauen, die ihre Mitarbeitenden haben. In den vergangenen drei Jahren ist in der Welt und in unserer Gesellschaft sehr viel passiert. Ich nehme es so wahr, dass Stress der Normalzustand geworden ist: Alle sind immer gehetzt. Daher sollte es in jeder Firma Leute geben, die sich kontinuierlich das Teamgefüge anschauen und sich damit auseinandersetzen, wer welches Pensum hat und wie belastbar er oder sie ist. Dann kann man gezielt unterstützen oder Aufgaben anders verteilen.
Sie selbst sind erst 2018 in die Logistik gekommen. Wie haben Sie die Branche seitdem erlebt?
Bis Anfang 2020 habe ich ganz ruhiges Fahrwasser in Erinnerung. Es ging nahezu allen Unternehmen gut, und man schaute mit großer Neugier auf Trends. Seit 2020, also seit Beginn der Corona-Pandemie, dreht sich der Motor der Logistik meinem Gefühl nach durchgehend bei 120 Prozent, denn es kommen kurzfristig immer neue Herausforderungen dazu. Mal sind die Frachtraten oben, dann stürzen sie in den Keller, neue Klimaschutzverordnungen kommen hinzu, Lkw-Fahrerinnen, -Fahrer und andere Fachkräfte fehlen. Wer in Sachen Digitalisierung nicht ganz vorn dabei ist, hat gefühlt sowieso verloren. Es passiert alles zu schnell, als dass man jede dieser Herausforderungen meistern könnte. Wir führen im Digital Hub Logistics immer Jahresgespräche mit unseren Unternehmenspartnern. Anfang 2022 waren da alle durchweg positiv gestimmt und hatten Lust auf Workshops und neue Projekte. Dann kam der 24. Februar – der Tag, an dem Russland die Ukraine angriff –, und es war wieder alles anders: Ständige Veränderung ist das „New Normal“.

»Ständige Veränderung ist das ›New Normal‹.«

Johannes Berg, Geschäftsführer Digital Hub Logistics Hamburg

Was können Unternehmerinnen und Unternehmer tun, um ihre Belegschaft trotzdem weiterhin zu motivieren?
Es gibt ein Zitat von Jürgen Klopp, der gesagt hat, er ziehe mehr Energie aus der Freude am Gewinnen, als dass er Angst vorm Verlieren habe. Das sollte jeder Unternehmer, jede Unternehmerin beherzigen: Es ist ein Privileg, gestalterisch tätig sein dürfen. Dann muss man sein Team motivieren, die Mitarbeitenden teilhaben lassen. Es ist ein Teil neuer Führungskultur, offen zu sein und über Ideen zu sprechen – genau wie über Dinge, die nicht so gut laufen – und neue Ansätze auszuprobieren. Der Glaube daran, dass alles immer ein Stückchen besser wird, ist motivierender als die Angst , dass ein Unternehmen scheitert.

»Der Glaube daran, dass alles immer ein Stückchen besser wird, ist motivierender als die Angst, dass ein Unternehmen scheitert.«

Johannes Berg, Geschäftsführer Digital Hub Logistics Hamburg

Sie sind mit vielen Start-ups in Kontakt. Was machen die beim Faktor Mensch richtig?
Start-ups machen von Natur aus vieles richtig, indem sie sagen: „Wir sind junge Unternehmen mit flachen Hierarchien und kurzfristigen Entwicklungsperspektiven. Wir arbeiten an innovativen Themen, Prozessen und Lösungen, die die Welt besser machen sollen.“ Das trifft den Zeitgeist bei vielen Arbeitnehmerinnen und -nehmern. Solange die Start-ups noch überschaubar groß sind, funktioniert das auch. Aber irgendwann müssen sie den Sprung schaffen, eine stringentere Personalentwicklung aufzusetzen und ihre Teams weiterzuentwickeln. Bei einigen geht das zwischen Finanzierungsrunden, Proof of Concepts und anderen Anforderungen unter – aber man darf es nicht aus den Augen verlieren. Es ist klug, einen kleinen Teil der eingeworbenen Finanzierungen für Programme zur Bindung und Bildung der Beschäftigten einzuplanen. Start-ups, die das tun, bekommen dann vielleicht den einen oder anderen Entwickler schneller als ein Unternehmen, das nur einen 08/15-Vertrag vorlegt. Gerade wenn man an IT-Entwickler denkt, die ja dringend gesucht werden, gilt dann wohl, dass der attraktivste Arbeitgeber sich einen Wettbewerbsvorteil sichern kann – also nicht mehr „Survival of the fittest“, sondern „Survival of the most attractive employer“.
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