City-Logistik: Sind das die Problemlöser?

Lesezeit: ca. 6 Minuten
Text: Joachim Geiger
Fotos: Daniel Koebe, Smart City Loop, Rytle, BPW, DPD/Renault

Wenn der Online-Handel hierzulande boomt, müssten sich die Logistiker eigentlich freuen. Immer mehr Bestellungen bedeuten schließlich auch für sie immer mehr Aufträge. Was aber, wenn die Zahl der Pakete noch weiter in ungeahnte Höhen steigt? Ist die City-Logistik dann das Problem oder vielleicht doch die Lösung? In der Veranstaltung „Moving City“ hat die Branche über neue Logistikkonzepte und Technologien für die letzte Meile nachgedacht.

Die schöne neue Welt der City-Logistik macht viele Kunden glücklich. Schließlich gibt es in jedem Viertel Paketboten, die den Internet-Einkauf schnell und zuverlässig an die Haustür liefern. Selbst Lebensmittel aus dem Supermarkt stehen innerhalb weniger Stunden frisch auf dem Tisch. Der perfekte Service hat allerdings mehrere Kehrseiten: Zeit- und Kostendruck, fehlender Parkraum, Einfahrbeschränkungen und drohende Fahrverbote machen den Logistikern das Leben auf der letzten Meile schwer. Besserung ist nicht in Sicht – im Gegenteil: Gerade in Großstädten nimmt das Transportaufkommen weiter zu. Bevor die Anzahl der Pakete vollends durch die Decke geht, sollten die Logistiker über neue Lösungen nachdenken. Eine ausgezeichnete Gelegenheit dazu bot die Veranstaltung „Moving City – Logistikszenarien der Zukunft“ der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung und der Mediengruppe Rheinische Post in Düsseldorf: Muss sich der Paketdienstleister von der Zustellung an der Haustür verabschieden? Welche Konzepte für die letzte Meile sind überhaupt nachhaltig? Und welche Rolle spielen dabei neue Fahrzeugkonzepte?

Funktionierende Logistik zwingend notwendig

Handfeste Unterstützung bei der Klärung solcher Fragen bietet im Bundesland Nordrhein-Westfalen neuerdings das Verkehrsministerium. „Eine funktionierende City braucht eine funktionierende Logistik“, konstatiert Dr. Dirk Günnewig, Leiter der Fachabteilung für Grundsatzangelegenheiten der Mobilität, Digitalisierung und Vernetzung. Bei dieser Aufgabe dürfe man die Städte nicht alleinlassen. Den Part der Politik sieht der Verkehrsexperte darin, die Aktivitäten der Beteiligten zu koordinieren und zu moderieren. Auch eine finanzielle Förderung soll zur Wahl stehen. Günnewig selbst pflegt einen ebenso innovativen wie hemdsärmeligen Ansatz. Sein Credo: Welche Chancen ein Projekt in der City-Logistik hat, lässt sich nur herausfinden, indem man es ausprobiert – Scheitern nicht ausgeschlossen.

Bei der Veranstaltung „Moving City – Logistikszenarien der Zukunft“ der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung und der Mediengruppe Rheinische Post in Düsseldorf diskutierten die Teilnehmer im Herbst 2019 neue Zustellkonzepte, die im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit neue Maßstäbe setzen könnten.

Aber welche Technologien und Konzepte haben das Zeug zum Problemlöser? Innovativen Zukunftsforschern dürfte es auf den ersten Blick kaum gefallen, dass Hightech-Lösungen für die City-Logistik derzeit nicht die erste Wahl sind. Anstelle von autonomen Postautos, Zustellrobotern und Transportdrohnen sind bodenständige Lösungen gefragt. Klar ist aus heutiger Sicht vor allem eines: Die letzte Meile in den Innenstädten müssen Logistiker emissionsfrei und leise bedienen. Elektrische Fahrzeugkonzepte haben daher in der City-Logistik Konjunktur. Dass auch Verteiler-Lkw in höheren Gewichtsklassen elektrisch in die Innenstadt fahren könnten, scheint jedoch noch Zukunftsmusik zu sein.
Josha Kneiber ist überzeugt, dass ein Antrieb wie die elektrische Achse eTransport von BPW die Entwicklung einer völlig neuen Fahrzeugarchitektur für Lkw ermöglicht.
Nutzfahrzeugexperte Gero Schulze Isfort will mit Rytle die Citylogistik neu aufstellen. Die Hardware des Modells kombiniert ein Cargobike mit Mikrodepot und Transportboxen.
Wirtschaftsingenieur Gerd Seber hält es für ausgemacht, dass innovative Logistikkonzepte sich künftig an den Interessen der Paketkunden an der Haustür orientieren müssen.
Christian Kühnhold, Geschäftsführer von Smart City Loop, nimmt die vorletzte Meile ins Visier. Sein Plan ist der unterirdische Transport von Gütern durch Röhren in City-Hubs.

Zukunftspotenzial: die elektrische Achse eTransport von BPW

„Viele Logistiker denken bei elektrischen Lkw zuerst an Tesla und an Technologien wie Brennstoffzellen und Range-Extender“, beschreibt Josha Kneiber vom Team Elektromobilität bei BPW Bergische Achsen die derzeitige Situation. Für den 28-jährigen Wirtschaftswissenschaftler war die Veranstaltung daher eine gute Gelegenheit, in diesem Punkt für mehr Klarheit zu sorgen. Immerhin hat BPW mit der elektrischen Achse eTransport eine Technologie im Programm, die bereits in elektrifizierten Ausführungen des MB Vario für Vortrieb sorgt. Josha Kneiber ging in der Diskussion jedoch einen Schritt weiter. Er fragte: „Wie sollte ein Lkw für die City-Logistik in Zukunft aussehen?“ Und er gab gleich selbst eine spannende Antwort: Das Entwicklungsziel müsse ein Fahrzeug sein, das die logistischen Prozesse der Innenstadtlieferung in den Mittelpunkt stellt. Gute Chancen bietet dazu ein achsintegrierter Antrieb. Weil diese Technologie wenig Bauraum im Fahrzeug beansprucht, lässt sich damit eine Fahrzeugarchitektur entwickeln, in der die Ergonomie für den Fahrer und die Sicherheit der anderen Straßenteilnehmer wie Fahrradfahrern im Mittelpunkt steht. Denkbar wären zum Beispiel ein Niederflurkonzept oder ein Lkw mit innenliegenden Aufzügen, die eine Ladebordwand ersetzen. Für Puristen der klassischen Lkw-Form klingt das vielleicht gewöhnungsbedürftig. Andererseits steht schließlich nirgends geschrieben, dass ein Lkw für die City-Logistik genauso aussehen muss wie jeder herkömmliche Lkw.

Mit Rytle spielen Logistiker die grüne Karte

Auch im Logistikkonzept der Bremer Rytle GmbH, eines Joint Ventures zwischen dem Beratungsunternehmen Orbitak und dem Anhänger- und Aufbautenhersteller Krone, spielt ein elektrisches Fahrzeug eine tragende Rolle. Das Konzept kombiniert ein Cargobike mit einem Mikrodepot und speziellen Transportboxen. Was Gero Schulze Isfort als Mitgesellschafter von Rytle vorstellt, ist gewissermaßen eine Neuerfindung der City-Logistik: Als Depot fungiert ein Leichtbaucontainer mit einer hydraulischen Hebeeinrichtung und einem Rolltor. Er bietet Platz für neun Boxen mit einem jeweiligen Ladevolumen von knapp zwei Kubikmetern, die der jeweilige Logistikdienstleister mit seinen Päckchen und Paketen bestückt. Zur Belieferung platziert der Zusteller eine Box in einer Haltevorrichtung im Heck seines Lastenrads, das bei Rytle „MovR“ heißt. Das Bike fährt dank üppiger elektrischer Unterstützung locker im Straßenverkehr mit, kann aber auch den Fahrradweg benutzen. Da es als Pedelec 25 zugelassen ist, benötigt der Zusteller keinen Führerschein.

Vollends rund wird das Logistikkonzept durch seine digitale Integration. Alle Komponenten – Rad, Container und Boxen – sind mit Telematik-Einheiten ausgestattet. Wichtige Funktionen lassen sich mit einer Smartphone-App steuern. Möglich sind Tracking und Tracing, Navigation und Tourenplanung. Auch die Kommunikation mit der Zentrale und den Kunden läuft über die App. Für einen Logistiker hat das Konzept einen besonderen Charme: Er kann damit von heute auf morgen den Betrieb in der City-Logistik aufnehmen. Ein Knackpunkt dürfte aber der Abstellraum werden, denn Mikrodepots auf öffentlichen Parkplätzen sind wohl jeder Verkehrsüberwachung ein Dorn im Auge. „Das Modell für die Citylogistik kann nur funktionieren, wenn die Städte mitspielen“, räumt Gero Schulze Isfort ein.

DPD setzt auf die mobile Paketstation

Doch nicht nur die Städte müssen im Boot sein, sondern auch die Endkunden. „Allerdings ist die Sichtbarkeit der Logistiker beim Kunden ist sehr gering. Das hat zur Folge, dass Kunden unsere Leistung bewerten, die uns gar nicht kennen“, bedauert Gerd Seber, Group Manager Citylogistik & Nachhaltigkeit bei DPD Deutschland. Und dann wäre da noch der Wunsch der Paketempfänger nach einer flexiblen und individuellen Zustellung. „Das Geschäft mit den Privatkunden wird in Zukunft deutlich zunehmen. Innovative Logistikkonzepte müssen daher die Beziehungen zwischen Dienstleister und Endkunden in den Blick nehmen“, so Seber. Eine Schlüsselrolle könnte in Zukunft die autonome Lieferung durch die mobile Packstation spielen: Das Fahrzeug steuert selbstständig den Zustellort an, parallel dazu erhält der Empfänger über eine DPD-App die Info über die Ankunft der Packstation. Vor Ort entnimmt der Kunde nach der Autorisierung an der Ausgabeklappe das Paket. Auch Retouren sollen auf diese Weise möglich sein.

„Smart City Loop“: ein unterirdisches Modell

Auf die Unterstützung der Städte ist auch Christian Kühnhold, Geschäftsführer der Smart City Loop GmbH, angewiesen. Denn wird sein Konzept Realität, könnten die Logistiker im positiven Sinn in die Röhre blicken: Der „Smart City Loop“ ist ein Transportsystem für die vorletzte Meile, das eine Alternative zum Gütertransport mit schweren Lkw im Stadtgebiet bieten soll. Stattdessen liefern die Trucks ihre Ladung an ein Güterverteilzentrum am Stadtrand. Dort läuft die Ware in unterirdischen Röhren vollautomatisch auf Paletten oder in Transportbehältern zu einem City-Hub in der Innenstadt. Vor Ort übernehmen elektrische Fahrzeuge die Ladungsträger für den Transport auf der letzten Meile.

Doch der Aufbau einer Infrastruktur kann ein enorm teures Unterfangen werden. Und geht es damit unter die Erde, müssten nach Adam Riese die Kosten geradezu explodieren. Vielleicht ließen sich die Tunnel einer U-Bahn für die City-Logistik intelligent nutzen? Wie will man die Flächen finden, die ein System von City-Hubs in der Stadt benötigt? Und welche Kosten würden auf die Nutzer des „Smart City Loop“ zukommen? Die Fragen der Veranstaltungsteilnehmer an Christian Kühnhold spiegelten Vorbehalte wider. „Die Kosten betragen nur einen Bruchteil der Summen, die im Tunnelbau nötig sind“, erklärte der Wirtschaftsingenieur. Ein Vorteil sei das unkomplizierte Genehmigungsverfahren. Außerdem kämen im gesamten Modell nur etablierte Verfahren und Fördertechniken zum Einsatz.

Die Probe aufs Exempel könnte bald folgen: In Hamburg nimmt gerade eine Machbarkeitsstudie für einen „Smart City Loop“ in die Innenstadt Gestalt an. Geplant ist eine Röhre, die über eine Strecke von rund fünf Kilometern ein Güterverkehrszentrum in Wilhelmsburg mit einem City-Hub in Altona verbindet. Etwa 3.000 Paletten könnten so täglich in die Stadt gebracht werden – und bis zu 1.500 Straßentransporte überflüssig machen.

Am Ende Veranstaltung war das vielleicht auch eine Botschaft, die der „Smart City Loop“ transportiert: dass eine Idee nicht allein deshalb aus dem Raster fallen sollte, weil ihre Umsetzung mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Und dass man in der Citylogistik manchmal eben groß denken muss, wenn die Probleme schon groß sind.

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3 Kommentare

  1. Ich finde die Idee der innenliegenden Aufzügen, die eine Ladebordwand ersetzen, gut. Vielleicht gäbe es dann weniger Wartungsarbeiten. Das Problem ist ja auch der Platz, der sonst benötigt wird.

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  2. Hi Folkher,

    gute Punkte – Städte und Kommunen scheinen da oftmals Nachholbedarf zu haben. Schwierig ist es sicher, das bestehende Stadtbild anzupassen. Wenn Unternehmen ihre Technologien und Konzepte anpassen, kann das vermutlich schneller passieren. Trotzdem muss die Infrastruktur (zumindest in Zukunft!) dem (Liefer-)Verkehr bestmöglich angepasst werden. LG, das motionist.com-Redaktionsteam

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  3. Warum wird zuerst mit Fahrzeugkonzepten experimentiert und nicht gefragt, weshalb wir täglich das Liefer- und Abholchaos haben? Als ehemaliger Wechselbrücken-Nahverkehrskutscher darf ich bemerken: 80 % unserer Be- und Entladestellen sind bereits für den 8 m-7,5 Tonner nicht geeignet. Für jeden Bau in der Innenstadt sollte kalkuliert werden, wie oft täglich die Fahrspur zugestellt wird, weil der Fahrer über die Ladebordwand die Zustellung abwickelt. Hier sollte die Stadt regelnd eingreifen wie die SNCF im Güterverkehr mit ihrer „Bahnhofsponderierung“. Geschäftshäuser ohne geeignete Be- und Entladespur zahlen extra. Nur so lernt der Bauingenieur, wieviel Parktplatz der Lieferverkehr braucht und wie man eine Kurve dimensionieren muss, also §32d StVZO plus Zuschlag. Und danach überlegen wir, wie man die Zustellung automatisiert. Denn der Paket-Walk-In, den gibt es auch schon 50 Jahre.

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