„City-Logistik neu denken“

Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart hat im Jahr 2020 eine Studie über innovative Logistikkonzepte für Stadtplanungen veröffentlicht. Sie trägt den Titel „City-Logistik neu gedacht – Impulse für das Stuttgarter Rosensteinviertel“.
Lesezeit: ca. 3 Minuten
Text: Joachim Geiger
Abbildungen: IHK Region Stuttgart, Bopp, Pesch Partner Architekten Stadtplaner GmbH

Der Güterverkehr war in der Stadtplanung bislang häufig ein Stiefkind. Aber wie kann City-Logistik funktionieren, wenn der Transportbedarf zunimmt, gleichzeitig aber immer weniger Flächen zur Verfügung stehen? In Stuttgart will man jetzt aus Fehlern der Vergangenheit lernen. Götz Bopp von der IHK Region Stuttgart erklärt, wie ein Neubauquartier der Zukunft aussehen könnte.

Hat der Güterverkehr in der City-Logistik den Stellenwert, den er verdient?
Götz Bopp: Für viele Menschen ist Logistik wie Elektrizität aus der Steckdose – man gebraucht sie ganz selbstverständlich, weiß aber nicht, was dahintersteckt, wo sie herkommt und wie sie funktioniert. Tatsächlich haben wir gerade in älteren Bestandsquartieren häufig ein Problem mit der Fläche. Im Stuttgarter Westen zum Beispiel gibt es so gut wie keine Infrastruktur für die Logistik. Wenn demnächst eine Novelle der Straßenverkehrsordnung die Behinderung durch Lieferfahrzeuge in der zweiten Reihe mit hohen Bußgeldern bestraft, haben Logistiker ein Problem. Im schlimmsten Fall werden sie darauf verzichten, die für sie problematischen Stadtgebiete anzufahren. Aber wenn Bewohner und Gewerbetreibende nicht mehr beliefert werden, hat auch die Stadt ein Problem.
Welche Ansätze sieht die IHK Region Stuttgart für die Landeshauptstadt?
Wir wollen uns nicht nur um die letzte, sondern auch um die vorletzte Meile kümmern, also um die Verkehre aus dem Speckgürtel in den Kern der Innenstadt. Dazu müssen wir mit innovativen Lösungen vorausdenken. Ein unterirdischer Warentransport etwa bietet viel Potenzial. Dadurch lässt sich ein Teil der Fahrzeuge von der Oberfläche runternehmen, sodass er nicht mehr die Zulaufstrecken in die Stadt hinein belastet. In der Folge könnten wir dann zugunsten anderer Verkehrsträger eine Fahrspur freigeben.
Ist nachhaltige City-Logistik heute immer auch Logistik mit dem Lastenrad?
Die Cargo-Bike-Logistik ist ein Baustein, aber keineswegs das Allheilmittel, als das es bisweilen dargestellt wird. Eine Logistik mit dem Lastenrad kann nur einen kleinen Anteil der benötigten Güter zum Transport übernehmen. Andererseits ist es kaum sinnvoll, wenn der Gemüsehändler für zwei Gurken und drei Tomaten ein Cargo-Bike auf den Weg schickt und der Bäcker sowie der Metzger mit ähnlich kleinen Mengen dasselbe tun. In diesem Fall wäre es ein guter Ansatz, solche Lieferungen intelligent zu konsolidieren. Letztlich geht es aber nicht nur um die Masse, sondern auch um das Volumen der Güter, die in der Stadt transportiert werden. Wenn ein Gastronomiebetrieb mehrere Tonnen Getränke ordert, dann kommen die nicht mit dem Lastenrad an ihr Ziel. Wir werden daher auf jeden Fall größere Fahrzeuge brauchen, die idealerweise klimaneutral auf Achse sind.
Wie könnte eine zukunftsfähige City-Logistik aussehen?
Die IHK Region Stuttgart hat vor Kurzem eine Studie über ein integriertes Logistikkonzept für die Planung des Rosensteinviertels veröffentlicht. Das ist ein rund 85 Hektar großes Bahngelände, das im Zuge des Bauprojekts Stuttgart 21 frei wird. Uns war es wichtig, dass wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sondern die Logistik schon in einer sehr frühen Phase mitdenken. Wir setzen dabei auf ein breit gefächertes Spektrum von Ansätzen für die Infrastruktur. Lieferzonen, Cargo-Bikes und unterirdische Transportsysteme gehören dazu, aber auch Multi-Use-Parkhäuser, autonome Paketzustellungen und Leise-Logistik-Umschlagzonen.

»Die Stadtplaner haben für den individuellen Personenverkehr und den ÖPNV eine hohe Kompetenz. Der Güterverkehr führt dagegen häufig noch ein Schattendasein.«

Götz Bopp, Abteilungsreferent Urbaner Verkehr und Logistik bei der IHK Region Stuttgart

Was wäre ein guter Ansatz für die Infrastruktur in einem Neubauquartier?

Eine leistungsfähige Infrastruktur ist gewissermaßen das Betriebssystem für den Güterverkehr. Nehmen wir zum Beispiel einen Häuserblock, in dem es nicht nur eine reine Wohnnutzung gibt, sondern auch einen Supermarkt im Erdgeschoss sowie Räume für Dienstleister und Gewerbetreibende. Hier wäre es denkbar, ein Versorgungskonzept über die Tiefgarage zu entwickeln. Gibt‘s dann drum herum noch andere Wohnblöcke, könnte es durch eine schlaue Architektur gelingen, die anderen Gebäude an einen Hub in der Tiefgarage anzudocken.

Der Straßenraum, die Immobilien und die Organisation von Verkehr und Warenströmen – diese Dimensionen sollten bei der Planung urbaner Logistik beachtet werden.
Man würde dafür die verschiedenen Tiefgaragen verbinden?
Das wäre ein Modell, mit dem sich vier, fünf Gebäude problemlos erreichen ließen. Der Paketbote fährt in die Tiefgarage und versorgt die Bewohner im Areal unterirdisch. Ein anderes Modell wäre der Einsatz von Fördertechnik. Immerhin ist Deutschland Weltmeister in Sachen Intralogistik, eine Lösung für Wohnblöcke wäre daher schnell zur Hand. Der Paketdienstleister scannt dann im Hub in der Tiefgarage die Pakete und legt sie auf ein Förderband, das sie zu den Paketkastenanlagen in den Gebäuden weiterverteilt.
Welcher logistischen Lösung geben Sie den Vorzug?
Wir haben keine Rangliste mit Prioritäten. Welcher Ansatz zum Tragen kommt, hängt stets von den lokalen Gegebenheiten und Anforderungen ab. Im Übrigen soll sich unsere Studie nicht nur auf das Rosensteinviertel beziehen. Sie ist ein Angebot an jede Kommune, die sich mit der Gestaltung oder Umgestaltung von Quartieren befasst – im Prinzip ein Baukasten, aus dem sich jeder nach den eigenen Bedürfnissen bedienen kann.

»Der Güterverkehr ist Teil des gesamten Verkehrssystems in der Innenstadt. Wir brauchen daher Lösungen, die allen Verkehrsträgern gerecht werden.«

Götz Bopp, Abteilungsreferent Urbaner Verkehr und Logistik bei der IHK Region Stuttgart

PDF-Download

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