„Als Frau kann man in der Logistikbranche alles erreichen.“

Lesezeit: ca. 8 Minuten
Text: Kerstin Kloss
Fotos: BeraCom, Semperit, Greiwing, BPW Otomotiv, Privat

Am 8. März ist Weltfrauentag – in Berlin ist er seit 2019 ein gesetzlicher Feiertag, in anderen Ländern, etwa Russland oder Vietnam, schon viel länger. Wie kommen die Frauen in der Logistik voran? Was gut läuft und wo es hakt, berichten erfolgreiche Logistikfrauen am besten selbst.

„Frauen kommen oft gar nicht auf die Idee, in dieser Branche zu arbeiten“, sagt Stephanie Künzel, Niederlassungsleiterin bei „Greiwing – logistics for you“. Das Familienunternehmen hat einen eigenen Fuhrpark mit über 200 Zugmaschinen und mehr als 550 Spezialaufliegern. Mit über 800 Beschäftigten an zwölf deutschen Standorten herrscht ein Frauen-Männer-Verhältnis von 1:11. Noch weniger gleichmäßig verteilt sind die Geschlechter bei den gewerblichen Angestellten: Im Lager ist unter 38 Angestellten nur eine weiblich. Allerdings beobachtet der geschäftsführende Gesellschafter Jürgen Greiwing, dass der Frauenanteil im Unternehmen über die Jahre gestiegen ist: „Speziell auf unsere Ausbildungsplätze bewerben sich immer mehr Kandidatinnen.“ Und auch bei den Ausbildern gibt es immer mehr Frauen – eine davon ist Martina Schmidt am bayerischen Greiwing-Standort Leipheim.

Die Speditionskauffrau hat selbst bei Greiwing gelernt und wurde 1999 Ausbilderin. Seitdem hat sie etwa 30 Nachwuchskräfte ausgebildet, davon waren etwa die Hälfte Frauen. Wissensvermittlung fand die 46-Jährige schon immer reizvoll, früher habe sie über ein Lehramtsstudium nachgedacht. Aber dann sei sie in die Logistikbranche „reingerutscht“, erzählt sie. Neben Kaufleuten für Spedition und Logistikdienstleistung bildet Martina Schmidt nun seit einigen Jahren Fachkräfte für Lagerlogistik aus. Weiblichen Azubis sagt sie: „Als Frau kann man in der Logistikbranche alles erreichen.“ Trotzdem gibt es auch bei Greiwing viel mehr Kauffrauen als Lkw- oder Staplerfahrerinnen – obwohl die Bedienung der Fahrzeuge dank digitaler Tools und Steuerung heute weniger körperliche Kraft erfordert als in der Vergangenheit.

Seit 1999 bildet Martina Schmidt (rechts) angehende Speditionskauffrauen und -männer aus und macht sie fit für eine erfolgreiche Karriere.

Martina Schmidt führt „gesellschaftliche Fragen“ als eine der Hauptursachen dafür an, dass Frauen in der Logistik weiterhin unterrepräsentiert sind: „Väter nehmen kaum Elternzeit, Kinderbetreuung bleibt oft in weiblicher Hand“, so die Ausbilderin. Job und Familie unter einen Hut zu bringen sei nach wie vor schwierig: „Wenn ich nicht weiß, wann ich abends aus der Firma rauskomme, kann ich nicht zuverlässig um 16 Uhr die Kinder abholen.“ Andererseits hat sich vieles verbessert für Frauen in der Logistik. 1993 brauchte Martina Schmidt unter fast nur männlichen Kollegen noch „ein dickes Fell“: „Die Akzeptanz von Frauen war damals noch nicht so hoch, weil es erst wenige weibliche Mitarbeiterinnen gab.“ Heute komme es rein auf die Leistung an, ist sie überzeugt. Positive Erfahrung bei Greiwing: Gemischte Teams sind produktiver. „Die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Frauen und Männern ergänzen sich. Erst dadurch läuft es rund“, sagt Martina Schmidt.

Karrieren oft von Zufällen geprägt

Als Betriebsleiterin des türkischen BPW Werks in Gebze hat Gülsüm Çıǧın ein simples Rezept, um sich als Frau in der Logistik Respekt zu verschaffen: „Man darf sich nicht scheuen, mit eigenen Händen auch anzupacken“, sagt sie. Als Beispiele nennt sie Kommissionierung von Baugruppen, Fertigverpacken von losen Zulieferteilen oder Warenempfang. Seit 2012 arbeitet Gülsüm Çıǧın bei BPW Otomotiv mit Sitz in Istanbul. Zuvor war sie auf der anderen Seite tätig: in der Einkaufsabteilung bei einem Kunden. Der Wechsel habe „sich so ergeben“, sagt sie – eine Antwort, die man von Frauen in der Logistik häufig hört, wenn man sie nach ihrem Karriereplan fragt.

Gülsüm Çıǧın wuchs in Aschaffenburg als jüngstes von vier Geschwistern einer türkischen Gastarbeiterfamilie auf. Kurz vor ihrem 18. Geburtstag erfolgte der Umzug in die Türkei, wo sie die Schule abschloss und Betriebswirtschaftslehre studierte. Im Job schlug sie Brücken zurück nach Deutschland – als Übersetzerin, im Auslandseinkauf und -verkauf. Deshalb kennt sie das Material für die Achsmontage aus dem Effeff.

Gülsüm Çığın ist Betriebsleiterin des BPW Werks in Gebze in der Türkei.
Rückblickend waren auf der Karriereleiter von Gülsüm Çıǧın drei Stufen entscheidend für den Erfolg. Karrierebeschleuniger Nummer eins: Als sie in Gebze als Unterstützung für Materialzufluss und Supply Chain anfing, wurde gerade nach einem neuen Verwaltungssystem gesucht. „Anderthalb Jahre lang war ich stark in ein Projekt involviert, bei dem wir gemeinsam ein Programm (ERP) für die Produktionsverwaltung und Rückverfolgbarkeit ausgearbeitet haben“, erinnert sie sich. Kurz darauf sollte eine Anlage für die Montage der Achsen in die Türkei importiert werden. Die gesetzlichen Regelungen dafür waren alles andere als trivial. „Ich habe den Transfer der Anlage inklusive Ab- und Aufbau verantwortet und begleitet“, hakt Gülsüm Çıǧın Etappe Nummer zwei ab. Und weil sich die Produktion in Gebze so erfreulich entwickelte, entschied man 2014, anderthalb Kilometer von der gemieteten Halle entfernt eine eigene Produktionsanlage zu errichten. Gülsüm Çıǧın war „automatisch involviert“ – und meisterte Karrierestufe drei: „Die gesamte Montage musste transferiert werden. Und mit dem neuen Gebäude musste ich eine weitere Montage-Einheit, die wir als Luftfederung EAC bezeichnen, aufbauen – sprich: in die Produktion integrieren. Seit dem erfolgreichen Umzug verantworte ich als Betriebsleiterin das Werk.“ Ihre Mitarbeiter –vorwiegend Männer –haben kein Problem mit einer weiblichen Vorgesetzten, die Chefin wird respektiert. Trotzdem meint Gülsüm Çıǧın, dass es in der Türkei „allgemein schwierig“ sei, als Frau in eine Führungsposition zu kommen.

Deutschland: Wie viele Logistikfrauen sitzen auf Chefsesseln?

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der Führungspositionen in der Logistik sind von Frauen besetzt

Quelle: Wirtschaftsauskunftei CRIF Bürgel, Statista 2020
In Deutschland sind laut der Wirtschaftsauskunftei CRIF Bürgel 19,6 Prozent der Führungspositionen in der Logistik von Frauen besetzt. Zahlen der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) belegen, dass mehr Frauen in der Logistik Karriere machen wollen: Der Frauenanteil am DAV-Bachelor-Studiengang Internationales Logistikmanagement liegt inzwischen bei gut 30 Prozent, und die Teilnehmer der Branchen-Jobmesse „Vitamin BVL“ sind zu 40,2 Prozent weiblich – eine überdurchschnittlich hohe Zahl.

Netzwerk für Logistikfrauen

2010 war der Transport- und Logistiksektor noch fest in Männerhand. Damals organisierte Britta Kahlfuss als stellvertretende Regionalgruppensprecherin Hamburg der Bundesvereinigung Logistik (BVL) viele Branchenveranstaltungen. „Wir waren immer nur sehr wenige Frauen“, erinnert sich die Geschäftsführerin des Hamburger Beratungs- und Software­entwicklungs­unternehmens Beracom. Laut BVL-Mitgliederliste gab es in der Hansestadt zu dieser Zeit schon an die 100 Logistikfrauen – nur: Britta Kahlfuss hatte kaum je eine davon gesehen. Auf ihrem beruflichen Weg hat die promovierte Wirtschaftsingenieurin ähnliche Erfahrungen gemacht wie Gülsüm Çıǧın bei BPW in der Türkei. Kahlfuss hatte bei ihren verschiedenen Karrierestationen als Führungskraft im Management in der Medizin- und Automobilindustrie vor allem technische Abteilungen geleitet. Für sie war es „ganz normal, mich in einem männlich geprägten Umfeld zu bewegen, durch die Produktionshallen zu gehen und dort die Abläufe zu gestalten“. Doch jetzt wollte sie wissen: Wer sind eigentlich die anderen Frauen in der Logistik? So entwickelt sie die Idee zur Ladies Logistics Lounge und fand mit der Logistik-Initiative Hamburg, der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation sowie der Handelskammer Hamburg tatkräftige und starke Partner.

Die Premiere der so in gemeinsamer Initiative entstandenen Veranstaltungsreihe fand am 10. Juni 2010 in den Räumen der Hamburger Hafen und Logistik AG statt. Seitdem treffen sich die Logistikfrauen möglichst einmal pro Quartal immer bei einem anderen Unternehmen zum Networking. Das Treffen in diesem Frühjahr ist bereits die 35. Veranstaltung. Inzwischen sind etwa 400 weibliche Fach- und Führungskräfte in der Ladies Logistics Lounge vernetzt, die Treffen sind regelmäßig ausgebucht. Doch Britta Kahlfuss stellt klar: „Es ist keine Gender-Veranstaltung.“ Stattdessen steht nach einem kurzen Impulsvortrag der Gastgeberin immer die fachliche Interaktion im Fokus. Die Logistikfrauen diskutieren in Workshop-Form über einen inhaltlichen Schwerpunkt, den das gastgebende Unternehmen setzt.

Die BVL ist seit 2012 nur noch am Rande an der Ladies Logistics Lounge in Hamburg beteiligt. Seitdem treibt das Expertennetzwerk das Thema unter dem Label „Ladies in Logistics“ voran und richtet sich dabei an Frauen und Männer gleichermaßen. BVL-Regionalgruppen und Unternehmen in ganz Deutschland machen mit.

Erfolgreiche Logistikfrauen: Britta Kahlfuss (links) und Christina Scheib

Christina Scheib tanzt als Truckerin aus der Reihe

Nicht nur Frauen engagieren sich für mehr weibliche Kolleginnen in so genannten „Männerjobs“. Prof. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), missfällt, dass Frauen am Lkw-Steuer bisher „vollkommen unterrepräsentiert“ sind: „Als Verband wollen wir Frauen ermutigen, diesen wichtigen Beruf zu ergreifen.“ Für dieses Ziel gewann der BGL im April 2019 Christina Scheib als Botschafterin für Berufskraftfahrerinnen – sie wurde bekannt als Protagonistin der TV-Sendung „Asphalt Cowboys“ auf DMAX. Seit Februar 2020 arbeitet die passionierte Truckerin in Vollzeit für den BGL-Süd, auch in den Bereichen Mitgliederbetreuung und Neumitgliederwerbung.

Ein Nebenjob als Abschlepper-Fahrerin beim Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) brachte die gelernte Arzthelferin auf die richtige Spur: „Ich bin schon immer aus der Reihe getanzt und habe mich dann für den abwechslungsreichen Job als Berufskraftfahrerin entschieden“, berichtet Christina Scheib. Und das, obwohl die heute 34-Jährige den Beruf auf der Straße durchaus als Einsatz auf „hartem Pflaster“ erlebt. Oft war die Bayerin die ganze Woche über bis nach Italien und zurück unterwegs, übernachtete in der Fahrerkabine. „Auf Autobahnraststätten wurde ich manchmal von den Blicken der männlichen Kollegen regelrecht durchbohrt. Ich habe die Kollegen immer auf Abstand gehalten“, erinnert sie sich.

Die Zusammenarbeit mit Männern war für Christina Scheib trotzdem überwiegend positiv. An der Rampe oder auf Baustellen passiere es immer wieder, dass sie beim Aufladen ungefragt Hilfe bekomme. Das scheine ein männlicher Instinkt zu sein, meint sie schmunzelnd. Weniger amüsant findet sie, wie kritisch weibliche Arbeitsleistung beurteilt wird: „Wenn Frauen hervorragend arbeiten, zeigen männliche Kollegen oftmals Neid. Und gelingt mal etwas nicht, dann heißt es gleich ‚die kann das nicht‘.“ In ihrem neuen Job beim BGL will sie nicht nur noch mehr Frauen für den Kraftfahrerberuf begeistern. Gleichzeitig setzt sie sich in dem sehr auf Männer zugeschnittenen Fernfahreralltag dafür ein, dass zum Beispiel separate sanitäre Anlagen für Frauen auf Rasthöfen normal werden. Und das kann sie persönlich überprüfen – sie fährt weiterhin in Teilzeit Lkw.

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1 Kommentar

  1. Wenn die Redaktion einen großen Anteil von Frauen im Management sucht, ist Tirsan eine erste Adresse. Aysenur und Zeynep Nuhoglu, Ferda Öcmen, Sinem Öztürk und Iffet Türken. Und BPW-Kunde ist die Firma auch.

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