Elektrifizierte Nutzfahrzeuge im Praxistest – sind sie schon heute alltagstauglich?

Lesezeit ca. 5 Minuten
Text: Oliver Schönfeld
Fotos: Hellmann

Wie zuverlässig ist ein elektrischer Antrieb in der Achse? Genügen die Reichweiten für den täglichen Bedarf im Überlandverkehr? Wie reagieren die Auftraggeber – und wie bewerten Fahrer den elektrifizierten Antrieb von morgen? Ein sechsmonatiger Praxistest der eTransport-Achse von BPW bei Hellmann Worldwide Logistics kommt zu aufschlussreichen Resultaten.

Die elektrische Revolution im Nutzfahrzeug kommt leise daher, weitestgehend geräuschlos im Fahrbetrieb – aber dafür umso nachhaltiger. Davon ist Matthias Magnor, Chief Operating Officer Road&Rail bei Hellmann Worldwide Logistics in Osnabrück, überzeugt. „Unsere Branche hat die gemeinsame Verpflichtung, Neues auszuprobieren und bedarfsgerechte, umweltverträgliche Antriebskonzepte für die unterschiedlichen Anwendungsfelder in der Logistik zu finden“, sagt der Logistikexperte. Mit dem Vorschlag, die elektronische Achse eTransport unter realen Bedingungen zu testen, rannte BPW Bergische Achsen daher bei Hellmann offene Türen ein: „Das Vertrauen freut uns. Die Zusammenarbeit mit BPW war perfekt, die Teams haben sehr gut miteinander harmoniert.“

Sechs Monate im harten Alltagsbetrieb

Beiden Partnern war von Beginn an klar: Um Schönwetter-Probefahrten sollte es nicht gehen. Daher wurde das von BPW zur Verfügung gestellte 7,5-Tonnen-Testfahrzeug direkt in die alltäglichen Prozesse bei Hellmann eingebunden: sechs Monate lang, beginnend im Februar 2019 bei Frosttemperaturen bis zum August mit hochsommerlichen Temperaturen. Mit Bielefeld, Lehrte und Osnabrück hatte Hellmann zudem drei Standorte ausgewählt, die ganz unterschiedliche Anforderungen an den rein elektrischen Antrieb sowie an die Batterien stellen. „Vom Stadtverkehr über viel Landstraße bis hin zu sehr unterschiedlichen Topografien und Routenführungen war alles dabei. So konnten wir praxisnahe und wertvolle Erkenntnisse sammeln“, berichtet Magnor weiter.

»Das Pilotprojekt war für uns ein Erfolg auf ganzer Linie. Wir haben unheimlich viel gelernt.«

Matthias Magnor, Chief Operating Officer Road&Rail bei Hellmann Worldwide Logistics

Der COO Road&Rail zieht ein eindeutiges Fazit aus der sechsmonatige Testphase: „Das Pilotprojekt war für uns ein Erfolg auf ganzer Linie. Wir haben unheimlich viel gelernt.“ So sei es gelungen, umfassende praktische Erfahrungen zu sammeln, die Anforderungen an die Ladeinfrastruktur und die Tourenplanung kennenzulernen sowie die Bewertungen der Fahrer einzuholen. Eine grundlegende und wesentliche Erkenntnis lautet: Die Technologie der Achse eTransport funktioniert unter allen wechselnden Bedingungen zuverlässig und reibungslos.

Kunden begrüßen alternative Antriebe

Eine gemeinsame Erfahrung machten die Fahrer an allen drei Test-Standorten: Die Resonanz vonseiten der Hellmann-Kunden war überaus positiv. „Das enorme Interesse der Geschäftspartner zeigt uns, dass wir mit dem Erproben alternativer Antriebskonzepte auf dem richtigen Weg sind – und dass der Markt nachhaltige Lösungen von uns erwartet. Dass wir heute gemeinsam mit BPW schon Antriebe von morgen erproben, war somit ein sehr gutes und starkes Signal in den Markt“, sagt Matthias Magnor. Neben der Schadstoffersparnis im Vergleich zu fossilen Brennstoffen standen auch die Geräuschemissionen im Fokus des Tests. Den geräuschlosen Antrieb bewerteten viele Auftraggeber als wesentlichen Faktor für eine bessere Akzeptanz insbesondere bei innerstädtischen Verkehren. Eine interessante Beobachtung: Der elektrische Antrieb ist auch im Cockpit so geräuscharm, dass die Fahrer plötzlich Nebenaggregate wie die Wasserpumpen zur Kühlung des Systems viel deutlicher wahrnahmen – oder sogar einen Defekt vermuteten.
Sechs Monate lang, an drei Standorten mit unterschiedlichen Anforderungen hat Hellmann das 7,5-Tonnen-Fahrzeug ausgiebig getestet – direkt eingebunden in die täglichen Abläufe. Markus Schell, persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter von BPW, stellte Hellmann-COO Matthias Magnor (am Steuer) die Vorteile der Achse eTransport vor.

Reichweiten und Ladezeiten optimieren

Klar wurde während des Pilotprojekts aber auch, dass man von der Batterieentwicklung noch weitere Fortschritte erwartet – hin zu höheren Energiedichten und damit verbunden höheren Reichweiten. „Eine Tagesreichweite von gut 100 Kilometern reicht für unsere Überlandverkehre auf Dauer nicht aus“, räumt Magnor ein. Batteriekapazitäten einfach zu vergrößern, sei hingegen keine Lösung, wenn das Mehrgewicht zulasten der Zuladung gehe. Allerdings zeigt sich der Hellmann-Manager zuversichtlich, dass die Technologie schon in den nächsten Jahren entsprechende Fortschritte machen wird. Im Durchschnitt ließen sich mit dem Testfahrzeug zwölf Kunden pro Tag beliefern. Anders als im regulären Betrieb mit konventionellen Fahrzeugen verzichtete Hellmann wegen der begrenzten Batteriereichweiten allerdings darauf, auf dem Rückweg zum Depot weitere Kunden anzufahren und neue Transportgüter aufzunehmen. „Auch die Ladezeiten wären auf Dauer schwierig in unsere Abläufe einzubinden. Natürlich hängt das auch von der örtlichen Ladeinfrastruktur ab, das lässt sich mit zukünftigen Investitionen sicherlich noch optimieren“, umreißt Magnor ein weiteres Handlungsfeld.

Kräftiger Durchzug überzeugt die Fahrer

Denkbar einfach war der Umstieg hingegen für die meisten Fahrer. Die ersten Rückmeldungen fielen angesichts der Wendigkeit und des kräftigen Durchzugs des elektrifizierten Fahrzeugs fast euphorisch aus, so Magnor: „Unsere Fahrer waren durchweg sehr offen und begeisterungsfähig für die Technologie.“ Trotzdem war es für manchen Fahrer auch eine Herausforderung, mit der limitierten Reichweite umzugehen und entsprechende Erfahrungswerte zu sammeln. Immerhin: Kein einziges Mal während der sechs Monate blieb das Fahrzeug mit geleerten Akkus liegen. Allerdings blieben Radio und Klimatisierung im Fahrzeug vielfach ausgeschaltet. Mehr Batteriereserven wären somit auch unter Aspekten des Fahrkomforts wünschenswert.

Neue Antriebe und ihre Perspektiven

Viele Experten erwarten, dass eine Vielzahl verschiedener Antriebe an die Stelle des klassischen Verbrennungsmotors treten wird – zugeschnitten jeweils auf unterschiedliche Anforderungen. Doch welches Konzept ist nach jetzigem Stand der Technik für welche Anwendungen geeignet? Der elektrifizierte Antrieb ist aus Magnors Sicht bereits heute für die City-Logistik prädestiniert – nicht zuletzt mit Blick auf drohende Diesel-Fahrverbote in Großstädten und Metropolen weltweit. Auch im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge, wie beim BPW Testfahrzeug mit eTransport, sieht der erfahrene Logistikfachmann sehr gute Perspektiven für die Elektrifizierung. „Die Batterietechnik wird sich weiterentwickeln und damit gänzlich neue Möglichkeiten für Logistikunternehmen wie uns eröffnen. Im Fernverkehr hingegen glaube ich eher nicht, dass sich batteriebetriebene Elektrofahrzeuge bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre bewähren können. Hier sind auch Wasserstoff oder LNG interessant.“ Der Weg in die Zukunft der Nutzfahrzeugantriebe hat gerade erst begonnen – umso wichtiger ist es, dass Hersteller und Transportunternehmen sich aktiv einbringen.
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